Forscher am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) haben die „Geräuscharme Nachtlogistik“ getestet. Das Ergebnis: Sie ist aufwändig, aber möglich.
Dieses Szenario könnte schon bald in vielen Städten Wirklichkeit werden: Der E-Lkw rollt um 23 Uhr an, das Radio wird automatisch leiser, die Tür des Lasters öffnet und schließt sich fast geräuschlos. Mit einem Elektrohubwagen bringt der Fahrer Obst, Gemüse, Brot, Käse, Kaffee und frische Milch in die Filiale. Wenn der erste Kunde am Morgen in den Supermarkt kommt, ist bereits alles in die Regale geräumt.
2013 startete das GeNaLog genannte Projekt. Die Forscher um Leiterin Daniela Kirsch wollten zeigen, wie sich Lebensmittellieferungen in die Nacht verlegen lassen, um so die Lkw am Tag von den Straßen zu holen und den Verkehr zu entzerren. Die Herausforderung besteht darin, dass die nächtliche Lieferung sehr leise sein muss. Denn je nach Gebietsausweisung dürfen in den Spätabend- und Nachtstunden bestimmte Werte nicht überschritten werden: In allgemeinen Wohn- und Kleinsiedlungsgebieten liegen die bei 40 Dezibel, in Gewerbegebieten bei 50 Dezibel, in der Nähe von Kur-oder Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser sogar bei 35 Dezibel. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, bei der Anlieferung 45 Dezibel nicht zu überschreiten, die in Kern-, Dorf- und Mischgebieten die Obergrenze darstellen“, so Kirsch.
Jede Nacht zwei Filialen beliefert
Um zu beweisen, dass dies möglich ist, arbeiteten die Forscher mit Partnern aus der Praxis zusammen, unter anderem mit der Rewe Group. In Köln startete im Frühling 2017 der bundesweit erste Pilotversuch: Fünf Wochen lang wurden jede Nacht zwei Rewe-Filialen werktags zwischen 22 und 24 Uhr beliefert. „Schnell war klar, dass ein E-Lkw die Lieferung übernehmen muss, denn ein Dieselfahrzeug ist zu laut“, sagt Martin Stockmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fraunhofer-Projekt.
Doch es zeigte sich bald, dass das die Motorengeräusche des Lasters das geringste Problem sind: „Die Ware zu bewegen und die Rollcontainer in die Filiale zu bringen ist viel lauter als angenommen“, so Stockmann. Wo die Ladebordwand auf den Boden aufsetzt, müssen daher Gummimatten verlegt werden, Gitterwagen rollen statt auf Hartplastik- auf weichen Gummirollen die Druckluft vom Kompressor des Lkw wird mit einem Abluftschalldämpfer abgelassen und Paletten werden mit geräuscharmen Elektro-Niederhubwagen in die Filiale gefahren: „Schließlich sind auch noch die Fahrer zu schulen, denn die Türen müssen leise geschlossen werden, das Radio darf nicht laufen und der Fahrer darf nicht telefonieren, wenn er aussteigt“, erklärt Daniela Kirsch. Alles in allem war der Versuch erfolgreich: „Wir konnten die vorgegebenen Grenzwerte sogar unterschreiten“, berichtet die Projektleiterin.
Die Nachtlogistik ist noch teurer als die Anlieferung am Tage
Grundsätzlich ist also leise Nachtlogistik möglich – und darin sieht man bei Rewe große Chancen: „Das steigende Verkehrsaufkommen in Verbindung mit der vielerorts an ihre Grenzen stoßenden Infrastruktur sorgt für erheblich erschwerte Auslieferbedingungen“, heißt es im Abschlussbericht von GeNaLog. Die Kette sieht sich steigenden Ansprüchen der Kunden gegenüber, „die ein immer höheres Maß an Produktfrische und Warenverfügbarkeit erwarten.“ Die Belieferung in der Nacht könnte helfen, beide Probleme zu lösen. Werden die Waren vor Ladenöffnung eingeräumt, sind sie frischer und für die Kunden gleich am Morgen verfügbar.
Zudem lassen sich Lkw besser auslasten, wenn zusätzlich zu den Tagtouren noch Nachttouren gefahren werden. Dieser Transporte müsste dann nicht im morgendlichen Berufsverkehr geschehen. Für viele Städte wäre das ein echter Gewinn, denn aktuell sagt die Verkehrsverflechtungsprognose 2030 des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur voraus, dass die Transportleistung auf den Straßen zwischen 2010 und 2030 um fast 40 Prozent steigen wird.
Doch die nächtliche Lieferung hat ihren Preis: Laut der Fraunhofer-Studie zeigte sich, dass die Kosten des leisen Transport bei Rewe um rund sechs Prozent höher liegen, als bei einer Auslieferung am Tage – vor allem wegen der Investitionen in teurere E-Lkw. Bei der REWE Group fährt bislang nur ein Elektro-Laster.
Monatelange Genehmigungsschleifen
Nicht nur die hohen Investitionskosten halten die großen Lebensmittelketten noch davon ab, das Konzept flächendeckend auszurollen. „Es gibt im Moment keine Planungssicherheit und keine einheitlichen Regelungen: Selbst für den Pilotversuch war es schwierig und langwierig, eine Sondergenehmigung zu bekommen “, sagt Martin Stockmann vom Fraunhofer-Institut.
Planungsverfahren dauerten zu lange und es werde an unsinnigen Grenzwerten oder Verordnungen festgehalten, kritisiert Thomas Wimmer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Bundesvereinigung Logistik (BVL) die herrschende Praxis. Im Oktober hat die BVL die politisch Verantwortlichen in Berlin in einem offenen Brief aufgefordert, bürokratische Hindernisse zu beseitigen und damit auch der Nachtlieferung den Weg zu ebnen. Bislang gebe es „keine gemeinsame Roadmap“ für die urbane Logistik. „Selbst Modellversuche der Wirtschaft zur Verbesserung der Abläufe stecken in monatelangen Genehmigungsschleifen von Behörden fest“, heißt es weiter. Wimmer fordert: „Entscheidungen über Verordnungen müssen schnell und pragmatisch getroffen werden. Gesetzliche Vorgaben für Anlieferzeiten müssen angepasst werden, wenn die Voraussetzungen für niedrigere Geräuschentwicklung bei Nachtanlieferungen realisiert worden sind.“
Zertifikat für leise Logistik könnte helfen
IML-Projektleiterin Kirsch hofft, dass der gelungene Pilotversuch Signalwirkung entfaltet: „Wir glauben, dass es wichtig war, jetzt diese Vorarbeit zu leisten und zu zeigen, dass es technologisch heute schon möglich ist, so leise zu liefern.“ Mehr Planungssicherheit für die Unternehmen würde nach ihrer Einschätzung ein System wie in den Niederlanden bieten: Dort können Fahrzeuge und Equipment durch Messungen das PIEK-Zertifikat erwerben und sind damit generell für den Einsatz bei Nachtbelieferungen zugelassen.
Im Nachbarland habe sich in Tests gezeigt, dass eine Strecke von 35 Kilometern nachts in 30 statt in 90 Minuten zurückgelegt werden kann und sich Kraftstoffverbrauch und Emissionen damit deutlich verringern. „Vorstellbar wäre ein Label ‚Leise Logistik’. Und wer das hat, darf auch nachts liefern“, schlägt Kirsch vor. Ohne solche Sicherheiten sieht auch Projektmitarbeiter Stockmann die Nachtlogistik noch in einiger Ferne: „Solange langwierige Genehmigungsverfahren den Einstieg erschweren, wird sich keiner dazu entschließen.“