Die Ansprüche der Empfänger an die Paketdienste wachsen ständig. Schneller und in bestimmten Zeiträumen sollen die Lieferungen erfolgen. Doch nicht alles, was sich die Branche ausdenkt, erfüllt die Erwartungen der Kunden.
Als der Bewohner des kleinen Hauses im kanadischen Port Coquitlamm von der Arbeit zurückkehrte, fand er einen Abholzettel von der Post am Briefkasten. Die knappe Entschuldigung für die nicht durchgeführte Lieferung lautete: Bär vor der Tür. Der Postbote habe noch versucht, den Bären zu verscheuchen, in dem er mit seinem Auto vorsichtig auf den ungewöhnlichen Portier zugefahren sei, berichtete er später. Das Tier ließ sich davon allerdings wenig beeindrucken. Also schoss der Zusteller noch schnell ein Beweisfoto und trollte sich dann lieber selbst.
So gute Ausreden haben die Postboten in Deutschland selten zu bieten, aber für Gesprächsstoff sorgen auch sie. Fast jeder Bewohner des Landes kann inzwischen eine Geschichte darüber erzählen, was bei einer Paketlieferung alles nicht geklappt hat. Je mehr die Menschen online bestellen, desto größer werden auch ihre Ansprüche an die Paketdienste. Die Ware soll möglichst schnell beim Empfänger ankommen, am besten in einem vom Kunden festgelegten Zeitfenster, wenn es geht noch am selben Tag.
„Same-day Delivery“ heißen die Zauberworte, die gerade die gesamte Branche in Bewegung halten. Zwar beträgt der Anteil des Umsatzes mit Paketen, die noch am Tag der Bestellung ausgeliefert werden, in Westeuropa derzeit weniger als ein Prozent. Doch glaubt man einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey, wird sich dieser Anteil in den kommenden Jahren auf mindestens 15 Prozent erhöhen. Der Markt dürfte bis 2020 auf drei Milliarden Euro wachsen. Kein Wunder also, dass fast alle Beteiligten der Branche derzeit an einer Lösungen basteln, es ihren Kunden möglichst bequem zu machen, was zum Teil zu kuriosen Ideen führt. Das belgische Startup cardrops versuchte beispielsweise eine Zeit lang, Lieferungen mit Hilfe von GPS-Technik im Kofferraum der Autos der betreffenden Kunden zu deponieren, um diese unabhängig von den Lieferzeiten zu machen.
Das mag keine massenkompatible Lösung sein, der ungewöhnliche Ansatz zeigt aber: Das Wettrennen um den schnellsten Weg zum Kunden ist in vollem Gange. „Die Paketbranche wird sich zunehmend den Verbraucherinteressen anpassen und verstärkt individualisierte Services anbieten müssen. Die Kunden geben in puncto Produkt- und Serviceoptimierung stets die Marschrichtung vor“, sagt Thomas Horst, Geschäftsführer Sales der Hermes Logistik Gruppe Deutschland.
In den USA versuchen sich neben zahlreichen Startups auch die großen Konzerne Amazon, Google und Ebay an Same-Day-Delivery-Konzepten. In Deutschland werden verschiedenste Ansätze verfolgt. Die Post-Tochter DHL liefert auf der Insel Juist Pakete testweise per Drohne aus. Auf dem Festland bietet sie einen Paketkasten für Privatpersonen an. Der Kasten steht vor dem Haus und nimmt Päckchen und Pakete an, wenn der Empfänger nicht zu Hause ist, allerdings nur, wenn sie mit DHL verschickt wurden. Aus diesem Grund haben sich die Lieferdienste Hermes, GLS, UPS und DPD zusammengeschlossen und planen die Einführung eines eigenen Paketkastens, der dann von allen Diensten beliefert werden kann.
DPD garantiert die Zustellung von Paketen am selben Tag bereits in über einem Duzend Großstädten. Hermes startete vor kurzem bundesweit seine Zustellung in Zeitfenstern. Empfänger wissen ab sofort bis auf eine Stunde genau, wann ihre Sendung eintrifft. Datum und voraussichtliche Uhrzeit der geplanten Anlieferung können am Vortag online abgerufen werden. Der Service soll die Zustellung für Kunden besser planbar machen und die Erstzustellquote des Unternehmens weiter erhöhen.
„Es ist und bleibt unser erklärtes Ziel, den Paketversand für Auftraggeber und Empfänger weiter zu vereinfachen“, sagt Thomas Horst, „denn immer mehr Menschen wünschen sich, dass der Versand und Empfang von Paketen bequem in ihren Tagesablauf zu integrieren sind. Das ist ein klarer Trend, dem auch wir entsprechend folgen.“ Doch was genau bedeutet das? Was will der Kunde wirklich? Verschiedene Studien haben sich in jüngster Zeit mit dem Wunsch der Kunden beschäftigt. Zwar kommen alle zu dem Schluss, dass die Erwartungen der Kunden an die Zusteller steigen. Doch anders als viele Firmen glauben, geht es den Empfängern nicht um Höchstgeschwindigkeit, sondern vor allem um Verlässlichkeit.
Die Hamburger Beratungsfirma MRU hat in ihrer Umfrage ermittelt, dass nur jeder Zehnte seine Ware schon eineinhalb Stunden nach dem Erwerb zu Hause erwartet. Die Mehrzahl der 1400 Befragten, die regelmäßig in Onlineshops einkaufen und Pakete zugesandt bekommen, will auch keine Sendungen am Sonntag in Empfang nehmen. Dagegen wünscht sich die Hälfte aller Befragten einen zuvor vereinbarten Liefertermin. Zum gleichen Schluss kommt eine Studie des ECC Köln. 42 Prozent der Befragten wünschen sich alternativ zwischen verschiedenen Lieferterminen und –orten wählen zu können. Doch nur 16 Prozent der befragten Online-Shopper erwarten für die nächsten drei Jahre, dass die bestellte Ware innerhalb von 24 Stunden geliefert wird.
Dennoch beschäftigt sich die Branche vor allem mit dem Zeitfaktor. Den größten Druck machen zur Zeit die Online-Shop-Betreiber. Knapp ein Drittel der befragten Online-Shop-Betreiber der ECC-Studie möchte zukünftig die Lieferung am Tag der Bestellung ermöglichen. Spannend bleibt, wer die Kosten dafür übernehmen soll. Die Preise für die Express-Lieferungen beginnen bei elf Euro, schießen aber abhängig von Paketgröße und Liefergeschwindigkeit schnell in die Höhe. Das ist für die Unternehmen zwar kostendeckend, schreckt aber viele Kunden ab. Die meisten zeigen bisher eine eher eingeschränkte Zahlungsbereitschaft. Nur 30 Prozent sind überhaupt dazu bereit, für Same-Day-Delivery mehr Portokosten zu übernehmen, allerdings auch nur bis zu einem Betrag von fünf Euro. Händler müssen sich darauf einstellen, die Kosten für die Expresslieferungen zum Großteil selbst zu übernehmen – als Teil ihres Kundenservice.
Für Hermes-Geschäftsführer Horst ist klar, wer in Zukunft den Takt vorgibt. Der Kunde „wird nicht nur die Lieferung an einem Wunschtag oder sogar in einem bestimmten Zeitfenster veranlassen können, sondern auch über eine kurzfristiges Umleiten der Sendung entscheiden. Der Verbraucher wird zum Regisseur seines Pakets.“ Spätestens dann stört auch kein Bär vor der Tür. Dann wird das Paket eben einfach an eine andere Adresse dirigiert.