„Fein Glas, gut Holz sind Zwiesels Stolz“, so lautet der Wahlspruch der Stadt Zwiesel. Stolz ist auch Petra Ertl: Sie bringt Einwohner und Touristen auf den Geschmack von Tee – und betreibt den wohl heißesten PaketShop Deutschlands.
Glas, Glas und nochmals Glas, soweit das Auge reicht, ist im riesigen Werksverkaufsraum der Zwiesel Kristallglas AG zu sehen. Edle Weingläser reihen sich hier an Teekannen, Vasen und mundgeblasene Skulpturen, darunter Exponate für den Preis einer zweiwöchigen Pauschalreise. Neben der Holzindustrie hat besonders die Glasproduktion das Leben und Image der Kleinstadt Zwiesel entscheidend mitgeprägt. Bis ins 15. Jahrhundert lassen sich die Anfänge der Glasherstellung hier im Bayerischen Wald zurückverfolgen. Die Glasfabrik in Zwiesel datiert in ihren Anfängen auf das Jahr 1872, heute beschäftigt sie über 800 Menschen – in einem 9.000-Einwohner-Städtchen eine beachtliche Menge. Längst gehört ein Besuch der Zwiesel Kristallglas AG zum Standardprogramm vieler Besucher. Hunderte, manchmal tausende Touristen erkunden das Areal täglich – und stoßen dabei früher oder später auch auf Petra Ertls Teehandlung.
Die alltägliche Hitzeschlacht
Mitten auf dem Werksgelände betreibt die heute 39-Jährige seit 2001 einen kleinen Teeladen – direkt neben den Hochöfen, wo ihr Mann als Glasmacher arbeitet. „Vor allem im Sommer ist das hier schon morgens oft quälend warm, dann steigt das Thermometer deutlich über 30 Grad“, erzählt sie. „Da hilft nur: Tee trinken, der kühlt den Körper nämlich von innen.“ Schon 1998, im Alter von 23 Jahren, entschied sich Petra Ertl für die Selbständigkeit. Zuvor hatte sie als Angestellte fast 400 Überstunden angesammelt: „Schlimmer kann es als Selbständige nicht mehr kommen, habe ich mir gedacht. Und kurz darauf meinen Traum vom eigenen Teeladen verwirklicht“, sagt sie – auf fast akzentfreiem Hochdeutsch.
Dabei ist Petra Ertl mitnichten ein „Saupreiß“: Geboren in Zwiesel, freundete sie sich als Fünfjährige mit der Tochter ihrer neuen Nachbarn an. Die Familie war frisch aus Bonn in den Bayerischen Wald gezogen. Dialekt verstand das Nachbarsmädchen nicht, Petra Ertl lernte kurzerhand Hochdeutsch. Die lokale Mundart spricht die 39-Jährige natürlich immer noch, allerdings nur mit Freunden und Bekannten. Davon hat sie in Zwiesel einige: „Mit vielen hier im Ort bin ich per Du, allein schon wegen des Ladens. Viele kommen regelmäßig vorbei, entweder um Pakete abzugeben oder eben Tee zu kaufen. Da kennt man sich.“
Bayern lieben Früchtetee
Das liegt auch an der Exklusivität: Bis heute betreibt Petra Ertl nach eigenen Angaben den einzigen reinen Teeladen im gesamten Landkreis Regen. Das Sortiment hat sie peu á peu erweitert, auf mittlerweile über 140 Sorten. Klassischer Earl Grey findet sich hier ebenso wie exotischere Kombinationen mit Süßholz oder Südfrüchten. Ergänzt wird das Angebot um ausgewählte Feinkost, einen Hermes PaketShop und natürlich – Glas. Was sonst. Nicht nur ihre Kunden, auch sie selbst ist dem Tee verfallen, bis zu sechs Liter trinkt sie täglich. Im tiefen Süden der Republik, unweit der tschechischen Grenze, durchaus ungewöhnlich: „Die meisten hier trinken Kaffee, Tee war nie wirklich populär. Das ändert sich allerdings, schon einige habe ich erfolgreich überzeugen können. Vor allem Früchtetee verkaufe ich mittlerweile in Massen.“
Ihre Mission, die Bayern vom Teegenuss zu überzeugen, scheint also aufzugehen. Zeit für Urlaub? Mitnichten: „Angestellte habe ich nicht und momentan läuft das Geschäft zu gut, da kann ich nicht einfach Ferien machen“, sagt sie. Aber eines Tages, das weiß sie, wird sie sich eine Auszeit gönnen und mal wieder nach Nordstrand fahren. Dort, wo sie schon mehrmals im Urlaub war und es so genossen hat, den Strand und das Meer und den Wind. Und den Friesentee mit Milch und Kluntje.