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Letzte Meile: Lieferung per Straßenbahn – eine praktikable Lösung für die nachhaltige Stadtlogistik?

Straßenbahn Frankfurt am Main (Foto: EQRoy / Shutterstock.com)

Der Platz in den Innenstädten wird immer enger. Und der Lieferverkehr, nicht nur für Pakete aus dem Online-Shopping, nimmt immer mehr zu. Auf der Suche nach Lösungen für die Letzte Meile fassen Städte und Logistiker auch auf den ersten Blick ungewöhnliche Wege ins Auge. So gibt es derzeit einige Projekte, die die Belieferung mit der Tram oder Straßenbahn erproben.

Die Frage liegt auf der Hand: Warum nicht bereits vorhandene Verkehrsrouten und Fahrzeuge für die Auslieferung nutzen und auslasten? Dennoch gibt es einige Herausforderungen, die gemeistert werden müssen, bis die Lösung in mehreren deutschen Städten in größerem Maßstab angewandt werden kann.

Tram als Teil der Lösung

Die Straßenbahn-Auslieferung allein wird die Letzte Meile nicht entlasten können – laut Experten muss das auch gar nicht sein. Laut Professor Ralf Bogdanski vom Kompetenzzentrum Logistik an der Technischen Hochschule Nürnberg kann die Tram aber einen wichtigen Beitrag leisten: „Jede praktikable Lösung hilft – ich spreche immer vom ‚Methodenmix der Nachhaltigen Stadtlogistik’“, sagt er.

Der Gedanke an sich ist dabei gar nicht neu: „Die grundsätzliche Idee der Belieferung mit Straßenbahn ist so alt wie Straßenbahnen selbst“, sagt Kai-Oliver Schocke, Professor für Produktionsmanagement und Logistik an der Frankfurt University of Applied Sciences. „Vor dem ersten Weltkrieg wurde die Straßenbahn ganz selbstverständlich für den Transport von Waren eingesetzt“, sagt er. Sogar bis 1935 wurden in Berlin Postpakete darin befördert. Bis in die 60er Jahre hat man in Hannover, Stuttgart oder Wuppertal unzählige Tonnen von Kohle, Lebensmitteln oder anderen Gütern mit der Tram bewegt. In Dresden fährt heute wieder die „CarGoTram“, die von Volkswagen finanziert wird und die Produktionsstätte „Gläserne Manufaktur“ mit Bauteilen für die Montage des e-Golf beliefert.

Projekte in Frankreich und der Schweiz

Auch im Ausland gibt es seit einigen Jahren Anläufe, die Straßenbahn wieder in die Logistikprozesse der belasteten Städte einzubinden, etwa in der französischen Stadt Saint-Ètienne mit dem Projekt „TramFret“. Ab 2017 gab es hier Testfahrten mit ausrangierten Straßenbahnen, die von Privatkunden oder Firmen bestellte Waren in die Stadt lieferten. Einer der Nutznießer war die Supermarktkette „Casino“, deren Filialen in den Innenstadtlagen beliefert wurden.

In Zürich wird die Straßenbahn vor allem für die Entsorgungslogistik eingesetzt: Seit 2003 stellen Verkehrsbetriebe und städtische Entsorgung eine „Cargo-Tram“ zur Verfügung, die Güterwagen angehängt hat. Die Bürger können so ihren Sperrmüll-Abfall im eigenen Quartier abgeben. An bestimmten Haltestellen lassen sich Glas, Großmetall, Sperrmüll, Steingut oder Elektrogeräte entsorgen. Der Service ist kostenlos, allerdings nur für die Anlieferung zu Fuß, mit dem Fahrrad oder den öffentlichen Verkehrsmitteln. Eine Anlieferung mit Auto oder gar Lieferwagen ist nicht erlaubt.

In Moskau wird die U-Bahn eingesetzt: Hier können Pakete, in kleiner Größenordnung, von einem Ende der Stadt zum anderen mit der Metro versendet werden.

Hermes sieht Potenzial in der Logistiktram

Auch die Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) setzt in einem Pilotprojekt auf die Logistiktram. Hermes ist Partner des Straßenbahn-Projektes: In einem Testbetrieb werden morgens zwei Boxen voller Paketsendungen von einem Knotenpunkt außerhalb ins zentrale Europaviertel mit der Tram transportiert. „Anschließend nehmen zwei unterschiedliche Typen von E-Bikes die Boxen auf und transportieren sie zu den Zustelladressen“, erklärt Marco Seibert, der als Depotmanager Frankfurt das Projekt auf Hermes-Seite leitet.

Die Idee stammt laut Professor Kai-Oliver Schocke, der das Projekt wissenschaftlich begleitet, einerseits von Riemann Produktdesign, die ein spezielles Lastenradsystem für den Versuch entwickelt haben, andererseits aber auch von einer Kollegin aus der Hochschule. „Ich sehe hier großes Potenzial. Es wird eventuell nicht das komplette Gebiet der Innenstadt abdecken, aber in schwierig zugänglichen Gebieten wie Fußgängerzonen oder dem Bereich um den Bahnhof könnte die Zustellung ein enormer Gewinn sein“, sagt Marco Seibert.

Produktivität wird genau ausgewertet und verglichen

Der Testbetrieb soll vor allem zeigen, ob mit der Kombination Tram/E-Bike produktive Touren gefahren werden können, ob die Tram zuverlässig beliefert und welches der zwei getesteten E-Bike-Modelle effizienter ist. „Wir schauen auf die zugestellten Sendungen pro Stunde und werten aus, ob die Tram-Lösung oder doch E-Autos produktiver sind“, sagt Seibert.

Auch Professor Schocke von der Frankfurt University of Applied Sciences ist gespannt auf den Testlauf: „Wenn es mehr Druck von Seiten der Politik in Richtung Verkehrsreduzierung gibt und solche Lösungen tatsächlich gefördert werden, könnte diese Art der Zustellung auf größerer Ebene umgesetzt werden“, sagt er. Denn langfristig dürften die Pakete wohl nicht in Personen-Waggons, sondern in eigenen Logistik-Trams befördert werden – diese und andere rechtliche Fragen sind noch ungeklärt. Laut Logistik-Professor Bogdanski müssen auch „viele günstige Faktoren zusammenkommen: Man braucht Zielhaltestellen in Gebieten, die von der Sendungsstruktur her für Lastenräder geeignet sind und Quellhaltestellen in Depot-Nähe mit der verkehrstechnischen Möglichkeit, von leichten Lkw in die Straßenbahn umzuladen.“

Ob der Versuch in Frankfurt sich also als praktisch, ökonomisch sinnvoll und umsetzbar erweist, bleibt abzuwarten. Hermes-Depotmanager Seibert ist aber überzeugt, dass sich der Versuch lohnt: „Alle Dienstleister müssen umdenken. Und nur wenn man kleine Schritte in die richtige Richtung versucht, kann am Ende etwas Großes dabei herauskommen.“

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