Wer seine Kunden besser bedienen und seine Mitarbeiter motivieren will, sollte sich Rat bei Spieldesignern holen, sagen Experten im jungen Forschungsfeld Gamification: Games sind ein Musterbeispiel dafür, wie man Systeme um seine Nutzer herum entwickelt – und betriebliche Prozesse viel effektiver gestalten kann.
Die Logistik hat viele unbesungene Helden. Menschen, die tagein, tagaus Aufgaben erfüllen, ohne die keine Bestellung umgesetzt und kein Paket ausgeliefert werden könnte. Kommissionierer zum Beispiel, die im Lager unterwegs sind und aus den Beständen die Warenkörbe für die Auslieferung zusammenstellen. Ein Job, der Tempo und Präzision erfordert – eine Leistung, die der Kunde oft nicht sieht. Um die Mitarbeiter zu motivieren, setzen Unternehmen bislang vor allem auf finanzielle Anreize, sagt der Psychologe Michael Sailer von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München – dabei gebe es viel bessere Motivatoren: die Gemeinschaft mit den Kollegen, Spaß und Anerkennung der eigenen Arbeit.
Spaß, Gemeinschaft, spürbare Erfolge – das sind auch die tragenden Elemente eines Spiels. Seit Jahren befassen sich Designer, Forscher und Berater damit, wie Design-Elemente von Computerspielen auf andere Lebensbereiche übertragen werden können, um Alltagsaufgaben attraktiver zu machen. Als Gamification ist dieser Ansatz bekannt, den Kunden vor allem von Punkte-Sammelsystemen wie Payback kennen. „Das ist eigentlich nichts anderes als die Rabattmarken, die man in den 80er-Jahren gesammelt hat“, sagt Christoph Brosius der mit seiner Agentur „Die Hobrechts“ Unternehmen darin berät, wie sie die Erfahrungen der boomenden Computerspielbranche für sich nutzen können.
„Wenn wir mit Kunden arbeiten, kommt am Ende in den seltensten Fällen etwas heraus, das wie ein Spiel aussieht“, sagt Brosius. „Es geht um die Perspektive, das Denken dahinter.“ Ein Ansatz, der auch für die Logistik sehr interessant ist. Zum Beispiel bei der Entwicklung von Smartphone-Apps, mit denen der Empfänger live verfolgen kann, wo sich sein Paket gerade befindet, und es bei Bedarf noch auf den letzten Metern umleiten kann.
Was das mit Spielen zu tun hat? Dass aus einer Blackbox ein transparenter Vorgang wird, an dem sich der Kunde gerne beteiligt – ohne Einstiegshürden, ohne ein Handbuch lesen zu müssen. „Ein gut designtes Spiel ist ein perfekter Feedbackmechanismus. Ich bekomme Rückmeldung vom System, daraus kann ich lernen und mein Verhalten anpassen. Dadurch bleibe ich im Flow und bin nie über- oder unterfordert. Und ich weiß immer, was das Ziel ist“, sagt Brosius. Seine provokante These: „Im Vergleich dazu ist der überwiegende Teil unserer Umwelt ein schlecht designtes Game mit schlechtem Feedback auf jeder Ebene.“
Ein Problem sieht er darin vor allem für die Arbeitswelt, die nicht genug Anreize für die heranwachsenden Generationen biete: „Wir erleben gerade die erste Entscheidergeneration, die mit Computerspielen aufgewachsen ist und ganz andere Erwartungen daran hat, wie die Welt um sie herum gestaltet sein muss.“ Mit undurchschaubaren Betriebs-Strukturen und benutzerunfreundlichen Systemen könne man bei dieser Generation nicht mehr landen, weder als Arbeitgeber noch als Anbieter.
„Letzten Endes geht es darum, vom Menschen her zu denken, wenn wir unsere Umwelt gestalten“, sagt Brosius, der statt von „Gamification“ lieber von „Game Thinking“ spricht – in Anlehnung an „Design Thinking“, eine Innovationsmethode, die sich komplett um den Nutzer dreht. Stark vereinfacht heißt Design Thinking: Erst herausfinden, was der Nutzer braucht und was ihn motiviert, dann Ideen entwickeln – anstatt erst eine Idee zu entwickeln und sich dann zu überlegen, wie man sie dem Nutzer verkauft.
