In Paris verfolgt Bürgermeisterin Anne Hidalgo konsequent und Schritt für Schritt ihre Mission von der grünen „Gartenstadt“: Ende März erhielt ihr Vorschlag, weitere 500 Straßen in der Seine-Metropole zu begrünen und für den Autoverkehr zu schließen, eine Mehrheit von 66 Prozent. Schon jetzt legen die Menschen nach städtischen Angaben fast zwei Drittel ihrer Wege zu Fuß zurück; seit 2002 hat sich der Autoverkehr in Paris nahezu halbiert.
Für die Mehrzahl der Städte weltweit ist das ein ferner Traum – doch die Ausgangsfrage ist die gleiche: Wie kann urbane Mobilität nachhaltiger und effizienter gestaltet werden? In der Diskussion um die Verkehrswende in den Metropolen liegt der Fokus oft auf dem privaten Autoverkehr. „Dabei ist die Logistikbranche ein entscheidender Akteur, dessen Einfluss auf Emissionen, Infrastruktur und Verkehrssicherheit nicht unterschätzt werden sollte“, sagt Wolfgang Aichinger, Projektleiter „Städtische Mobilität“ beim Thinktank Agora Verkehrswende im Gespräch mit der Hermes- Redaktion.
Agora Verkehrswende)
Debatten um Veränderungen des PKW-Verkehrs würden laut Agora Verkehrswende meist emotional geführt und Fortschritte in diesem Bereich dadurch erschwert. Anders sehe es hingegen in der Logistikbranche aus: Sie denke wirtschaftlich rational und wolle vor allem klare Richtmarken und Planungssicherheit. Dies zeige sich zum Beispiel beim Thema CO2-Flottengrenzwerte: Während die Diskussion über Grenzwerte für PKW seit Jahren emotional geführt werde, liefen die Gespräche über ähnliche Grenzwerte für LKW deutlich geräuschloser und mit weniger medialem Fokus. „Die Logistikbranche könnte deshalb ein starker Partner in der Verkehrswende sein, der vorangeht und zeigt, dass nachhaltige Mobilität nicht nur funktioniert, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll ist“, sagt Aichinger. Aus Perspektive der Logistik braucht es dafür wichtige Rahmenbedingungen wie die Verfügbarkeit notwendiger Infrastruktur und eine alltagstaugliche Einsetzbarkeit von Technologien.
Null-Emissions-Zonen und Anti-Stau-Gebühren
Der Anteil von Nutzfahrzeugen, die weit überwiegend im Güterverkehr eingesetzt werden, ist innerorts laut Umweltbundesamt bezogen auf die Verkehrsleistung mit weniger als einem Siebtel zwar gering (Stand: 2018). Doch ihr Anteil an den CO₂- und Luftschadstoffemissionen des Straßenverkehrs ist ebenda überproportional groß: Der Treibhausgasausstoß von Nutzfahrzeugen beträgt ein Viertel der CO2-Emissionen des Verkehrs in Städten und Gemeinden, der Ausstoß von Feinstaub und Stickstoffoxiden sogar ein Drittel. Die Paketbranche, auf die bezogen auf die gesamten Fahrleistungen aller Kraftfahrzeuge in Deutschland (für das Jahr 2022) ein Anteil von 0,8 Prozent entfällt, treibt die Elektrifizierung ihrer Fahrzeugflotten immer weiter voran, mit dem Ziel, die Emissionen kontinuierlich zu senken. So ist der Anteil elektrischer Fahrzeuge im KEP-Markt von 2016 bis 2024 von drei auf 21 Prozent angestiegen.
Doch mit Blick auf eine Verkehrswende braucht es laut Agora Verkehrswende mehr: „Vor dem Hintergrund des enormen Wachstums der Fahrleistung im Lieferverkehr ist eine kommunale Steuerung der städtischen Logistik entscheidend“, so Aichinger. Der Experte sieht drei Kernaufgaben: Emissionen runter, Lieferwege optimieren, Sicherheit hoch. Als Beispiel, wie Städte den CO2-Ausstoß des Güterverkehrs reduzieren können, weist Aichinger auf Amsterdam hin: Dort und in 14 anderen holländischen Städten entstehen bis Ende 2025 Null-Emissions-Logistikzonen – einfahren dürfen dann nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge. London verfolgt ein ähnliches Modell, bei dem eine emissionsabhängige Maut für Lieferfahrzeuge verlangt wird. Eine Maut gehört auch zu den Kernforderungen von Agora Verkehrswende – die nach dem Verursacherprinzip gestaltet auch den privaten PKW-Verkehr einbezieht. Diese soll nicht nur für einzelne City-Zonen gelten, sondern auf allen Straßen – abhängig von der individuellen Fahrleistung.
