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KEP-Studie 2025: „Die Letzte Meile ist der größte Kostentreiber“

(Foto: Hermes Germany / Willing-Holtz)

Steckbrief: Das KEP-Jahr 2024 im Überblick


Herr Dr. Esser, mit knapp 4,3 Milliarden transportierten Sendungen landete die KEP-Branche 2024 deutlich über dem Niveau des Vorjahres. Gute Nachrichten, oder?

Klaus Esser: In der Tat. Zwar blieb die Branche nicht komplett von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland verschont, aber der Markt zeigt sich robust. Nach dem extrem hohen Zuwachs während der Corona-Jahre und dem folgenden Dämpfer mit Beginn des Ukraine-Krieges ist der Sektor nun wieder auf einem normalen Wachstumspfad unterwegs, mit jährlichen Steigerungsraten um die drei Prozent.

Welche sind die Haupttreiber der Entwicklung?

Klaus Esser: Ganz klar der Paketbereich, wo wir auch für die folgenden Jahre eine überdurchschnittliche jährliche Zunahme von 3,5 Prozent erwarten. Allerdings findet der Anstieg vor allem im B2C-Segment statt, vor dem Hintergrund des nach wie vor schnell wachsenden Online-Handels. 2024 waren 60 Prozent aller Sendungen B2C-Pakete. Für B2B dagegen gehe ich davon aus, dass wir auf längere Sicht insbesondere bei nationalen Paketsendungen nur geringes Wachstum sehen werden.

Dr. Klaus Esser

Fast 5,2 Milliarden Sendungen im Jahr 2030

Wie erklären Sie sich, dass immer mehr Pakete verschickt werden, obwohl die Wirtschaft in Deutschland seit Jahren schrumpft?

Klaus Esser: Wir beobachten, dass sich die KEP-Branche zumindest in diesem wichtigen Segment von der allgemeinen Wirtschaftslage entkoppelt: Die Menschen kaufen vielleicht insgesamt weniger, tun dies aber zunehmend im Netz. Das liegt zum einen an zurückgehenden Angeboten im stationären Handel und oft mangelnder Attraktivität der Innenstädte – und zum anderen an einer starken Zunahme des Handels mit Second Hand-Waren. Die sind günstiger, müssen aber auch verschickt werden.

Im Jahr 2030 sollen nach Ihrer Analyse fast 5,2 Milliarden Sendungen transportiert werden. Ist das angesichts von weltweiten Krisen, Kriegen und der erratischen Politik von US-Präsident Donald Trump nicht zu optimistisch?

Klaus Esser: Optimistisch ja, aber die Prognose lässt sich gut begründen. Viele Wirtschaftsinstitute rechnen damit, dass die Konjunktur 2026 wieder anzieht. Schon für 2025 rechnet der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland mit einem weiteren Wachstum von 2,5 Prozent auf 82,6 Milliarden Euro. Und was die globale Entwicklung betrifft: Es wird ja nicht weniger gehandelt – nur die Warenströme verschieben sich.

Die Sendungsmenge steigt, aber die Branche steckt in einem harten Preiswettbewerb. 2024 ist der Durchschnittserlös pro Sendung nominal auf 6,44 Euro gestiegen. Sie haben ausgerechnet, dass dies inflationsbereinigt nur 5,89 Euro entspricht und nicht ausreiche, die Kostensteigerungen der vergangenen Jahre auszugleichen. Was können KEP-Unternehmen tun?

Klaus Esser: Die großen Player sind alle schon gut aufgestellt, aber die Effizienz lässt sich natürlich immer verbessern. Etwa durch eine möglichst gleichmäßige Auslastung der Transportnetze, bessere Kapazitätenplanung und Verbesserungen bei der Endkundenzustellung. Die Letzte Meile ist der größte Kostentreiber, hier ließe sich viel optimieren. Zum Beispiel, wenn Kund*innen, die tagsüber gar nicht zuhause sind, ihre Sendungen an einen alternativen Zustellort liefern lassen. So können sie die Sendung bequem abholen, wenn es ihnen passt, und ersparen den Zusteller*innen vergebliche Anfahrten.

Großtrends Out of Home, Branchenattraktivität und Cybersicherheit

In der Out of Home-Zustellung sehen Sie einen zentralen Trend für die Branche. Steht das nicht im Widerspruch zu dem wachsenden Ruf der Kund*innen nach mehr Convenience und technisch immer besser planbaren Zustellfenstern?

