Weil die Löhne in Fernost steigen, verlagern deutsche Unternehmen ihre Produktion zurück in die Heimat und investieren in die Automatisierung. Eine Trendgeschichte am Beispiel von Adidas und des Bobby-Car-Herstellers Simba Dickie
Einmal Asien und zurück. 30 Jahre lang ist Adidas von einem Billiglohnland in Fernost zum nächsten gezogen. Sobald in China die Löhne stiegen, wanderte der Sportkonzern einfach weiter nach Vietnam, wo Arbeiter für weniger Geld Trikots nähen und Schuhe fertigen. Jetzt hat Adidas einen neuen Produktionsstandort gefunden, der noch kostengünstiger ist und gleich um die Ecke liegt: Ansbach in der fränkischen Heimat.
In der Kleinstadt hat das Unternehmen aus Herzogenaurach zum ersten Mal seit drei Jahrzehnten wieder eine Schuhfabrik gebaut. Hier, in der „Speedfactory“, will Adidas im zweiten Halbjahr 2016 seinen „Boost“-Laufschuh in automatisierter Serienfertigung herstellen. Während im fernen Osten 300 Arbeiter an einem Schuh werkeln, sind im nahen Mittelfranken nur ein gutes Dutzend plus mehrere miteinander vernetzte Roboter nötig. In fünf Stunden soll ein Laufschuh fertig sein. Bisher schippert die Ware aus Asien mehrere Monate über die Weltmeere, bis sie in Deutschland ankommt.
„Wir erleben eine Zeitenwende“, sagt Adidas-Sprecher Gerd Runau im Gespräch mit „Hermesworld“. Lange Zeit habe es in Asien „immer genügend günstige Arbeitskräfte“ gegeben. In Korea, in Kambodscha oder jetzt in Myanmar. „Aber diese Kette ist endlich.“ Heute stünden Sportartikler so wie andere Branchen „unter Druck, in die Automatisierung zu investieren“.
Die „Speedfactory“ steht auf dem Gelände des fränkischen Kunststoffunternehmens und Zulieferers Oechsler, mit dem Adidas die neuen Fertigungsanlagen gemeinsam entwickelt hat. Die Roboter werden in den kommenden sechs Monaten zunächst 500 Test-Paare produzieren, 2017 soll das Volumen auf 500.000 Paare steigen. Im Jahr bringt Adidas 500 Millionen Paar Schuhe auf den Markt. „Der Großteil wird auch in den nächsten fünf Jahren noch traditionell in Asien gefertigt“, sagt Runau. Doch ein Anfang sei gemacht. Im nächsten Jahr werde eine „Speedfactory“ in den USA eröffnen, weitere Länder sollen bis 2020 folgen.
Reshoring wird immer interessanter
Der neue Standort hat nicht nur Einfluss auf die Logistik. „Da wir lokal produzieren, können wir schneller auf Modetrends reagieren und häufiger die Modelle wechseln“, sagt Runau. Wirtschaftlich dürfte die Niederlassung in Ansbach kein großes Wagnis sein. Die „Speedfactory“ gehört zu jenen 14 Projekten, die das Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen seines Förderschwerpunkts „Autonomik für Industrie 4.0“ finanziell unterstützt. Mit den Zuwendungen verbindet Berlin „das Ziel, Transaktionen über die Kontinente hinweg zu vermindern“. Unter „Nutzung optimaler Mensch-Roboter-Interaktionen“ soll die Produktion von Mode- und Sportartikeln „wieder verstärkt in Europa stattfinden“, heißt es im Ministerium.
Outsourcing war in den 90ern zum Trend und China zur „Werkbank der Welt“ geworden. Heute wird für Unternehmen das Reshoring immer interessanter – die zumindest partielle Rückführung der Produktion. 1999 hatte das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland 27 Prozent seiner Produktionskapazitäten im Ausland angesiedelt. Von 2010 bis 2012 verlagerten – nach einer Erhebung des Fraunhofer Instituts für System und Innovationsforschung (ISI) – nur noch acht Prozent der Betriebe ihre Produktion. Und: „Mittlerweile kommt auf jeden vierten Verlagerer ein Unternehmen, das seine Produktion zurück nach Deutschland holt“, so das ISI. Als Hauptgründe nennen die Firmen Flexibilitätseinbußen und Qualitätsprobleme. „Made in Germany schlägt Low Cost“, kommentierte der damalige VDI-Präsident Bruno O. Braun die Ergebnisse. Lohnanstieg, Nachhaltigkeit, Robotik und der 3-D-Drucker verstärken nun die Rückkehrwelle.
Die Löhne in China haben sich verdreifacht
Auch für die Spielzeughersteller war Asien lange Zeit eine Art Paradies. Die Fürther Simba-Dickie-Gruppe, mit einem Umsatz von 616 Millionen Euro (2015) Deutschlands größter Hersteller, produzierte in den Neunziger fast sämtliche Artikel in Fernost (90 Prozent). Zur Gruppe gehören 16 Marken wie Big mit dem Bobby Car, Holzspielzeuge von Heros oder Plüschfiguren von Nicotoy. „Es waren die goldenen Jahre der Produktion“, sagt Firmenchef Michael Sieber. „Bei den Produktionskosten gab es nur eine Richtung: günstiger, günstiger, günstiger.“ Bis das System im Jahr 2000 kippte.
