Im Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) in Hamburg arbeiten Forscher und Unternehmen eng zusammen, um neue Techniken zu testen und schneller auf den Markt zu bringen. Hier an der Elbe lassen sich Projekte bestaunen, die aus Science-Fiction-Filmen stammen könnten.
Es ist gespenstisch still hinter dem dicken, schweren Stahltor. Die zahlreichen grauen Schaumstoffkeile an den Wänden und der Decke der 350 Quadratmeter großen Halle schlucken jeden Ton. Mittendrin thront majestätisch der sogenannte Demonstrator. In der ausgehöhlten, 8,5 Meter langen Rumpfnachbildung eines Airbus 320 wird der Kabinenlärm erforscht. Genauer gesagt: Hier simulieren Wissenschaftler und Techniker die Schallanregung des Flugzeugrumpfes und messen die Schallausbreitung und –weiterleitung.
Der Rumpf lagert auf vier stickstoffgefüllten Federn. Hennig Scheel stellt sich unter den Rumpf und bringt ihn mit ausgestreckten Armen zum Schwingen: „Wichtig für unsere Forschung ist, dass sich keinerlei Vibration vom Fußboden in die Struktur überträgt“, erklärt er den Sinn des schwebenden Flugzeugrumpfs. Scheel steht im Akustiklabor des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) in Hamburg-Finkenwerder, einer der größten Akustikkammern Europas. Zusammen mit seinem Kollegen Martin Wandel leitet er die Airbus-Forschung für Innenlärm im ZAL.
Entwicklungszyklen deutlich beschleunigt
Die Akustik an Bord stellt ein wichtiges Kriterium für den Komfort und das Wohlfühlen der Passagiere dar und ist für Flugzeugbauer ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber Wettbewerbern. Die Forscher können hier am Boden ohne teure Testflüge untersuchen, wo und in welcher Intensität Geräusche in der Kabine auftreten, wie sie übertragen werden. „Schon bei einem Temperaturunterschied von zehn Grad im Flug ändert sich die Schallausbreitung so stark, dass im Flugzeug Unterschiede zu messen sind“, erklärt Scheel.
Um verschiedene Treibwerkslärmanregungen zu simulieren, haben die Forscher an einer 360-Grad-Vorrichtung außerhalb des Rumpfs 128 individuell steuerbare Lautsprecher angebracht, maßgefertigt von einer kleinen Kieler Manufaktur. Vom Computer gesteuert schicken sie darüber verschiedene Töne, die auf die Rumpfhülle treffen. „Damit reproduzieren wir das Wellenfeld, das im Normalbetrieb auf die Hülle trifft“, sagt Wandel. Auf dem Computer lässt sich die Ausbreitung des Schalls von laut nach leise an dem Farbverlauf von Tiefrot nach Hellgelb verfolgen, wie ein Wellenkranz, wenn man einen Stein ins Wasser wirft. „Wir können Triebwerksgeräusche von aktuellen und künftigen Antriebskonzepten nachahmen und die Ergebnisse schneller umsetzen. Außerdem können wir neue Dämmmaterialien ausprobieren, bevor wir ins Flugzeugdesign eingreifen und damit Entwicklungszyklen deutlich beschleunigen“, sagt Scheel.
Forschung dient deutscher Kompetenzsicherung
Im futuristischen Gebäude des ZAL mit seinen hohen Glasfronten dreht sich alles um die Luftfahrt. Das signalisiert schon der breite Weg zum Gebäudeeingang, der wie eine Startbahn von blauen Begrenzungslichtern gesäumte ist. Nur das Fuel Cell Lab, das Brennstoffzellenlabor, steht Nutzern auch außerhalb der Luftfahrtbranche offen.
Seinen über 25 Mietern, zu denen beispielsweise der Flugzeugbauer Airbus, die Hersteller von Kabinensystemen B/E Aerospace, 3D Contech und iDS Design Studio oder der belgische Polymerspezialist Solvay gehören, stellt das ZAL Hallenflächen, Labore, Büros, Besprechungs- und Kreativräume, ein Auditorium für 200 Personen sowie Forschungs- und Testinfrastrukturen wie das Akustik-Labor zur Verfügung. Hier können die Forscher gemeinsam mit Unternehmen Innovationen testen und vorantreiben und neue Produkte schneller zur Marktreife bringen. Am Ende dient die Forschung im ZAL auch der deutschen Kompetenzsicherung und –erweiterung, um am Weltmarkt weiter bestehen zu können.
