Nachhaltiges Bauen – das klingt nach teuren Vorzeigeimmobilien mit Dachgarten, Naturholzfassaden und Regenwassertoiletten. Nichts für nüchterne Nutzbauten wie Verteilzentren und Lagerhallen. Falsch, sagt Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB): Gerade stark beanspruchte Logistikimmobilien rechnen sich besser, wenn sie nachhaltig geplant werden.
Hermes: Wenn ein Bauherr sich von Ihnen bescheinigen lassen will, dass sein Gebäude nachhaltig ist, muss er bis zu 40 Kriterien erfüllen und einen mehrstufigen Prüfprozess durchlaufen. Wer leistet sich einen solchen Aufwand?
Lemaitre: Das Bewusstsein für nachhaltiges Bauen wächst in vielen Branchen. Bei hochwertigen Büroimmobilien zum Beispiel, viele internationale Konzerne ziehen ja nur noch in zertifiziert nachhaltige Flächen ein. Und besonders viel passiert in der Logistikbranche, da ist Nachhaltigkeit inzwischen ein Wettbewerbsthema, mit dem man sich in diesem dynamischen und schnell wachsenden Markt abheben kann.
Welche Vorteile hat die Zertifizierung konkret für die Logistikunternehmen?
Lemaitre: Sie bringt eine Qualitätssicherung in den Bauprozess ein, und das kommt gerade in dieser Branche gut an, weil die Gebäude hier stark beansprucht werden. Beim nachhaltigen Bauen geht es ja nicht nur um Ökologie, sondern darum, wie sich das Gebäude über den ganzen Lebenszyklus bewährt. Man baut nicht mal eben schnell und günstig, sondern stellt die Qualitätsfrage nach vorne und plant das Gebäude so, dass man eben nicht im Betrieb auf einmal wahnsinnige Kosten hat und lauter Materialien austauschen muss. Viele Unternehmen, die diesen Prozess einmal durchlaufen haben, übernehmen das als Standard und haben so eine Vorlage, nach der sie an jedem Standort in dieser Qualität bauen können.
Ist ein nachhaltiges Gebäude denn sehr viel teurer als ein konventionelles?
Lemaitre: Nein, nicht per se. Es geht ja darum, dass man einen intensiven Planungsprozess durchläuft und sich ganz bewusst für bestimmte Lösungen und Materialien entscheidet und alles dokumentiert. Und sich fragt: Wie entwickelt sich das Gebäude? Kann es nochmal umgebaut werden für eine andere Nutzung? Ein so geplantes Gebäude weist über den Lebenszyklus eine ganz andere Qualität auf.
Welche Rolle spielen in Ihrem System biologische Baumaterialien?
Das kommt immer darauf an in welchen Mengen und für welchen Zweck diese eingesetzt werden. Wir schließen grundsätzlich keine Produkte aus und bevorzugen auch keine Produkte. Am Ende geht es um die Gesamtperformance die sich je nach Produkt in den unterschiedlichen Kriterien wie beispielsweise der Ökobilanzierung, oder der Lebenszykluskostenberechnung unterschiedlich abbildet.
Was darf bei Ihnen denn gar nicht verwendet werden?
Lemaitre: Einen Ausschluss von konkreten Produkten gibt es im DGNB System nicht. Es geht uns um den bewussten Einsatz von idealerweisen schadstofffreien Bauprodukten. Die Wirkungsweise aller Materialien wird am Ende durch die bei uns verpflichtend durchzuführende Innenraumluftmessung abgeprüft. Wenn die Grenzwerte hier nicht erfüllt werden, dann ist das Projekt nicht zertifizierbar.
Und wie wirkt sich die Zertifizierung auf die Wertentwicklung aus?
Lemaitre: Da gibt es für den deutschen Markt keine belastbaren Zahlen, das Thema entwickelt sich ja erst seit etwa fünf Jahren sehr dynamisch. Wir hören aber von unseren Mitgliedern, dass sie bei Gebäuden mit Zertifikat kürzere Leerstände haben. Und wir sehen, dass Projekte mit hoher Auszeichnung, also auf Platin- oder Gold-Niveau, in den Lebenszykluskosten tendenziell niedriger liegen als z.B. auf Silber-Niveau.
Gibt es eigentlich noch andere Nachhaltigkeitszertifikate auf dem deutschen Markt?
Lemaitre: Ja, es werden hier noch zwei Systeme aus den USA und Großbritannien angewendet, was wir schade finden. Die angelsächsischen Systeme setzen auf Vereinfachung und Checklisten. Da gibt es dann Punkte für Fotovoltaik oder ein Gründach, aber ob das alles ins Konzept passt und auch sinnvoll ist für Ökobilanz und Kostenentwicklung, wird da nicht berücksichtigt. Da haben wir in Europa doch ein anderes Nachhaltigkeitsverständnis, und wir legen auch mehr Wert auf Innovation – die brauchen wir auch, wenn wir unsere ehrgeizigen Klimaschutzziele erreichen wollen.
Wieviel Innovationspotenzial steckt denn noch im nachhaltigen Bauen?
Das kommt natürlich auch auf den Bauherrn an. Aber wir sehen, dass man sich kritisch auseinandersetzt mit Fragen wie: Brauche ich wirklich ein hoch gedämmtes Hightech-Gebäude? Oder ist ein intelligentes Gebäude nicht eines, das einfach über effiziente Lüftungssysteme den gleichen Komfort herstellen kann? Da sehen wir schon große Innovationsfreude. Auch wenn die in Deutschland vielleicht ein bisschen gedämpft wird durch Regularien und Haftungsthemen.
Kann ich eigentlich auch mein bestehendes Gebäude zertifizieren lassen?
Lemaitre: Ja, seit letztem Jahr haben wir ein Zertifikat für Gebäude im Betrieb. Das ist ein sehr schlankes System mit neun Kriterien, bei denen es vor allem darum geht, wie man den Betrieb optimieren kann, bevor man an bauliche Maßnahmen geht. Da geht es um Energie- und Wasserverbräuche ebenso wie darum, wie die Nutzer sich im Gebäude bewegen.
Sie achten also nicht nur auf Energie, Schadstoffe und Recycling, sondern auch auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter?
Lemaitre: Auf jeden Fall. Wir bauen ja nicht als Selbstzweck, sondern wir bauen für Menschen. Es geht um Dinge wie Tageslicht im Inneren, um Aufenthaltsräume, um Luftqualität – darum, dass man sich auf der Arbeit so wohl fühlt, wie das eben geht. Manchmal sind das nur Kleinigkeiten, ein anderes Anordnen der Räume. Wichtig ist uns, dass man diese Punkte bewusst mit plant und ihnen eine Priorität zuweist – anstatt sie nur als Posten zu sehen, die man im Zweifelsfall streicht, um Geld zu sparen. Das macht uns Spaß und macht uns stolz, wenn wir bei unseren Bauherren sehen: Da hat sich was im Denken geändert.