Immer mehr Waren werden in die Städte geliefert, das sorgt in den Ballungszentren für ein immer höheres Verkehrsaufkommen. Um einen unkomplizierten und effizienten Warenfluss zu gewährleisten, müssen die Beteiligten zusammenarbeiten.
Wer kennt das nicht? Man wartet sehnsüchtig auf die neuen Schuhe oder ein wichtiges Ersatzteil, doch wenn man von der Arbeit nach Hause kommt, wartet im Briefkasten nur der Abholschein des Paketboten. Oder der Hinweis, dass das Päckchen beim Nachbarn abgegeben wurde, der nun aber leider übers Wochenende vereist ist.
Damit soll jetzt endgültig Schluss sein. DHL bietet schon Paketboxen an, Hermes, DPD und GLS werden im Herbst mit einer gemeinsam entwickelten Box nachziehen. Gravierender Unterschied der neuen Box: Sie ist als anbieteroffenes System konzipiert, steht also nicht nur einem Versender zur Verfügung. Seit einigen Wochen laufen bereits erste Pilotversuche in den Regionen Hamburg, Frankfurt und Aschaffenburg. Ein zweiter, größerer Feldtest wird aktuell vorbereitet.
Die Paketkästen sind nur eine Idee, den Verkehr in den urbanen Ballungsräumen zu reduzieren und die Probleme in den Innenstädten in den Griff zu bekommen. Um einen unkomplizierten und effizienten Warenfluss zu garantieren, sind weitere Veränderungen nötig. Es geht um die Zukunft der Logistik. Funktionieren wird das nur, wenn alle Beteiligten kooperieren.
Das Parkhaus wird nachts zur Lagerhalle
Schon jetzt leben fast drei Viertel aller Deutschen in Städten, im Jahr 2050 sollen es nach einer Statistik der Vereinten Nationen 84 Prozent sein. Immer mehr Menschen müssen also auf engem Raum mit allen möglichen Produkten versorgt werden, von Lebensmitteln über Medikamente bis hin zu Luxusartikeln. Durch den Onlinehandel und die Multi-Channel-Konzepte ist das Volumen der Lieferungen noch einmal deutlich angestiegen. Gleichzeitig werden mehr Wohnungen auf Flächen gebaut, die dann beispielsweise Logistikdienstleistern für die Lagerung fehlen. Es ist ein Teufelskreis: denn je kleiner die Lagerfläche beispielsweise eines Supermarkts ist, desto mehr ist er auf die Belieferung mit frischer Ware angewiesen.
Das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik IML in Dortmund beschäftigt sich schon länger mit dem Thema. In dem Projekt Urban Retail Logistics entwickelten die Forscher einen städtischen Knotenpunkt, der branchen- und unternehmensübergreifend allen zur Verfügung steht. Vor allem die Lieferungen auf der Letzten Meile sollen dadurch effizienter und umweltschonender gestaltet werden. Die Waren könnten beispielsweise in einem vollautomatischen Innenstadtparkhaus nachts zwischengelagert werden und dann kommissioniert und ausgeliefert werden. Auch Bürogebäude könnten außerhalb der Öffnungszeiten als Lager dienen. Das würde die Straßen tagsüber entlasten.
Im Rahmen des Projekts wurde auch über geräuscharme Nachtlieferungen nachgedacht. Die Sache hat noch einen Haken: Der Umstieg auf Elektrofahrzeuge ist zwar technisch möglich, weil die Reichweite der Fahrzeuge für die Innenstädte absolut ausreichend ist. Ökonomisch ist der Wechsel bisher wenig reizvoll. In die Elektroautos passt weniger rein, die Dienste bräuchten also mehr Autos, die zudem auch noch deutlich kostspieliger sind.
Wenn oben kein Platz mehr ist, muss unter Erde geliefert werden
Während sich die Handelsunternehmen eine Zusammenarbeit gut vorstellen können, tun sich die Lieferdienste in Deutschland mit einer White-Label-Lösung für die Innenstädte noch deutlich schwerer. Der Kunde soll entscheiden, wer schneller, besser und sicherer liefert. Und das kann er nur, wenn er auch sieht, wer sein Paket bringt. Die Anbieter fürchten, dass ihre Marken, die sie mühsam aufgebaut haben, im Einheitsbrei untergehen.
In europäischen Großstädten wie London oder Paris kommen die Unternehmen um eine Zusammenarbeit schon länger nicht mehr herum. Der Kohlendioxidausstoß ist inzwischen derart in die Höhe geschossen, dass die Regierungen für die Stadtgebiete Einfuhrbeschränkungen verhängt haben. Seitdem suchen die Beteiligten fieberhaft nach Lösungen.
Das britische Unternehmen Mole Solutions tüftelt an einem unterirdischen Transportsystem, bei dem unter bereits existierenden Infrastruktursystemen ein Tunnelnetzwerk entstehen soll. Durch die großen Röhren sollen mit Hilfe von Magnetschwebetechnik fahrerlose Kapseln gleiten, die mit jeweils zwei Paletten beladen werden können. Angetrieben wird das System durch erneuerbare Energie. Ein Prototyp wurde bereits auf einer Teststrecke eingesetzt.
Geräuscharme Lieferung in der Nacht
Im Rahmen des Forschungsprojekts „Last Mile Logistics“ (LaMiLo), das von der Europäischen Union mitgegründet wurde, entstand im Londoner Stadtteil Camden ein Lager für alle Lieferanten, in dem die Waren konsolidiert und dann gemeinsam mit einem schadstoffarmen Fahrzeug ausgeliefert wurden. Der Lieferverkehr zu öffentlichen Einrichtungen sank um 40 Prozent. Seit drei Jahren läuft außerdem ein Pilotprojekt, das für eine geräuscharme Nachtlieferung des Handelsriesen Sainsbury’s sorgt.
In Paris wurden die Waren zunächst in Mikrokonsolidierungszentren gebracht, von wo aus sie gebündelt mit Elektrolastenrädern zu den Kunden geliefert wurden. Ähnliche Projekte gibt es auch in Belgien und den Niederlanden. Die letzte Meile, so die Erkenntnis des Forschungsprojekt, lässt sich auf jeden Fall am besten bewältigen, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten.
So sieht das auch Ralf Bogdanski, Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg, der gemeinsam mit dem Bundesverband Paket & Express-Logistik die Studie „Nachhaltige Stadtlogistik durch KEP-dienste“ herausgebracht hat. „Die mangelnde Kooperation zwischen Dienstleistern und Händlern hat einige vielversprechende Projekte aus dem Bereich der urbanen Logistik in den letzten Jahrzehnten scheitern lassen“, sagte er „Logistik heute“. „Zusammenarbeit könnte also einer der möglichen Schlüssel zum Erfolg sein.“