Die Löhne in China verdreifachten sich bis heute und die örtlichen Behörden setzten immer neue Umwelt- und Sicherheitsauflagen durch. „Insgesamt ist diese Entwicklung sehr positiv zu sehen, da sich der Lebensstandard in China spürbar verbessert und sich die weltweiten Produktionsbedingungen schrittweise angleichen“, meint Michael Sieber. „Schon damals haben wir angefangen, uns in Europa mehr zu engagieren.“ Für sieben Millionen Euro entstand 2011 ein neues Produktionsgebäude in Arinthod im französischen Departement Jura, weitere sechs Millionen kosteten die neuen Maschinen. Inzwischen fertigt Simba Dickie 40 Prozent seiner 4000 Artikel auf dem alten Kontinent. „In unseren Produktionshallen arbeiten relativ wenig Menschen“, erklärt Michael Sieber. „Es sind gut ausgebildete Techniker und Maschineneinsteller.“ Rechner und Roboter übernehmen die Produktion, gesteuert von IT-Experten.
Mit Reshoring sind zunächst hohe Kosten verbunden, wie das Beispiel Märklin zeigt. 2013 hat Michael Sieber den insolventen Modellbahnhersteller zusammen mit seinem Sohn Florian übernommen. Rund 20 Millionen Euro investierten die neuen Eigner seit April 2013 in den Ausbau und die Modernisierung der Werke in Göppingen und im ungarischen Györ. „Märklin war erst spät, zur Jahrtausendwende, im großen Stil nach China gegangen“, erzählt Florian Sieber, der das Unternehmen leitet.
Produziert wurden „sehr komplexe Produkte mit vielen Mängel- und Fehlerquellen“. Über die Jahre nahmen die Qualitätsprobleme zu. „Es gab viele Verzögerungen und sogar sogar Lieferausfälle, weil der chinesische Produzent das Produkt technisch nicht hinbekommen hat.“ Damals kamen noch 40 Prozent der Märklin-Produkte aus Fernost. „Heute stammen 85 Prozent aus den eigenen Werken in Europa. So können wir schnell und flexibel auf die Nachfrage reagieren.“
Mittlerweile fänden sich in China immer weniger Betriebe, die aufwändige und technisch komplexe Produkte wie die Modelleisenbahn in solch kleinen Stückzahlen herstellen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Spielwarenindustrie für den chinesischen Staat keine strategische Branche ist. Daher wurden die Betriebe in den letzten Jahren zugunsten von Schlüsseltechnologien von der logistisch gut angebundenen Lage um Hong Kong immer weiter ins Inland gedrängt.
Daheim stehen in mehreren Werken inzwischen 3D-Drucker, aus denen Produktionshilfsmittel wie Schablonen oder Werkzeuge kommen. „In Zukunft wollen wir auf Bedarf Ersatzteile drucken“, sagt Florian Sieber. Auch der teure Formenbau bei Loks könnte künftig entfallen, sobald die Geräte in der Lage sind, Stücke aus Metall detailgetreu zu drucken. Bei Simba Dickie wird die Technologie hauptsächlich für Mustermodelle eingesetzt. „Die haptische Qualität eines Produkts lässt sich so viel besser beurteilen als vor dem Computerbildschirm“, sagt Michael Sieber.
Hat der Welthandel seinen Zenit überschritten?
Welche Folgen haben diese Trends für die Logistikbranche? Weltweit wächst der Warenaustausch nur noch schleppend um jährlich drei Prozent, vor der Finanzkrise waren es sieben Prozent. Schon stimmen Zeitungen den Abgesang auf die Globaliserung an: „Erleben wir gerade das Ende der Globalisierung?“, fragte etwa die FAZ. Bremsen Robotik und 3-D-Druck die Containerschifffahrt aus, die den globalen Handel erst ermöglicht hat?
„Die größte Ladungsgruppe in der Containerschifffahrt mit 25 Prozent sind Chemikalien“, sagt Rainer Horn, Sprecher der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd. „Auf Platz zwei folgen Lebensmittel mit 17 Prozent. Die können Sie schlecht drucken!“ Nur ein Zehntel der Container seien mit Textilien und Schuhen gefüllt. „Solange es nicht einmal einen Cent kostet, einen Turnschuh von Asien nach Europa zu transportieren, werden die Unternehmen solche Massenprodukte weiter auch in Fernost fertigen“, meint Horn. Die Masse mache den Transport pro Stück so günstig: „Vom Gewicht her könnten Sie alle 1,7 Millionen Hamburger auf einem Containerschiff transportieren.“
Michael Siebert pflichtet bei: „Für lohnintensive Produkte wie funkferngesteuerte Autos oder Textilpuppen sehe ich zum Herstellerland China im Moment keine Alternative. Die Puppen müssen angezogen, Kunststoffhaare eingenäht werden – das können nicht Roboter erledigen, schon weil wir nicht in großen Mengen produzieren.“ Die Fabriken in Vietnam, Kambodscha oder Thailand würden vergleichsweise einfache Arbeiten mit Holz, Plüsch oder Textilien ausführen. Um verschiedene Komponenten oder Elektronikteile verbauen zu können, fehle es in den Ländern an der nötigen Infrastruktur. Wohin die Reise noch geht? „Wer weiß“, antwortet der Firmenchef, „vielleicht eines Tages ja nach Afrika.“