Den Rahmen dafür müsste der Bund schaffen, die Umsetzung sollte in den Kommunen je nach den Gegebenheiten erfolgen. Es fehlten bisher zum Beispiel klare Zufahrtsregeln in den Zentren, damit sich stadt- und klimagerechte Fahrzeuge durchsetzen. „Eine Maut für PKW und LKW könnte eine tragende Säule der Verkehrswende sein, denn die Einnahmen könnten in den Umbau von Infrastruktur investiert werden und das stärkt klimaschonende Mobilität für alle“, ergänzt Aichinger. Städte könnten so von einem besseren öffentlichen Verkehr, besseren Fuß- und Radwegen, fairer Aufteilung des öffentlichen Raums sowie einer besseren Verteilung des Verkehrsflusses profitieren. Dies böte auch für Logistiker Vorteile – denn weniger Stop and Go bedeute, dass sich Routen effizienter und kostenschonender planen lassen.
Lieferwege optimieren – mit Mikrodepots und Ladezonen
Bei der Optimierung von Lieferwegen setzt Agora Verkehrswende an zwei Punkten an: Kommunen sollten zum einen Ladezonen für die effiziente Ver- und Entsorgung einrichten – und sie konsequent von falsch geparkten Fahrzeugenfreihalten , beispielsweise mithilfe eines digital unterstützten Parkraummanagements. Klingt nach einem Detail, ist es aber nicht: 42 Stopps hat die Tagestour von Paketbot*innen im Schnitt – also muss 42 Mal zum Teil aufwändig ein Parkplatz gesucht werden. „Ladezonen ermöglichen eine produktive Nutzung von öffentlichem Raum, während der private PKW oft tagelang ungenutzt steht“, so Aichinger.
Zum anderen empfiehlt Aichinger innovative Logistik-Konzepte wie Mikrodepots und City-Terminals – sie erleichtern die Bündelung von Waren, bevor es auf die Letzte Meile geht. Eine smarte Konsolidierung von Lieferungen könne bis zu 90 Prozent der Anlieferungen in der Innenstadt einsparen. Ein Beispiel aus der Gastronomie bei der Anlieferung von Waren: Anstatt über den Tag verteilt ein Dutzend oder mehr Warensendungen von verschiedenen Zusteller*innen anzunehmen, werden diese zentral an ein Mikrodepot zugestellt – und dort gesammelt vom Restaurantbetreiber selbst abgeholt oder via Dienstleister mit dem Lastenfahrrad oder einem elektrisch betriebenem Van zum Lokal gebracht. Erfreulicher Nebeneffekt: Ausladen und Einräumen der Waren geschieht dann nicht mehr unter den Augen der Kund*innen, und die Innenstadt wird wieder ein Stück lebenswerter – was wiederum neue Laufkundschaft anzieht.
Logistik als Partner der Mobilitätswende
Innovative Konzepte wie Mikrodepots sind konkrete Beispiele, wie Logistikunternehmen die Verkehrswende als Partner mitgestalten können. „Die Bedeutung der Logistik wird in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Die Branche hat dabei das Potential zu demonstrieren, wie man sich pragmatisch auf Veränderungen einstellt“, so Aichinger. Gerade in der Verkehrspolitik würden Debatten oft mit hoher medialer Zuspitzung geführt. „Dann heißt es schnell, das Auto soll abgeschafft werden – dabei ist das gar nicht das Ziel. Sondern es geht um pragmatische Lösungen, die wirklich etwas bewirken. Hier könnte die Logistik zeigen, wie man diese Diskussionen sachlich und zielorientiert führt.“
Der Politik empfiehlt der Agora-Experte vor allem eines: Klarheit. Denn gerade Logistiker brauchen verlässliche Ansagen und Absprachen, um ihre Prozesse darauf einstellen zu können. „Ein gemeinsam mit der Branche erarbeiteter Fahrplan macht die Umstellung von Unternehmensflotten planbar und unterstützt Innovationen“, sagt Aichinger. Dabei ist es wichtig, dass beide Seiten im Gespräch bleiben und Vertrauen aufbauen – idealerweise in regelmäßigen Formaten wie einem „Runden Tisch City-Logistik“, wie ihn etwa Erfurt hat.
„Städte wie Amsterdam, Paris oder London sind tolle Beispiele – aber es sind Einzelbeispiele“, erklärt Aichinger. „Größere Effekte gibt es, wenn die Bundespolitik klare Vorgaben macht, die die Kommunen dann individuell an ihre Bedürfnisse angleichen können.“ Wenn das klappt, fühlt sich Berlin vielleicht irgendwann an wie Paris, verkehrstechnisch betrachtet.