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Neue Utopien gesucht

Energie der Zukunft? Fliegende Windturbinen werden seit einigen Jahren in den USA für die alternative Stromgewinnung getestet. (Foto: Altaeros Energies/Valentin Angerer)

Big Data, das Internet der Dinge und die Industrie 4.0 beherrschen die Medien. Spätestens seit die Bundesregierung im August letzten Jahres die digitale Agenda vorgelegt hat, ist dem Thema ein Stammplatz in der Tages- und Wirtschaftspresse sicher. Joe Kaeser, der Siemens Chef, betitelte die Industrie 4.0 im Vorfeld der diesjährigen Hannover Messe gar als Schicksalsfrage der deutschen Industrie. Der Wirtschaftsstandort Deutschland als drittgrößte Exportnation weltweit will Flagge zeigen – und die Politik soll dabei proaktiv Flankenhilfe leisten.

Die internationalen Top-Konzerne starten zahlreiche Leuchtturmprojekte wie das Internet der Dinge das Leben von morgen verändern wird. Volkswagen testet eine Datenbrille für den Einsatz in der Lagerhaltung. Während die intelligente Brille im medizinischen Bereich beispielsweise einem Chirugen die Planungsdaten für Operationen einblenden kann, soll sie im Volkswagen-Werk bald die Handscanner ersetzen. VW-Chef Winterkorn persönlich posierte für die öffentliche Ankündigung mit einem Modell vor der Kamera. Samsung will noch in diesem Jahr intelligente Haushaltsgeräte (Kühlschränke, Waschmaschinen und Klimaanlagen) auf den Markt bringen. Seit 2012 pilotiert Google offiziell selbstfahrende Autos auf Kaliforniens Straßen und investiert in fliegende Windturbinen oder Roboter mit künstlicher Intelligenz. Feldversuche, die mal als Charmeoffensive, mal als Horrorszenario in den Medien große Beachtung finden.

Erst jüngst überraschte Google mit Hintergrundgeschichten, die fast wie Homestories anmuten. Denn für die Mai-Ausgabe des Stern gewährte der US-Konzern einem deutschen Reporterteam drei Tage Zugang zum Google Campus im Silicon Valley. Und im großen Zeit-Interview sprach Google Gründer Larry Page über seine Vision, die Welt zu verändern.  Er kann sich vorstellen, das Internet in die entlegensten Winkel der Welt zu  bringen – in Ballons.

Bis 2020 sollen rund 30 Milliarden Objekte miteinander vernetzt über das Internet verbunden sein. Tausende Sextillionen Werkstücke, Maschinen und Werkzeuge können dann miteinander kommunizieren. Doch wem gehören diese Daten, wie wird auf EU-Ebene eine Datenschutz-Grundverordnung organisiert? Der Schutz von Sachdaten ist bislang nicht eindeutig geregelt. Und auch der Umgang mit Personendaten ruft vor allem in Europa nicht erst seit den Enthüllungen im NSA-Skandal Ängste hervor. Ihre Sicherheit im Netz kann zwar durch juristische Maßnahmen in der Theorie festgelegt, in der Praxis aber kaum gewährleistet werden.

Deutschland will eine Vorreiterrolle bei der Nutzung und Weiterentwicklung von digitalen Technologien einnehmen. Dabei geht es um die Beantwortung von Fragen, wie das Arbeiten in einer digitalen Wirtschaft beispielsweise in „smart factories“ aussehen könnte und welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen. Bis 2018 investiert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) rund 30 Millionen Euro in eine Smart-Data-Initiative.  Gefördert werden Projekte im Bereich Industrie, Mobilität, Energie und Gesundheit. Für junge IT-Unternehmen und Startups stehen spezielle Fördermaßnahmen bereit.

Doch bei allem gegenwärtigen Hype um die digitale Transformation warnen Industrie- und Arbeitgeberverbände vor einer riesigen Lücke, die zwischen  Zukunftsvision und dem betrieblichen Alltag im Mittelstand klafft. Es fehlt an Grundlagen zur Umsetzung einer vernetzten Produktion. Auch sind viele Mitarbeiter für den Einsatz der neuen technischen Möglichkeiten noch nicht ausreichend geschult. Selbst die Fastmover wie Google, Apple und Microsoft haben nicht sofort Patentrezepte für die Konsequenzen ihrer Feldversuche parat. Zwar werden Statistiken darüber geführt, wie oft ein selbstfahrendes Auto in Kalifornien einen Unfall verursacht. Aber was passiert, wenn zukünftig ein Fahrzeug über Leben und Tod entscheidet und der Mensch nur noch bedingt eingreifen kann?

 „Big Data“ wird also zweifelsfrei eine große Rolle in der digitalen Revolution zugemessen – ohne dabei alleiniger Wegbereiter für eine schöne neue Welt zu sein. Im kürzlich veröffentlichten Geschäftsbericht der Otto Group ist zu lesen: Der Bereich Business Intelligence treibt die digitale Transformation voran.  Dabei geht es um das Aufspüren von neuen Technologien: Das Sammeln, Analysieren und Vernetzen von Daten. Algorithmen und Prognosesoftwares werden entwickelt, die auch den Konzerntöchtern zu Gute kommen. Vielversprechende Ansätze gibt es. Ein Beispiel ist die Paketankündigung, die die Zustellung eines Paketes für ein bestimmtes Zeitfenster vorhersehen kann. Die Logistik ist zunehmend mit der Fragestellung konfrontiert, wie sich die digitale Transformation auf ihr Geschäftsfeld auswirkt.

Doch wie sieht das Paketnetzwerk der Zukunft aus? Spielt dabei ein fahrbarer 3-D-Drucker in einem LKW eine Rolle, der das bestellte Produkt auf der Fahrt zum Kunden erzeugt? Eine andere Alternative ist die Paket-Rohrpost. In Großbritannien schweben Pakete in Kapseln auf einem Magnetfeld durch ein unterirdisches Tunnelsystem. Auch Drohnen wurden von Amazon für die Paketzustellung in den USA und aktuell in Kanada getestet. Allerdings können sie derzeit nur Pakete bis maximal zwei Kilo tragen. Regularien der Luftaufsichtsbehörden gilt es außerdem zu beachten.

Auf der Suche nach dem „neuen heißen Scheiß“ wie es im neudeutschen Slang heißt, gilt es einen kühlen Kopf zu bewahren und auch mal an kleineren Stellschrauben zu drehen. Vielleicht ist der Kunde von morgen schon mit profaneren Ideen als dem „next big thing“ zufrieden. Beispielsweise einer Zustellung seines Paketes in den Kofferraum seines Autos oder zu einem vorab exakt definierten Zeitfenster. Das klingt allemal sympathischer, als wenn Drohnen den Himmel verdunkeln und Pakete als unbemannte Luftfracht herabfallen.

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