Neue Fertigungsmethoden wie etwa der 3D-Druck, kollaborative Roboter (Cobots), die Seite an Seite mit den Menschen ihre Arbeit verrichten, oder Exoskelette, die als eine Art anziehbares Gerüst Mitarbeiter beim Heben von schweren Lasten unterstützen, sind typische Industrie 4.0-Anwendungen, die auch die Luftfahrt umkrempeln werden. Inzwischen arbeiten 350 Forscher und Entwickler im ZAL-Komplex. Unterstützt werden sie von ihrem Vermieter, dem ZAL-Geschäftsführer Roland Gerhards und seinem 36-köpfigen Team. Sie verstehen sich als „Enabler“, die ihre Mieter beim Netzwerken, bei der Nutzung der angebotenen Technik, bei der Fördermittelakquise aber auch durch die technologische Expertise der ZAL eigenen Forscher unterstützen.
Austausch unter Experten kommt gut an
Regelmäßige Events befeuern den Gedankenaustausch. An diesem Tag sind in der in kühlem Weiß gehaltenen Kantine, die aus Raumschiff Enterprise sein könnte, ein paar Tische festlich für eine LunchConnection gedeckt, für das sich jeweils 20 Mitarbeiter bewerben können. Bei „Meet the Mieter“ stellen sich verschiedene Forschergruppen ihre Projekte gegenseitig vor, so lassen sich Anknüpfungspunkte für gemeinsame Entwicklungen schneller finden. Das ZAL richtet regelmäßige Veranstaltungen aus, sogenannte Diskurse, mit Fachvorträgen und anschließenden Podiumsdiskussionen. Der Austausch der Experten und Wissenschaftler wird gut angenommen.
ZAL-Geschäftsführer Gerhards möchte das Tech-Center an der Elbe als „Silicon Valley der Luftfahrt“ etablieren und junge Gründer als Mieter gewinnen. Als erstes Startup hat sich Jetlite im ZAL niedergelassen. Das Unternehmen hat sich auf LED-Beleuchtung gegen Jetlag spezialisiert. Ein zweites, Synergeticon, entwickelt ein Assistenzsystem, das Werksarbeiter mit ihren Maschinen vernetzt. Damit können sie wichtige Informationen während des Prozessablaufs abrufen und Fehler vermeiden. Das Unternehmen zieht demnächst vom benachbarten Airbus Biz Lab ins ZAL. Dann können sie in wechselnden Arbeitsteams mit anderen Mietern etwa im „Greenhouse“ neue Ideen entwickeln. Der Kreativraum lockt mit einem grünen Grasteppich, üppiger Mooswand, braunen Holzmöbeln, Schultafel mit Kreide, Springseilen und Murmeln.
In der ersten Etage soll das Virtual Reality Lab den Mietern den Einstieg in die Welt der 3D-Konstruktion ermöglichen. Guido Grun leitet das Lab als Systemingenieur und führt die Mieter in die Technik ein. „Alles kein Hexenwerk“, meint er. Hinter dem riesigen Bildschirm befindet sich der Projektorraum, der die gleichen Ausmaße hat wie der VR-Raum. Der Projektor wirft die Bilder von hinten auf den Bildschirm. Für das Projekt ist eine gigantische Rechenleistung nötig, denn bis zu 30 Projektmitglieder können mit VR-Brillen gleichzeitig in die virtuelle Welt eintauchen, 3D-Konstruktionen betrachten und bearbeiten. Sie sehen das, was der Operator vorgibt. Er trägt eine Brille mit Fühlern daran und hält einen mit Infrarotreflektoren ausgestatteten Flystick wie einen Zauberstab in der Hand. Acht Kameras an Decke und Boden orten die Position des Operators, dessen Blickwinkel für alle auf dem Bildschirm zu sehen ist. Gemeinsam tauchen sie in das virtuelle Flugobjekt hinein.
„Der Vorteil der VR-Technologie ist die Nutzung der Visualisierung zur optimalen Systemintegration. Hier können Projektpartner zusammenkommen und frühzeitig erkennen, wo es zum Beispiel beim Verlegen von Kabeln Probleme gibt und wie man diese lösen kann“, sagt Grun. Ein bisschen Eingewöhnung ist schon notwendig. Denn wer dem Impuls folgt, die Hand nach einem Kabel auszustrecken, das direkt vor seiner Nase schwebt, greift ins Leere. „Die Nutzer gewöhnen sich aber sehr schnell daran“, sagt der VR-Experte.