E-Mobilität Radikaler Wandel in der Transportbranche

Elektrisch betriebene Pkw sind auf deutschen Straßen noch rar gesät, ihre Anzahl aber nimmt beständig zu. Auch in der Transportbranche kommt langsam Bewegung ins Spiel: Wie die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen in Deutschland zunehmend an Bedeutung gewinnt, das lässt sich u.a. auf der IAA in Frankfurt beobachten.

Das Lenkrad ist durch einen Joystick ersetzt und auf dem Dach eine Drohnenlandestation installiert: Der Mercedes Vision Van sieht nach Science Fiction aus. (Foto: Daimler AG)

Die Elektrifizierung von Nutzfahrzeugen gewinnt in Deutschland zunehmend an Bedeutung, das lässt sich auch auf der IAA beobachten.

Das Lenkrad ist durch einen Joystick ersetzt, auf dem Dach ist eine Drohnenlandestation installiert, das Armaturenbrett ziert ein LED-Display, der Innenraum beherbergt ein vollautomatisiertes Regallager. Der Fahrer sitzt entspannt in seinem Cockpit, wenn das Fahrzeug zum Stehen kommt, geht er kurz nach hinten und greift sich das Paket, das ihm die Ausgabeluke bereits bereitgestellt hat.

Was sich ein bisschen wie Science-Fiction anhört, ist der weltweit erste vollvernetzte, elektrische Transporter. Noch ist der „Vision Van“ das Ergebnis einer Studie, doch schon bald soll der High-Tech-Transporter von Mercedes durch deutsche Städte fahren. Wie lange es wirklich dauert, ist noch nicht klar. Das Projekt zeigt aber vor allem eines: das Transportwesen steht vor einem radikalen Wandel.

Vernetzung, Digitalisierung, Automatisierung, alternative Antriebe und urbane Logistik sind die Themen der diesjährigen Internationalen Automobil Ausstellung für Nutzfahrzeuge (IAA). Unter dem Motto „Ideen sind unser Antrieb“ wird die Branche jede Menge Innovationen präsentieren, auf der Messe werden 320 Weltpremieren zu bestaunen sein, hinzu kommen 100 Europa-Premieren. „Wir werden in den nächsten zehn Jahren mehr Veränderungen erleben, als wir in den vergangenen 50 Jahren erlebt haben“, glaubt Wolfgang Bernhard, bei Daimler Vorstand der Nutzfahrzeugsparte. „Selten stand die Branche vor so großen Herausforderungen und Chancen wie derzeit.“

Die Zeit ist reif den den Elektro-Lkw

Das Transportvolumen wächst und wächst. Auf der Autobahn werden die Transporter schon lange als Störenfriede wahrgenommen, die sich langwierige Elefantenrennen liefern. Etwa drei Viertel des Gütertransports in Deutschland wird über die Straße abgewickelt – Tendenz steigend, zumindest was das Volumen angeht. In den Städten sind sie noch weniger gerne gesehen, weil sie zur ohnehin schon dicken Luft in den Ballungsräumen beitragen.

Alle Beteiligten der Branche versuchen dem entgegenzuwirken, sie präsentieren deshalb vom elektrischen LKW über neue Assistenzsysteme bis zu Internet-Dienstleistungen jede Menge Innovationen auf der Messe in Hannover. Autonomes Fahren und E-Mobilität sind die größten Felder in der Entwicklung. Es muss sich etwas ändern, da ist sich die Branche einig. Daimler Trucks bastelt beispielsweise an einem elektrisch fahrenden 26-Tonner-Verteiler-LKW. Der „Urban eTruck“ soll eine Reichweite von 200 Kilometern haben und in vier Jahren auf den Markt kommen. Bislang galt der Einsatz von Elektroantrieben im LKW so gut wie unmöglich. Wegen der hohen Kosten, der hohen Ladedauer – und der zu geringen Leistung.

Das soll jetzt anders sein. Ein kleineres Modell, der Fuso Canter E-Cell, wird derzeit in Stuttgart getestet, vier Fahrzeuge hat die Stadt im Einsatz, eines liefert für Hermes Pakete aus. Obwohl die Fahrzeuge 600 Kilogramm schwere Energiespeicher mitführen, können sie noch Nutzlasten von gut zwei Tonnen transportieren.

Der Antrieb ist das eine. Verschiedene Hersteller und Zulieferer arbeiten außerdem an Systemen, über die sich die Fahrzeuge miteinander und mit Speditionen vernetzen lassen. Beim autonomen Fahren gelten Nutzfahrzeuge als Vorreiter, vor allem durch das vorhersehbare Einsatzgebiet. Durch das so genannte Platooning sollen Lkw künftig elektronisch aneinander gekettet werden und die Verkehrswege optimal nutzen. Das spart Kraftstoff, ist sicherer und bietet den Fahrern die Möglichkeit, andere Tätigkeiten während der Fahrt zu erledigen. Der Berufskraftfahrer wird dadurch eher zum Logistiker.

Nachholbedarf bei Lieferwagen

Zum ersten Mal haben auch Start-ups die Möglichkeit ihre Ideen für Verkehrs-, Mobilitäts- und Logistiklösungen auf der Messe zu präsentieren und sich mit den etablierten Firmen der Industrie auszutauschen und zu vernetzen. 25 Firmen werden ihre Geschäftsmodelle vorstellen. Die Bandbreite der innovativen Unternehmen ist groß. Sie beschäftigen sich mit IT-Security-Lösungen, um vernetzte Autos vor Cyberangriffen zu schützen, optimieren die Abfallbeseitigung durch Routenoptimierung oder erarbeiten cloudbasierte Systeme, um freien Laderaum besser anbieten und nutzen zu können.

Den größten Nachholbedarf gibt es in der Branche bei den Lieferwagen. Die Reichweite von 50 bis 100 Kilometern pro Tag ist zwar inzwischen ausreichend, geben beispielsweise die Paketdienstleister zu Protokoll. Doch bislang gibt es einfach kaum Lieferwagen mit Elektroantrieb zu kaufen. Wenn allerdings die ersten Städte Diesel-Fahrverbote aussprechen, werden genau die gebraucht.

Der „Vision Van“ von Daimler wäre so eine Lösung. Auch andere Hersteller werden auf der IAA ihre Zukunftsvisionen für die letzte Meile präsentieren. Bis zur Marktreife wird es noch etwas dauern. „Den großen Durchbruch erwarte ich noch nicht“, sagt Oliver Lanka, Head of Central Procurement & Fleetmanagement Hermes Germany, „doch es ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.“

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