Nach dem Kauf-Klick wird es erst richtig spannend: Ob der Kunde am Ende zufrieden ist oder die Ware genervt zurückgehen lässt, hängt jetzt vor allem vom Versanddienstleister ab. Noch nie hatten Logistiker einen so großen Anteil am Einkaufserlebnis, ihre Dienstleistungen und Features prägen maßgeblich die Beziehung zwischen Händler und Kunden.
Von Georg Dahm
Wer sich einmal an den Komfort gewöhnt hat, will ihn nicht mehr missen: Dass man zu jeder Tages- und Nachtzeit online bestellen kann, auf dem Laptop, Tablet oder Smartphone, und die Ware schon am nächsten Tag bekommt, ist für Verbraucher inzwischen so selbstverständlich wie die vielen kleinen Extras, die vor wenigen Jahren noch undenkbar waren: Sendungsverfolgung per App, die Ansage genauer Lieferzeitfenster oder die Möglichkeit, das Paket noch während der Zulieferung an eine andere Adresse umzudirigieren. Jedes Komfort-Feature, das Logistikdienstleister neu einführen, wird schnell zum Standard und definiert den Erwartungshorizont der Kunden neu.
Neue Rolle für Logistikunternehmen
Der Versand wird zum zentralen Bestandteil des Einkaufserlebnisses. Da können Online-Händler mit noch so viel Liebe ihre Apps und Shopsysteme pflegen und gestalten – wenn der Versand nervt, nervt der ganze Einkauf.
Womit Logistikunternehmen eine völlig neue Rolle zukommt: Es geht nicht mehr nur darum, Waren möglichst schnell und zuverlässig von A nach B zu bringen – sondern ständig neue Ideen zu entwickeln, die den anspruchsvollen Kunden bei Laune halten, von der Versandbestätigung über Statusupdates per App bis zu neuen Möglichkeiten für den Empfang des Paketes.
So bieten inzwischen mehrere Anbieter abschließbare Boxen an, die außerhalb der Wohnung oder des Hauses montiert werden und nur vom Paketboten und dem Empfänger geöffnet werden können. Die drei Logistiker GLS, DPD und Hermes haben hier zusammen das ParcelLock-System entwickelt und testen es gerade gemeinsam mit dem Versandhändler OTTO im Raum Hamburg.
Ein schneller, angenehm gestalteter Versand spielt eine große Rolle dabei, einen der größten Kostentreiber im E-Commerce klein zu halten: die Retourenquote. 40 Prozent der Online-Händler wissen nicht, was sie die Abwicklung einer Rücksendung kostet, ergab eine Studie des Forschungsinstituts ibi Research. 17,70 Euro sind es bei kleineren, 7,70 Euro bei größeren Unternehmen, so eine Studie der Universität Bamberg. Das beste Mittel gegen Retouren, ermittelte ibi Research, sind ausführliche und zutreffende Produktbeschreibungen im Online-Shop. Aber schon auf Platz 2 und 3 folgen Logistik-Aspekte: Eine gute Verpackung der Ware und ein schneller Versand. Und so widersinnig es klingen mag: Auch eine unkomplizierte und kulante Abwicklung von Retouren senkt auf Dauer die Rücksendequote.
Logistiker übernehmen komplexe Fertigungsaufgaben
Kein Wunder also, dass Online-Händler zunehmend dazu übergehen, nicht nur ihre Lagerhaltung und Versandabwicklung komplett outzusourcen, sondern auch das Retourenwesen. Dienstleister wie Hermes unterhalten Fulfilment-Center, in denen zurückgesendete Ware kontrolliert, verbucht, bei Bedarf gereinigt, repariert oder neu verpackt und wieder in den Bestand überführt wird.
Elektronikhändler lagern inzwischen sogar komplexe Reparaturaufgaben an Logistikdienstleister aus. Spezialisierte Anbieter wie Unipart, Sanmina oder Convar unterhalten weltweit Standorte, über die beispielsweise der Netzbetreiber Vodafone das komplette Reparatur- und Austauschwesen für sein Smartphone-Sortiment abwickelt. Je nach Ausstattung übernehmen solche Dienstleister inzwischen auch komplexe Fertigungsaufgaben. Und ihre Bedeutung als On-Demand-Werkbank könnte in den kommenden Jahren noch deutlich zunehmen, wenn durch neue Fertigungstechniken wie 3D-Druck die individuelle Einzelanfertigung mehr und mehr zum Standard wird – eine Entwicklung, die unter Schlagworten wie „Mass Customization“ oder neuerdings „Batch Size One“ diskutiert wird.
Amazon experimentiert bereits mit einer mobilen Fertigungsstätte in der Form eines Lkw, der mit einem 3D-Drucker ausgestattet ist. Und Amazon mit seinem enormen Fundus an Kundendaten ist auch ein Vorreiter auf dem neuen Feld der „Predictive Logistics“: Hier analysieren Algorithmen das Kauf- und Surfverhalten der Site-Besucher und treffen Prognosen darüber, welche Waren wo in den kommenden Stunden gekauft werden – die dann schon per Zuliefer-Lkw in die Nähe des Kunden gebracht werden, um sofort verfügbar zu sein. Die langfristige Vision: Eine Flotte von – möglichst autonom fahrenden – Lkw, die wie rollende Auslieferungs- und Retourenzentren ihre Bahnen um die Zielgebiete ziehen.
Das Ziel solcher Strategien ist die „Same Day Delivery“, die sofortige Auslieferung am selben Tag – denn wer seinen Wunschartikel sofort in die Hand bekommt, ist deutlich zufriedener und schickt seltener die Ware zurück. Zu den Vorreitern zählt hier Google mit seinem Expresslieferdienst Google Express, auch eine Reihe von Startups entwickelt Same Day-Dienste: Der britische Anbieter Shutl ist inzwischen von eBay übernommen worden, in Deutschland ist Hermes beteiligt an Liefery, das unter anderem für Amazon, Zalando, Sportscheck und Media Markt arbeitet.
Doch die Entwicklung bleibt nicht bei der schnellen Lieferung klassischer Versandgüter stehen. Der umstrittene Chauffeurdienst Uber hat in den USA seinen neuen Kurierdienst Rush eingeführt. Damit können Kunden bei örtlichem Einzelhändlern und Gastronomen online einkaufen und ihre Bestellung vom nächsten freien Uber-Wagen abholen und ausliefern lassen – Livetracking des Fahrzeugs in der App inklusive.
Und das mit zwei Milliarden Dollar bewertete Logistik-Startup Instacart macht es Einzelhändlern und Ketten leicht, sich bei ihren Kunden als Sofort-Lieferant zu etablieren: Das Unternehmen beschäftigt in mehreren US-Metropolen sogenannte Personal Shopper, die für den Kunden die Einkaufsliste in den Supermärkten seiner Wahl abarbeiten und die Waren zu ihm nach Hause bringen. Das Verwöhnprogramm geht weiter.