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Alternative Kraftstoffe: „Wasserstoff kann stabile Reichweiten und Zuverlässigkeit bringen“

Immer lokal CO2-frei unterwegs: hylane vermietet Wasserstoff-Lkw, damit Unternehmen Erfahrungen mit der Brennstoffzellentechnologie sammeln können (Foto: hylane)

Pakettransport ohne den lokalen Ausstoß von CO2-Emissionen? Schon auf der Letzten Meile stellt die Dekarbonisierung des Transportsektors Logistiker vor große Herausforderungen – eine noch größere Aufgabe stellt die zukunftsfähige Ausrichtung der Langen Strecke dar. Dennoch ist die Aufbruchstimmung in der Branche spürbar: Aktuell befinden sich viele Logistikunternehmen in Testphasen und verproben, inwiefern alternative Antriebe oder Kraftstoffe im Schwerlastverkehr den komplexen Anforderungen des Logistikalltags standhalten können. Auch Hermes Germany will hier seinen Beitrag zur Lösungsfindung leisten: Während der Paketlogistiker bereits seit Ende 2022 zwei E-Lkw im regulären Linienverkehr einsetzt, hat er seine Fahrzeugflotte nun um einen Wasserstoff-Lkw (H2-Lkw) erweitert. Das Fahrzeug mit Brennstoffzellenantrieb ist für einen 48-monatigen Testbetrieb von der Firma hylane gemietet. Im Interview erklärt hylane-Gründerin und Geschäftsführerin Sara Schiffer, warum bislang noch so wenige Wasserstoffschwertransporter auf deutschen Straßen unterwegs sind und weshalb die Paketlogistikbranche trotzdem dafür geeignet ist.


Mit Elektroantrieb ist Hermes Germany auf der Langen Strecke bereits etwas länger unterwegs, mit dem Brennstoffzellen-Lkw seit Anfang 2024. Warum nimmt das Thema Wasserstoff in der deutschen Paketlogistikbranche bislang so eine kleine Rolle ein?

Sara Schiffer: Viele europäische Hersteller haben Wasserstoff nicht wirklich auf dem Zettel gehabt und sich in den vergangenen Jahren vorrangig um elektrische Antriebe gekümmert. Es gibt daher noch keine serienreifen Lkw mit Brennstoffzelle auf dem Markt. Unsere Fahrzeuge kommen aus Südkorea, die dort seriell produziert und schnell zur Verfügung gestellt werden können. Unsere Kunden sind sehr zufrieden damit. Wir waren die ersten, die Ende 2022 einen Wasserstoff-Lkw in Deutschland zugelassen haben. Hermes Germany ist daher ganz vorne mit dabei und einer der ersten Nutzer hierzulande.

Warum ist die Paketlogistikbranche für Wasserstoff prädestiniert?

Sara Schiffer: Hermes Germany strebt eine extreme hohe jährliche Laufleistung an. Dafür muss das Fahrzeug rund um die Uhr im Mehrschichtbetrieb im Einsatz sein. Das funktioniert nur, wenn die Zeiten zum Tanken sehr kurz sind. Gleichzeitig ist Pünktlichkeit in dem Bereich sehr wichtig. Die Betreiber müssen sich darauf verlassen, dass das Fahrzeug stabile Reichweiten hat und flexibel zur Verfügung steht. Mit täglichen Laufleistungen von über 800 Kilometern beweist Hermes Germany diese Vorteile gerade eindrücklich.

Sara Schiffer, Gründerin und Geschäftsführerin von hylane (Foto: hylane)

Einfach erklärt: Was sind die Stärken von Wasserstoff im Schwerlastbereich?

Sara Schiffer: Lkw müssen im Vergleich zu Pkw rund um die Uhr im Einsatz sein, also möglichst viel fahren mit wenig Standzeiten. Im Schwertransport gibt es für Wasserstoff daher viele Vorteile. Wasserstoff-Lkw haben stabile Reichweiten bis zu 450 Kilometern und sind innerhalb einer Viertelstunde wieder vollgetankt. Zum Vergleich: Ein E-Lkw braucht zwei bis acht Stunden Ladezeit. Zudem ist die Brennstoffzelle im Vergleich zur Batterie nicht so temperaturempfindlich. Das heißt, auch im Winter können die Strecken von Wasserstoff-Lkw stets eingehalten werden. Gerade in der Logistikbranche sind stabile Reichweiten wichtig, weil es um Zuverlässigkeit geht. Zudem ist das Gewicht der Brennstoffzellen geringer als bei Batterien, was für Logistikunternehmen, die viel Gewicht transportieren, vorteilhaft ist.

Der technologische Fortschritt bei Akkus für Elektroautos schreitet immer weiter voran. Jährlich verlängern sich die Reichweiten der E-Fahrzeuge. Gilt das auch für die Qualität des Wasserstoffs?

Sara Schiffer:
Genau wie E-Akkus werden sich auch die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie weiterentwickeln. Es wird etwa an Lkw gearbeitet, die Wasserstoff mit einer Energiedichte von 700 bar oder flüssigem Wasserstoff tanken können. Aktuell wird er auf 350 bar komprimiert und an Tankstellen verkauft. Die technologischen Sprünge bei elektrisch angetriebenen Pkw und Lkw sind super, ändern aber nichts an dem Umstand, dass es schwierig bleibt, die Fahrzeuge zu beladen. Bei Wasserstoff gibt es Vorteile auf der Fahrzeugseite und bei der Energieversorgung. Ich kann etwa eine Versorgung unabhängig vom Stromnetz sicherstellen, das heißt, man ist nicht auf eine gewisse Netzanschlussleistung angewiesen. Überschüssiger Strom kann per Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und ins Energienetz verteilt werden.