Klaus Esser: Nein. Die Haustürzustellung wird ja nicht abgeschafft – aber die Möglichkeiten, aus denen Kund*innen wählen können, werden vielfältiger. Wenn jemand bei der Lieferung nicht zu Hause ist, ist ein zweiter Zustellversuch vielleicht umständlicher, als wenn er oder sie das Paket auf dem Weg zur Arbeit am Paketautomaten oder im Paketshop abholt. KEP-Dienstleister verfügen hier über ein breites Angebot an Standorten – allein das Netz von Hermes Germany umfasst deutschlandweit rund 17.000 Paketshops. Gerade in urbanen, verdichteten Regionen wird der Anteil der Out-of-Home-Lieferungen bis 2030 auf 25 bis 30 Prozent ansteigen. Für die Unternehmen ist das ein enormer Hebel. Denn es macht einen gewaltigen Unterschied, ob für 20 Pakete 20 Haushalte einzeln und vielleicht mehrfach angesteuert werden müssen, oder ob alle 20 Pakete an einem Ort abgegeben werden können. Nicht zuletzt ist das auch ein Nachhaltigkeitsthema. Viele Menschen wollen emissionsarme Zustellungen – hier braucht es mehr Aufklärung und Information, dass man auch selbst dazu Einiges beitragen kann, etwa indem man Out-of-Home-Zustellung wählt.

Bis 2030 werden weitere zehn- bis fünfzehntausend Zusteller*innen benötigt. Doch die Branche gilt nicht gerade als attraktiv. Wie ließe sich das ändern?

Klaus Esser: Für den Arbeitsmarkt in Deutschland hat KEP eine große Bedeutung, die KEP-Unternehmen hier haben seit 2014 jedes Jahr etwa 6.310 neue Jobs geschaffen. Das wird zu selten gesehen, auch zum Beispiel von der Politik. Gerade für viele Menschen mit niedrigerer Qualifikation sind das gute, niedrigschwellige Angebote. Um diese Stellen attraktiver zu machen, müssen einerseits die Basics stimmen, also ordentliche Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Hier könnte die Branche ihre Vorteile viel offensiver ausspielen, zum Beispiel die vielfältigen Möglichkeiten, flexibel und in Teilzeit zu arbeiten. Mindestens genauso wichtig ist es aber, das öffentliche Bild der Zusteller*innen zu ändern.

Was meinen Sie damit?

Klaus Esser: Der wichtigste Ansatzpunkt sind die Kund*innen. Viele haben eine hohe Anspruchshaltung, gerade was die besprochene Convenience angeht – sehen aber gar nicht, was dahintersteht, wenn ein Paket binnen eines Tages von Nord- nach Süddeutschland transportiert wird: Umschlagsortierung, Lagerverwaltung, IT, Dokumentation und vieles mehr – und das alles für den Preis eines Cappuccinos. Es gerät zu oft aus dem Blick, dass es hier auch um Menschen geht, die Wertschätzung verdienen, weil sie einen guten Job machen, und nicht um eine Art Mainzelmännchen, die anonym vor sich hinwerkeln. Ein „Vielen Dank“ oder „Guten Tag“ kann da einen großen Unterschied machen.

Als dritte große Herausforderung neben Kostenfaktor Letzte Meile und Fachkräftemangel beschreiben Sie das Thema Sicherheit. Wie sollten sich KEP-Unternehmen hier wappnen?

Klaus Esser: Die Bedrohungslage wird zunehmen, sowohl im physischen wie im digitalen Raum. Durch die immer stärkere Vernetzung von Prozessen, den Einsatz von KI und die Einbindung externer Cloud Services wächst die Gefahr von Cyberattacken, etwa Angriffen auf Netzwerke oder betrügerischem Versand. Auch der physische Schutz von Sendungen und Lagern rückt stärker in den Vordergrund – denken Sie nur zurück an den Juli 2024, als ein Versandpaket an Bord eines Transportflugzeugs am Flughafen Leipzig in Flammen aufging. Darauf angemessen zu reagieren, gleicht einem Wettlauf, bei dem es wichtig ist, technologisch immer einen Schritt voraus zu sein – und das braucht Zeit und Ressourcen. Das Thema wird deshalb in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Hier geht es zur ausführlichen Studie. (Grafik: BPEX)
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