Der VDI erstellt regelmäßig Studien zur Ökobilanz von Fahrzeugen mit verschiedenen Antrieben – ein wichtiges Fundament für den Einsatz von E-Autos. Wie wird eine Ökobilanz überhaupt berechnet?
Christof Kerkhoff: Dabei fließen mehrere Punkte ein. Zum einen betrachten wir den Herstellungsprozess des Fahrzeugs: Wir berücksichtigen den Energieaufwand aller Komponenten, die im Auto verbaut sind, inklusive Vorkette. Dann schauen wir auf den jeweiligen Treibstoff, der für den Betrieb eingesetzt wird. Und auch dabei berücksichtigen wir Prozesse in den Vorketten, beispielsweise die Raffinierung und den Transport. Bei Elektrofahrzeugen heißt das, dass wir entsprechend berücksichtigen, wie der Strom produziert wurde. Diese Werte bilanzieren wir für einen Zeitraum von rund 15 Jahren und über 200.000 gefahrene Kilometer.
Lebensdauer von Batterien ist länger als gedacht
Ist auch die CO2-Bilanz nach dem Lebensende Teil der Berechnung? Sprich: Wie gut lassen sich die jeweiligen Fahrzeuge und ihre Bestandteile recyceln?
Christof Kerkhoff: Diesen Bereich möchten wir gern stärker berücksichtigen, aber das ist aufgrund schwacher Datenlage nicht so leicht. Bislang gibt es nur Verfahren, um Akkus in kleinen Mengen wieder zu verwerten. Es ist sogar möglich, sie als Stromspeicher für private Photovoltaikanlagen zu nutzen.
Aber es gibt noch kein Recycling im industriellen Maßstab, da bislang schlichtweg noch sehr wenige Akkus überhaupt recycelt werden. Denn die Lebensdauer der Batterien tatsächlich länger ist als man gedacht hat.Bei dem Großteil der Elektroautos, die derzeit im Betrieb sind, verfügen die Akkus auch nach vielen Jahren noch über mehr als 90 Prozent Leistung. Für den Fahrbetrieb wird es aber problematisch, wenn ein Akku unter 80 Prozent seiner Leistungsfähigkeit fällt. Bei den E-Mobilen, die ins Recycling gelangen, handelt es sich bei der Mehrzahl der Fälle nicht um Fahrzeuge, die das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben, sondern um Unfallwagen. Darum fehlen uns Erfahrungswerte.
Die gute Nachricht daran ist ja die lange Lebensdauer der Batterien …
Christof Kerkhoff: Tatsächlich gehen wir in unserer aktuellen Studie davon aus, dass bei dem Durchschnittswert von 200.000 Kilometern innerhalb von 15 Jahren gar kein Akkuwechsel anfällt. Aber im Einzelfall kann das sehr anders aussehen. Legt ein Vielfahrer 50.000 Kilometer im Jahr zurück, wird die Batterie stärker beeinträchtigt. Und wenn sie gewechselt werden muss, wirkt sich das negativ auf die Ökobilanz aus. Denn der größte Faktor dabei ist die Herstellung der Batterie; sie allein verursacht rund die Hälfte der gesamten CO2-Emissionen.
Durchschnittlich 90.000 Kilometer als Marke
Ab wann ist ein Elektroauto dann „klimafreundlicher“ als Verbrenner?
Christof Kerkhoff: Durchschnittlich nach 90.000 Kilometern. Grundlage für diese Berechnung ist der typische Strommix im deutschen Stromnetz. Das sieht natürlich anders aus, wenn das Auto ausschließlich mit grünem Strom betrieben wird. Dann liegt der CO2-Ausstoß auf den angenommenen 200.000 Kilometern bei 19 statt bei sonst 24 Tonnen – so kann ein Fahrzeug bereits nach 65.000 Kilometern die bessere Ökobilanz erreichen.
Und wie lautet das Fazit der Studie?
Christof Kerkhoff: Das E-Auto ist das Mittel der Wahl. Aber: Von 43 Millionen Autos in Deutschland haben derzeit lediglich 1,4 Millionen einen Elektro-Antrieb – und dabei sind Hybrid-Antriebe schon mit eingerechnet. Es ist also noch ein weiter Weg, bis der gesamte Fahrzeugbestand elektrisch sein wird. Die Bundesregierung hat dazu gesetzlich die Weichen gestellt, aber entscheidend wird auch sein, dass E-Fahrzeuge bezahlbar werden und ausreichend grüner Strom produziert wird, um alle Fahrzeuge zu betreiben.
Schwere LKW mit E-Antrieb sind noch selten
Das sind die Zahlen für den privaten Pkw-Verkehr. Der verursachte 2022 rund 115 Millionen Tonnen an CO2-Emissionen. Der Güterverkehr sorgte noch einmal für 60 Millionen weitere Tonnen. Wie hoch ist dort der Anteil von Elektromobilen?
Christoff Kerkhoff: Aktuell sind knapp vier Millionen LKW in Deutschland zugelassen, davon sind rund 200.000 Sattelschlepper. Bei allen zusammen betrug die Zahl der alternativen Antriebe Anfang 2024 rund 79.000, das war also ein sehr geringer Prozentsatz. Allerdings gibt es gewaltige Unterschiede zwischen den leichten Nutzfahrzeugen bis 3,5 Tonnen und den schweren Nutzfahrzeugen. Bei den letzteren gab es gerade mal 3.400 Fahrzeuge mit Elektrobetrieb. Bei den leichten Nutzfahrzeugen waren es aber 57.500, also wesentlich mehr.
Liegt das daran, dass die KEP-Branche zunehmend Elektrofahrzeuge einsetzt?
Christoff Kerkhoff: Die KEP-Branche hat insgesamt 140.000 leichte Nutzfahrzeuge im Einsatz. Wie viele davon elektrisch betrieben werden, wissen wir nicht. Aber ich denke, dass KEP einen großen Anteil ausmacht. Es gab ja einen regelrechten Run bei der Flottenumstellung. Und für die Feinverteilung, die sogenannte Letzte Meile, ist das auch sehr sinnvoll. In dem Bereich kann man die durchschnittlichen Fahrten mit einer einzelnen Batterieladung schaffen. Das ist geradezu der ideale Einsatzzweck für gewerbliche E-Mobile.
Und wie erklären Sie sich die Zurückhaltung bei den schweren Nutzfahrzeugen?
Christof Kerkhoff: Die Herausforderungen im schweren Lastverkehr sind noch sehr groß. Da ist zum einen das Gewicht der Batterie. Die Batterien, die derzeit verwendet werden, wiegen enorm, bei einem Sattel-LKW sind das zwei bis fünf Tonnen. Das reduziert natürlich die Nutzlast deutlich, und die Branche ist ja von hohem Kostendruck getrieben. Hinzu kommt die fehlende Lade-Infrastruktur. Wir haben in Deutschland ja noch nicht mal genug Rast- und Parkplätze für LKW, geschweige denn eine Ladeinfrastruktur.
Wer könnte denn da am ehesten etwas dran ändern?
Christof Kerkhoff: An den Fernachsen sind es die Betreiber der Raststätten. Es muss Fläche vorhanden sein – und genügend Strom an dieser Fläche auch. Im Prinzip brauchen wir noch einmal die gesamte Infrastruktur, die wir für Pkw benötigen.
Vielen Dank für das Gespräch!