Der Onlinehandel wächst ungebremst, das Weihnachtsgeschäft 2018 wird für viele Händler erneut Umsatzrekorde bringen. Was bedeutet das für die Logistik? Und auf welche kommenden Zustelltrends sollten sich Händler schon jetzt einstellen? Wir sprachen mit Martin Borelius, Division Manager Sales bei Hermes Germany.
Martin, das Weihnachtsgeschäft läuft auf Hochtouren. Schläfst Du dieser Tage eigentlich im Büro?
Martin Borelius: Nein, zum Glück nicht. Zwar sind wir gerade in der heißesten Phase des Jahres. Bislang aber läuft alles, trotz deutlich steigender Mengen, soweit nach Plan. Von einem wirklichen Paketchaos kann also keine Rede sein, vom Schlafen im Office genauso wenig. Meine Familie dankt es mir.
Ist das eine Folge der genauen Vorplanung?
Martin Borelius: Exakt, die Vorplanungen greifen hier sehr gut. Wir haben gemeinsam mit unseren Händlern und Auftraggebern schon frühzeitig eine präzise Mengenprognose aufgestellt. Erste Planungen und Gespräche gab es schon Anfang 2018, das zahlt sich jetzt aus. Der Planungsbeginn für das Weihnachtsgeschäft 2019 ist also gar nicht mehr so fern. Nach Weihnachten ist eben vor Weihnachten.
Flexibilität bleibt wichtiges Kriterium
Mit welchen Veränderungen und Trends in der Logistik müssen Onlinehändler nächstes Jahr rechnen?
Martin Borelius: Es gibt definitiv mehrere große Trends, die 2019 und in den darauffolgenden Jahren an Bedeutung gewinnen werden. Gemeinsam mit dem ECC Köln und einigen ausgewählten Händlern, haben wir dazu kürzlich ein paar spannende Thesen aufgestellt.
Nämlich?
Martin Borelius: Eine wichtige – vielleicht sogar die wichtigste – Veränderung in der Paketbranche ist und bleibt sicherlich die Tatsache, dass die Haustürzustellung wegen des Fachkräftemangels immer mehr zum Nadelöhr wird. Das merken wir schon heute, angesichts der steigenden Paketmengen wird sich dieser Trend aber absehbar weiter verschärfen. Darauf müssen Händler reagieren, etwa indem sie schon im Bestellprozess alternative Zustellorte anbieten, z.B. PaketShops oder Packstationen. Das entlastet nicht nur das Gesamtsystem, es ist auch effizienter und deutlich ökologischer.
OTTO, Amazon und andere tun das doch längst.
Martin Borelius: Stimmt, aber gerade bei vielen kleinen und mittelgroßen Shops sehe ich noch Luft nach oben. Letztlich profitieren ja nicht nur wir als Paketdienst davon, wenn der Händler möglichst viele Versandoptionen anbietet – allen voran profitieren die Kunden. Sie können den Verlauf ihrer Sendung auf diese Weise passgenau customizen und das Paket so empfangen, wie sie wünschen. Flexibilität in der Zustellung ist und bleibt eben ein wichtiges Kriterium, das aktuelle Thesenpapier des ECC bestätigt das.
Wie steht es ums Thema Geschwindigkeit? Ist ein schneller Versand nicht viel wichtiger als unzählige Versandoptionen anzubieten?
Martin Borelius: Ja und nein. Unbestritten ist ein zügiger Versand in Deutschland ein wichtiger Wettbewerbsvorteil für Onlinehändler. Aber: Eine zuverlässige, planbare Zustellung ist laut Umfragen mindestens genauso wichtig. Für gerade einmal ein Fünftel der Kunden ist die Lieferung einer Ware am nächsten Tag entscheidend, für die große Mehrheit hingegen sind zwei bis drei Tage Laufzeit völlig okay. Gleichzeitig aber wollen mehr als zwei Drittel der Empfänger gern aktiv in den Lieferprozess eingreifen. Das zeigt, dass Geschwindigkeit nicht alles ist.
Andererseits boomt Same Day Delivery gerade in großen Städten, siehe Liefery.
Martin Borelius: Weil es dort eine kaufkräftige Klientel gibt, die gerade bei höherpreisigen Produkten gern bereit ist, mehr für eine schnellere Lieferung zu zahlen. Wie ich schon sagte: Individuelle, vom Kunden flexibel planbare Versandservices stehen momentan klar im Fokus und werden 2019 weiter an Bedeutung gewinnen. Taggleiche Zustellung ist sicher einer davon, aber auch andere, noch eher unbekannte Services sind im Kommen, etwa die „Vampire Delivery“ von Liefery und Kiwi.
Stärkere Differenzierung im Versand
Immer mehr Flexibilität hat aber auch ihren Preis. Wie kann ein immer differenzierter ausgestaltetes Angebot überhaupt noch wirtschaftlich abgebildet werden?
Martin Borelius: Natürlich ist das eine Herausforderung, gerade auch mit Blick auf die Marktsituation. Hermes hat im Frühjahr die Preise für Händler angepasst, das war ein wichtiger Schritt, um auf der Letzten Meile weiterhin erfolgreich bestehen zu können. Der Peak-Zuschlag im diesjährigen Weihnachtsgeschäft ist die logische Verlängerung.
Die Händler dürften solche Preismaßnahmen weniger freuen.
Martin Borelius: Freuen tut sich über höhere Preise natürlich keiner. Überraschenderweise haben allerdings viele Auftraggeber verständnisvoll reagiert, als unsere Vertriebsteams bei ihnen vorstellig wurden. Auch die Händler wissen, dass sie heute nur mit einer leistungsfähigen, guten Logistik am Markt bestehen können – und dass eine solche Dienstleistung Geld kostet.
Was empfiehlst Du Händlern für 2019?
Martin Borelius: Zu allererst einen Blick auf die sieben Thesen zur Zustelllogistik der Zukunft. Das ECC hat hier wirklich spannende Endkunden-Insights erhoben und daraus die wichtigsten Trends und Strömungen abgeleitet. Für Händler sicher eine interessante Sache! Abgesehen davon geht der Trend klar zu einer stärkeren Differenzierung im Versand: Wer z.B. Standard-, Express- und Same-Day-Optionen anbietet und im eigenen Interface verschiedene Lieferoptionen und -orte offeriert, ist auf einem guten Weg.
Also doch noch keine Lieferung per Drohne im nächsten Jahr.
Martin Borelius: Nein. Drohnen oder auch Roboter sind ohne Frage spannend, derzeit aber noch schlichtweg Zukunftsmusik. Für 2019 und auch die nächsten Jahre muss für die Händler vielmehr im Fokus stehen, eine möglichst breite Palette an Versandangeboten für die Onlinekunden zu schaffen. Nur so kann dem steigenden Paketaufkommen ebenso entsprochen werden wie dem wachsenden Anspruch der Besteller.
Danke für das Gespräch.