Herr Professor Mau, der Black Friday wirkt wie ein kollektiver Rausch: überall Rabatte, Countdowns, Reize. Was passiert dabei mit uns in psychologischer Hinsicht?
Gunnar Mau: Bei zeitlich verknappten Angeboten wie dem Black Friday kommen mehrere psychologische Motive gleichzeitig zum Tragen. Da ist erstens das Erlebnis, ein Schnäppchen zu machen. Es löst ein starkes Belohnungsgefühl aus, fast wie ein kleiner Lottogewinn. Das zweite Motiv ist die „Fear of Missing Out“ (FOMO): Selbst wenn uns rational klar ist, dass wir etwas gar nicht brauchen, fragen wir uns: „Was, wenn ich morgen bereue, es nicht gekauft zu haben?“ Und drittens ist da die soziale Komponente: Beim Black Friday sind sehr viele Menschen dabei. Und lösen ein uraltes psychologisches Prinzip aus: Wenn alle in den Himmel schauen, gucke ich auch hoch. Interessanterweise spielen die Rabatte selbst dabei eine geringe Rolle: Die Produkte müssen gar nicht viel billiger sein, und Studien zeigen, dass die meisten Menschen das auch wissen können.
Wie wichtig ist die sofortige Belohnung beim Kaufen?
Gunnar Mau: Der Effekt der „Instant Gratification“ ist tief uns verankert. Für viele von uns ist es sicherer, einen Gewinn sofort zu nehmen, als auf einen größeren, aber unsicheren Gewinn in der Zukunft zu warten. Das führt zu einer Verlustaversion, die in der „Prospect-Theorie“ beschrieben wird: Wir gewichten Verluste viel stärker als gleich große Gewinne. Sie kennen sicher die Studien mit Kindern, die vor die Wahl gestellt werden, einen Marshmallow zu essen, der vor ihnen auf dem Tisch liegt – oder aber mehrere Marshmallows zu bekommen, wenn sie eine Zeitlang warten. Die meisten wollen die Süßigkeit sofort essen – und diese Einstellung prägt uns auch noch als Erwachsene.
„Der künstliche Zeitdruck suggeriert, dass wir sofort handeln müssen“
Wie stark beeinflussen Emotionen unsere Kaufentscheidungen – im Vergleich zu rationalen Überlegungen?
Gunnar Mau: Die meisten Konsumentscheidungen treffen wir emotional, denn Nachdenken kostet uns Zeit und Energie. Ob wir uns diese Mühe machen, hängt von drei Faktoren ab: Motivation, Fähigkeit und Gelegenheit. Das heißt: Die Entscheidung muss wichtig genug sein, damit wir überhaupt anfangen zu denken – etwa bei teuren Anschaffungen oder gesundheitsrelevanten Entscheidungen. Zweitens müssen wir in der Lage sein, die Vor- und Nachteile abzuwägen. Und drittens brauchen wir die Gelegenheit – müssen also Zeit haben zu überlegen. Das ist der springende Punkt beim Black Friday: Der künstliche Zeitdruck, etwa durch limitierte Angebote, suggeriert, dass wir sofort handeln müssen. Deshalb entscheiden wir überwiegend impulsiv.
Blinkende Rabatte und Countdown-Timer in Online-Shops sind also kein Zufall?
Gunnar Mau: Diese Tools werden strategisch eingesetzt. Sie sollen unsere Aufmerksamkeit erregen und Druck aufbauen. Hinweise wie „Nur noch 3 verfügbar“ oder „30 Sekunden bis zum Ende des Angebots“ lösen das Gefühl von Dringlichkeit aus und erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Spontankaufs. Auch Gamification-Elemente wie Fortschrittsbalken oder Punktesysteme spielen eine wichtige Rolle. Wir Menschen lieben es einfach, Aufgaben zu erfüllen – das verschafft uns große emotionale Belohnung, selbst wenn der tatsächliche Nutzen gering ist. Ich selbst reise zum Beispiel viel und habe deshalb auf einer Buchungsseite für Hotels irgendwann den „Goldstatus“ erreicht. Das hatte gar keine Bedeutung, ausser dass mir ein Freigetränk zustand, das ich nie eingelöst habe. Aber es freut einen trotzdem, auch wenn man es durchschaut.
„Wir sind keine willenlosen Roboter“
Das klingt so, als wären wir diesen Mechanismen hilflos ausgeliefert. Sind wir wirklich so leicht manipulierbar?
Gunnar Mau: Nein. Wir sind keine willenlosen Roboter, sondern können in aller Regel kompetente Entscheidungen treffen. Was ich beschrieben habe, erhöht lediglich die Wahrscheinlichkeit, dass wir kaufen – aber es zwingt uns nicht dazu. Auch gibt es natürlich Unterschiede, wie Menschen auf Kaufanreize reagieren: Wer gerne plant, ist zum Beispiel weniger anfällig. Viele nutzen den Black Friday inzwischen ja auch gezielt und kaufen Laptops oder Handy an diesem Tag, obwohl sie schon länger wissen, dass sie diese Dinge brauchen. Und schließlich sollte man auch nicht vergessen, wie wirksam das Prinzip der emotionalen Belohnung ist. Nicht wenige Menschen sehen Shopping als Stimmungsaufheller. Studien zeigen, dass diese „Retail Therapy“ meist gut funktioniert, weil wir dann zum Beispiel Selbstwirksamkeit in einer zunehmend unübersichtlichen Welt erfahren.
Was bedeutet das ständige Streben nach „Sofort!“ für unser Verhältnis zu Zeit allgemein? Werden wir immer ungeduldiger?
Gunnar Mau: Ich denke schon. Was wir erleben, beeinflusst unsere Erwartungen. Wenn ich mich daran gewöhne, dass etwas am gleichen Tag geliefert wird oder dass ich bei TikTok in 15 Sekunden eine ganze Geschichte erzählt bekomme, dann will ich diese Geschwindigkeit irgendwann überall – auch ausserhalb des Konsums. Das setzt Standards. Und es erhöht natürlich den Druck auf Lieferdienste. Wenn etwas nicht pünktlich geliefert wird, werden wir nervös oder sauer. Dabei lässt sich übrigens ein anderer psychologischer Effekt beobachten: Das „Service-Recovery-Paradox“: Wenn uns der Logistiker transparent erklärt, warum eine Lieferung nicht pünktlich war, macht uns das zufrieden. Paradoxerweise sogar zufriedener, als wenn der Störfall gar nicht erst eingetreten wäre. Natürlich muss die Erklärung nachvollziehbar sein und keine allgemeinen Angaben wie „Störungen im Betriebsablauf“.
Wie könnten Konsument*innen selbstbestimmter mit den beschriebenen Mechanismen umzugehen?
Gunnar Mau: Meiner Meinung nach wird Geduld zunehmend zur Schlüsselkompetenz im modernen Konsumverhalten. Der Weg vom Impuls zur Kaufentscheidung ist heute extrem kurz – vor allem online oder auf dem Smartphone. Deshalb ist es wichtig, sich selbst Zeit zum Nachdenken zu geben und sich zu fragen: Brauche ich das wirklich? Die Antwort nach einem Tag oder auch nur wenigen Stunden dürfte für viele überraschend sein.
Vielen Dank für das Gespräch!
ZUR PERSON:
Prof. Dr. Gunnar Mau hat Psychologie in Kiel und Mannheim studiert und an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen promoviert. Seit 2024 lehrt er als Professor für Marketing und Handel an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Schwerpunkte seiner Forschung sind Handelsmarketing, Konsumforschung und Verbraucherschutz.
