Manchmal besteht Fortschritt aus einem Bündel Stroh. Aus getrockneten Getreidehalmen lassen sich nicht nur Hüte und Körbe herstellen, sondern auch Versandkartons. Weil das Naturmaterial zwei Eigenschaften mitbringt, die dafür enorm wichtig sind: es schützt vor Stößen – und es isoliert. Vor allem Lebensmittelversender zählen darum zu den Kunden des Münchener Start-ups Landpack, das Versandkartons aus Stroh entwickelt hat. „Unser Ansatz war, eine Isolierverpackung zu entwickeln, die genauso gut ist wie Styropor, aber einfacher entsorgt werden kann, im Idealfall im Garten“, sagt Geschäftsführerin Patricia Eschenlohr.
Damit steht ihr Produkt stellvertretend für eine Entwicklung in der Verpackungsindustrie. Nach wie vor steht zwar an oberster Stelle, dass die Verpackung den Inhalt schützen muss, sagt Oliver Wolfrum, Vorsitzender des Verbands der Wellpappen-Industrie (VDW): „aber leichtere und passgenauere Verpackungen werden zunehmend ein Thema.“ Kein Wunder, denn mit dem E-Commerce-Umsatz wächst auch die Menge der produzierten Verpackungen. 2019 stellte die Kurier-, Express und Paketdienstbranche (KEP) mit 3,7 Milliarden zugestellten Paketen erneut einen Rekord auf. Und damit gerät auch das Thema Verpackungsmüll immer mehr in den Fokus. Und die Frage, wie man ihn vermeidet.
Pilze & Bambus: Kompostierbare Verpackungen für mehr Nachhaltigkeit
Ein Ansatzpunkt sind neuartige Materialien. Die Strohfüllungen von Landpack sind nur ein Beispiel dafür. Das US-Unternehmen Ecovative beispielsweise stellt zu 100 Prozent kompostierbare Verpackungen her. Dafür mischt es landwirtschaftlichen Abfälle wie Getreidehalme mit Myzel – den Zellen von Pilzen. Einer der Kunden des jungen Unternehmens, der Computerhersteller Dell, produziert auch eigene nachhaltige Verpackungen – unter anderem aus Bambus. Dafür hat Dell sogar eine eigene Bambusplantage gekauft. Das macht die Verpackungen nicht nur kompostierbar – die tiefreichenden Wurzeln der Bambuspflanze schützen obendrein Böden vor Erosionen.
Der Verpackungstrend: Mehrweg statt Mülltonne
Ein anderer Ansatz leitet sich von diesem Gedanken ab: Was mehrfach verwendet wird, braucht nicht entsorgt werden. Diesen Ansatz verfolgt beispielsweise das Unternehmen Schoeller Allibert, das mit der „Clever Move Box“ einen Mehrzweckbehälter aus Kunststoff entwickelt hat. Darin transportiert beispielsweise die Optikerkette Apollo Brillen. Nach Benutzung werden die Behälter flach zusammengefaltet und durch besondere Vorrichtungen miteinander verbunden. So lassen sich mehrere Behälter als ein einziges Paket an den Absender retournieren – um dort wieder verwendet zu werden. Apollo spart so nach eigenen Angaben bis zu 100 Tonnen Kartonabfall ein und will langfristig seine CO2-Emissionen um 96 Prozent verringern.
Das finnische Start-up Repack kombiniert Recycling und Mehrzweck. Bis zu 20 Mal sollen Verpackungen aus recyceltem Polypropylen wiederverwendet werden können – um dann erneut recycelt zu werden. Langfristig soll ein Kreislaufsystem entstehen, in dem Kunden ihre Tüten oder Kartons an Sammelstationen abgeben können und dafür ein Pfand zurückerhalten, das sie beim Kauf der verpackten Ware entrichtet hatten.
Noch einen Schritt weiter geht das deutsch-französische Start-up Livingpackets. In den schwarz-grünen Paketen aus recyclebaren geschäumten Polypropylen befindet sich auch ein Netz, um Waren einzuwickeln sowie ein wiederverwertbares Schloss. Das soll nicht nur 30 Prozent der Zeit sparen, die sonst für das Verkleben der Pakete und das Auffüllen von Füllmaterial verwendet werden, sondern auch jede Menge Müll vermeiden. Die Gründer hoffen, dass ihre robusten Kartons bis zu 1.000 Mal wiederverwendet werden, ihr Angebot nennen sie „Packaging-as-a-service“. Der Markteintritt ist für 2020 angekündigt.
Mehr Pappe, weniger Gewicht: Verpackungen werden immer leichter
Der VDW-Vorsitzende Wolfrum setzt lieber auf Weiterentwicklungen bei den etablierten Transportverpackungen, die in Deutschland zu 70 Prozent aus Wellpappe bestehen – dem Material, das auch die Mitglieder in Wolfrums Verband herstellen. Im Laufe der letzten zehn Jahre steigerte sich deren Jahresproduktion zwar von 6,6 Milliarden Quadratmetern auf 7,9 Milliarden. Aber die Materialmenge, die für ein einzelnes Paket benötigt wird, sinkt kontinuierlich. Durch ständige Weiterentwicklungen reduzierte sich Gewicht des durchschnittlichen Quadratmeters Wellpappe von 2002 bis 2018 von 529 auf 509 Gramm. Allein zwischen 2018 und 2019 noch einmal auf nun 505 Gramm. „Das ist auch durch den Versandhandel befeuert worden“, sagt Wolfrum: „Leichtere Verpackungen bedeuten ja auch weniger Gewicht für die Zusteller.“
Und: Eine Klebeleiste zum Wiederverschließen machen es inzwischen möglich, auch Wellpappe-Verpackungen wieder zu verwenden. „Das ist sozusagen unsere kleine Mehrweglösung“, sagt er. Manchmal braucht es nicht viel für Fortschritt.