Auch Lutz Woellert vom Hannoveraner Beratungsunternehmen Identitätsstiftung bevorzugt den Begriff Game Thinking. „Bei Gamification denken viele nur an Bonuspunkte und Badges (Abzeichen), die es für irgendwelche Tätigkeiten oder Leistungen gibt. Aber es geht um etwas ganz Anderes: Spieleentwickler haben eine besondere Sichtweise, die Unternehmen viel mehr in ihre Designprozesse einbinden sollen.“
Zum Beispiel bei der Gestaltung von Warenwirtschaftssystemen: „Niemand würde sagen, ich habe Spaß an meinem Warenwirtschaftssystem,“ sagt Woellert. „Aber dann schauen Sie sich das Computerspiel Eve Online an. Das ist eine hoch komplexe Science-Fiction-Welt, in der die Spieler Wirtschaftsimperien aufbauen. Da machen tausende Menschen nichts Anderes, als den perfekten Warenfluss von A nach B zu organisieren.“ Inzwischen würden Logistikunternehmen schon Mitarbeiter in der Eve Online-Community rekrutieren.
Wie sich Spielmechanismen direkt auf Arbeitsabläufe anwenden lassen, haben Forscher der LMU und der TU München in der Intralogistik erprobt. In ihrem Verbundforschungsprojekt GameLog studierten sie die Motivationslage von Kommissionierungs-Mitarbeitern und entwickelten auf dieser Grundlage ein Spiel. Das Prinzip: Um sichtbare Anerkennung, Erfolgserlebnisse und ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen, treten die Mitarbeiter in einer virtuellen Liga gegeneinander an – ähnlich wie in einem Bundesliga-Simulator. Erfolg oder Misserfolg ihrer digitalen Spielfiguren (Avatare) hängt von ihren realen Arbeitsleistungen ab. Der erhoffte Effekt: Wenn eine schnell und fehlerlos abgewickelte Bestellung in einen für alle anderen sichtbaren Spielerfolg umgemünzt wird, steigert das Motivation und Leistung.
„Das hat sich auch so bestätigt“, sagt Michael Sailer, der seine Doktorarbeit über das GameLog-Projekt geschrieben hat. „Einer unserer Logistik-Partner hat auf der Grundlage schon eigene Applikationen umgesetzt.“ Auch das Forscherteam erwägt eine weitere Studie: „Gamelog haben wir ja in einer künstlich gebauten Lagerumgebung getestet“, sagt Sailer, „man braucht solche experimentelle Studien, um die Wirksamkeit vom Gamification-Ansätzen nachzuweisen. Aber wir würden das Konzept natürlich auch gerne in der Praxis implementieren.“
„Die Rahmenbedingungen müssen stimmen“
Mit einem ähnlichen System experimentiert auch das IT-Haus Arvato Systems; hier treten Kommissionierer in virtuellen Sportligen gegeneinander an, bei denen ihre Leistungen zum Beispiel über den Erfolg einer Fußballmannschaft oder eines Rennradteams entscheidet. „Das ist aber eher noch in einer explorativen Phase“, sagt Chief Marketing Officer Marcus Metzner. „Wir integrieren das auf Wunsch beim Kunden in dessen Business-System und schauen uns an, wie das bei den Mitarbeitern ankommt.“
Damit Gamification-Ansätze funktionieren, müssen die Rahmenbedingungen stimmen, sagt Michael Sailer. „Dazu gehört zum Beispiel, dass die Mitarbeiter gerecht bezahlt werden, nicht übermäßig viel arbeiten müssen und es keine schwer wiegenden Dispute mit der Vorgesetzenebene gibt. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass hier ein Kontrollinstrument eingeführt wird.“
Auch Christoph Brosius warnt vor Blauäugigkeit: „Es ist eines der größten Missverständnisse, wenn man glaubt, man könne seine Leute motivieren, nur, weil man Punkte oder Badges irgendwo dranklebt.“ Wichtig sei, eine intrinsische Motivation zu wecken: „Die Tätigkeit muss gut gestaltet sein, du musst dich gut verorten können, du musst in deinem sozialen Umfeld Bestätigung und Rückhalt bekommen.“
Mit diesem Ansatz, sagt Woellert, könne man viele Probleme im Arbeitsalltag angehen. „Ich habe zum Beispiel mit einem Logistik-Unternehmer darüber gesprochen, wie man die Fahrer animieren kann, ihre Ruhepausen einzuhalten. Oder nehmen Sie das verstaubte betriebliche Vorschlagswesen, da sind auch ganz andere Ansätze denkbar.“
Das Spiel, so scheint es, hat gerade erst begonnen.