Welche Farbe, also welchen Ursprung hat der Wasserstoff in Ihren Fahrzeugen? Oder anders gefragt: Wie hoch ist der Anteil an sogenanntem grünen Wasserstoff, der komplett aus regenerativen Energiequellen produziert wurde?

Sara Schiffer: Wichtig ist zunächst festzuhalten, dass die Fahrzeuge, genau wie E-Lkw, immer lokal emissionsfrei unterwegs sind. Das heißt, sie stoßen kein CO2 aus. Im ersten Schritt geht es darum, zu zeigen, wie die Technologie funktioniert und zu beweisen, dass sie erfolgreich ist, ganz unabhängig von der Wasserstofffarbe. Im nächsten Step soll der Fokus auf die Förderung rein nachhaltigen Wasserstoffs gelegt werden, damit irgendwann der Anteil an grünem Wasserstoff bei 100 Prozent liegt. Aktuell tanken die Fahrzeuge eine Mischung aus grünem und grauem Wasserstoff. Bei Letzterem wird Erdgas zur Herstellung verwendet. Es wäre aktuell zu ambitioniert, wenn wir uns ausschließlich auf grünen Wasserstoff beschränken würden. Trotzdem kann man bereits jetzt feststellen, dass der Wasserstoffmix an den Tankstellen in Deutschland deutlich nachhaltiger ist als der Strommix in deutschen Netzen.

Das heißt konkret?

Sara Schiffer: Das ist von Tankstelle zu Tankstelle unterschiedlich. Man kann aber ganz klar den Trend erkennen, dass der Anteil an grünem Wasserstoff immer größer wird. In Norddeutschland, einer Modellregion für Windenergie, gibt es bereits jetzt zahlreiche Tankstellen, die ausschließlich grünen Wasserstoff verkaufen.

Hand aufs Herz: Sind 100 Prozent grüner Wasserstoff an deutschen Tankstellen realistisch?

Sara Schiffer: Absolut. H2 MOBILITY, der größte Wasserstofftankstellenbetreiber in Deutschland, hat angekündigt, dass man 2028 so weit sein möchte. Deutschland steckt mitten in der Transformation, um ein nachhaltiges Wirtschaftssystem aufzubauen. Dazu gehört auch die Produktion von grünem Wasserstoff. Genau wie jetzt werden wir aber auch in Zukunft darauf angewiesen sein, dass wir einen Teil unseres nationalen Energiebedarfs importieren müssen. Das gilt auch für Wasserstoff. Für uns geht es jetzt darum, die Nachfrage zu erhöhen, um damit den Hochlauf von Produktionskapazitäten anzustoßen.

H2-Speichertanks in einem Wasserstoff-Lkw (Foto: hylane)

In Deutschland gibt es etwa 14.400 konventionelle Tankstellen und knapp über 100 Wasserstofftankstellen. Vor allem 2022 wurden viele gebaut.

Sara Schiffer: Es gibt in Deutschland die meisten Wasserstofftankstellen Europas. Kein anderes Land auf der Welt hat eine so gute Infrastruktur, die Abstände zwischen den Tankstellen sind nirgends so gering. 2022 haben viele Betreiber erkannt, dass der schwere Gütertransport ein echter Use-Case für Wasserstoff ist, daher haben sich auch viele Tankstellen strategisch neu aufgestellt. Deutschland ist zudem eine Binnennation, der schwere Gütertransport ist essenziell, und die Bahn ist hoch ausgelastet. In der Vergangenheit gab es sehr gute Förderprogramme für Wasserstoff. Durch das Urteil des Verfassungsgerichts zum Klimatransformationsfonds wurden diese Programme gekippt. Um unseren Vorsprung nicht zu verlieren, ist es wichtig, dass jetzt andere Mechanismen entwickelt werden, die den Ausbau von Wasserstoffflotten und Tankstellen unterstützen.

Der Bundestag hat im April 2024 dennoch das Gesetz für die Wasserstoff-Autobahn verabschiedet, ein 10.000 Kilometer langes Wasserstoffnetz in Deutschland. Da muss Ihnen doch das Herz aufgegangen sein, oder?

Sara Schiffer:
Es ist für den schweren Straßengüterverkehr sehr wichtig, dass diese Signale aus der Politik kommen, damit die Technologie viel mehr in den Fokus rückt. Es gibt in Deutschland viele Hersteller, die sich mit Batterieantrieben beschäftigen. Ich habe den Eindruck, dass sich deshalb auch die Diskussionen öfter um diesen Bereich drehen. Man muss aber viel mehr Transparenz schaffen, was mit Wasserstoff möglich ist. Hersteller brauchen die Gewissheit, dass es alle 200 Kilometer eine Tankstelle gibt oder Auskunft darüber, woher Wasserstoff importiert wird. Je besser die politischen Rahmenbedingungen sind, desto mehr Fahrzeuge kommen auf den Markt.

Was ist in der weiteren Zusammenarbeit mit Hermes Germany geplant?

Sara Schiffer: Wir wollen Hermes Germany zum größten Wasserstoff-Lkw-Flottenbetreiber Europas machen und 100 Fahrzeuge liefern. Spaß beiseite, wir sind froh, dass Hermes aktuell so positive Erfahrungen macht und immer weitere Teile der Lieferkette nachhaltiger ausrichten kann. Wir hoffen, dass wir in Zukunft auch viele weitere Wasserstoff-Lkw zur Verfügung stellen können. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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