Es ist nicht immer leicht, den Überblick zu bewahren. Mal ist es der Schwarzwälder Schinken, der gerettet werden muss, dann sehen Kritiker das Filderspitzkraut oder die Stromberger Pflaume bedroht. Mal ist nur die Kulturlandschaft in Gefahr, dann wieder die ganz Demokratie. Und plötzlich ist es die einzig wahre Möglichkeit, die Welt vor dem Ruin zu retten.
Selten war ein internationaler Vertrag so umstritten wie das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, die Transatlantic Trade and Investment Partnership – kurz: TTIP. Ziel der Vereinbarung ist es, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen, in dem die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung erbracht würde. Und der 800 Millionen Menschen beherbergen würde.
Durch den Wegfall von Regulierungen und Hürden und die Verständigung auf einheitliche Standards versprechen sich die Vertragspartner neue Impulse und Wachstum für die Wirtschaft, sowie geringere Kosten für Unternehmen. Seit Sommer 2013 verhandeln die EU und die USA über die genauen Bedingungen. Ein Ende ist bisher nicht in Sicht.
Es gibt noch zu viele Baustellen
Anfang Juni hat EU-Parlamentspräsident Martin Schulz eine Abstimmung über die TTIP-Resolution im Gremium verschoben. Das kann er tun, wenn mehr als 50 Änderungsanträge eingegangen sind. Zur Erschließung zu dem geplanten Freihandelsabkommen lagen dem SPD-Politiker 116 Änderungsanträge vor. Die EU-Kommission ist zwar ermächtigt, die Verhandlungen zu führen, doch die EU-Parlamentarier müssen dem Ergebnis am Ende ebenso zustimmen wie die nationalen Parlamente. Und davon sind sie im Moment weit entfernt.
Im Mittelpunkt des jüngsten Streits stehen vier Buchstaben: ISDS. Sie stehen für „Investor-State Dispute Settlement“ und sind ein Instrument des internationalen Rechts. ISDS erlaubt es einem ausländischen Investor gegen einen Staat, in dem er investiert hat, ein Streitbeilegungsverfahren anzustoßen, wenn er seine Rechte verletzt sieht. Kritiker wie die Grünen im Europaparlament befürchten, dass US-Konzerne den Investitionsschutz im Freihandelsabkommen nutzen können, um gegen europäische Umwelt- und Sozialgesetze zu klagen, wenn sie ihre anvisierten Gewinne dadurch geschmälert sehen. Meist werden diese Verfahren auch noch vor privaten Schiedsgerichten ausgetragen.
Deutschland ist vom internationalen Handel abhängig
Deutschland ist bei dem Thema gespalten. Die Skepsis bei den meisten Bürgern ist groß. Über zwei Millionen Menschen aus ganz Europa haben die Bürgerinitiative „Stop TTIP“ schon mit ihrer Unterschrift unterstützt, die Hälfte davon kommt aus Deutschland. Sie fürchten um so ziemlich alles. Dass die staatliche Bildung verkommt, weil amerikanische Privatschulen in Deutschland Filialen aufmachen und die besten Lehrer abwerben. Und dass Nürnberger Würstchen künftig aus Kentucky kommen. Inzwischen hat sich auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) dem Anti-TTIP-Bündnis angeschlossen, dem neben Globalisierungsgegnern schon Umweltverbände und Kirchen angehören.
Die deutsche Wirtschaft dagegen setzt große Hoffnungen in das Abkommen und ist nicht erst wegen der jüngsten Ereignisse besorgt. Eine Studie, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft verfasst hat, trägt dann auch den Titel: „Gefahren durch Protektionismus und TTIP-Debatte“. Die Bundesrepublik gehört seit Jahrzehnten zu den treibenden Kräften der Handelsliberalisierung innerhalb Europas. Deutschland lebt vom Export. Und ist vom internationalen Handel sehr viel stärker abhängig als andere Länder. Das Abkommen, so hoffen die Befürworter, würde allein in Deutschland tausende von Arbeitsplätzen schaffen.
Auch deshalb setzen die Unternehmen große Hoffnung in das Handelsabkommen mit den USA. TTIP könnte, so heißt es in der IW-Studie „ein Signal für Liberalisierung und Marktwirtschaft und gegen Protektionismus und Globalisierungsskepsis“ sein. Ein Scheitern wiederum, so fürchten die Befürworter, könnte Deutschland und Europa ins Abseits drängen. Die weltweiten Standards könnten dann die USA und Asien setzen.