Im Projekt AutoTruck forschte Dr.-Ing. Sebastian Wagner, der sich bereits seit 2004 mit dem Thema „Autonomes Fahren“ beschäftigt, daran mit, wie Fahrzeuge selbstständig auf dem Betriebshof arbeiten können, bei SAFE20 geht es nun um die große Herausforderung Sicherheit.
Wie kam es zu der Idee, autonome Lkw auf einem Betriebshof fahren zu lassen?
Sebastian Wagner: Wir haben uns gedacht: Es wird noch lange dauern, bis autonome Lkw fahrerlos auf offener Straße unterwegs sind. Dort gibt es sehr viele Herausforderungen. Also warum fangen wir nicht auf einem Gelände an, auf dem die Umsetzung deutlich einfacher wäre? Ein Betriebshof ist meist ein abgesperrtes überschaubares Areal in privater Hand. Infrastrukturelle Maßnahmen lassen sich leichter umsetzen, wie das Anbringen von Sensoren an kritischen Punkten. Das zuständige Personal kann man schulen. Somit ist alles weniger komplex als im öffentlichen Verkehrsraum.
SAFE20: Ein Sicherheitskonzept für den Betrieb mit 20 km/h
Das aktuelle Projekt zum autonomen Betriebshof nennt sich SAFE20 – worum geht es dabei?
Sebastian Wagner: Ein Sicherheitskonzept zu entwerfen, das den Betrieb von vollautomatischen Fahrzeugen auf Betriebshöfen mit mindestens 20 km/h erlaubt. Typischerweise gilt dort Tempo 20 – autonome Fahrzeuge dürfen aber aktuell nur 10 km/h fahren. Damit man für die gleiche Transportleistung langfristig nicht mehr Lkw braucht, wird ein Sicherheitskonzept benötigt, das einen Betrieb mit mindestens 20 km/h erlaubt.
Welcher konkrete Fall wird da getestet?
Sebastian Wagner: Es geht vor allem darum, zwei Fahrzeugtypen autonom über den Betriebshof fahren zu lassen: sogenannte KAMAG Wiesel, die Wechselbrücken transportieren und KAMAG TruckWiesel, die für den Transport von Sattelanhängern konzipiert sind. Aktuell sind diese an vielen Orten mit Fahrern im Zwei- oder sogar Drei-Schicht-Betrieb auf Tour: Das heißt, man spart bei zwei Schichten schon 16 Fahrer-Arbeitsstunden pro Tag.
Im Vorgänger-Projekt AutoTruck haben Sie den Lkw-Fahrer bis zum Betriebshof-Tor fahren lassen. Der Lkw fuhr dann autonom zum Entladen und danach selbständig auf einen Parkplatz. Ist das auch ein Anwendungsfall?
Sebastian Wagner: Das ist eher noch Zukunftsmusik. Der Fall mit den Wieseln ist im Moment lukrativer. Bei den Autotrucks spart man den Fahrer nur von der Einfahrt in den Betriebshof über das Ausladen bis zum Parken – also lediglich rund eine halbe Stunde. Diesen Anwendungsfall wird man voraussichtlich erst umsetzen, wenn die Lkw-Hersteller die erforderliche Ausrüstung schon komplett ab Werk einbauen. Bevor es das gibt, müsste man teuer nachrüsten oder Sonderlösungen installieren. Dabei ist fraglich, ob sich die Investitionen in Fahrzeug und Hof in einer angemessenen Zeitspanne amortisieren.
Überwachung und Problemlösung auch aus größerer Entfernung
Woher „weiß“ der Lkw dann, wo er hin muss?
Sebastian Wagner: Wir haben dazu die Online-Leitstand-Software „helyOS“ entwickelt, die sowohl auf Betriebshöfen als auch bei autonomen Landwirtschaftsfahrzeugen eingesetzt wird. Sie fungiert als Mittler zwischen der Logistikdomäne, die vorgibt, welcher Lkw zu welchem Zeitpunkt an welcher Rampe be- oder entladen werden soll, und dem Lkw, der die Anweisungen als ausführbare Mission erhält und befolgt. Mit wachsender Automatisierungstiefe muss der Bediener weniger häufig manuell eingreifen. Im Gegenzug kann er mehr und mehr Lkw überwachen. Das System meldet sich dann bloß noch, wenn eine Störung vorliegt. In einem solchen Fall kann der Bediener mittels Fernbedienmodus und 360°-Rundumsicht die Probleme auch aus größerer Entfernung lösen. Theoretisch könnte man mit so einem System in München sitzen und automatisierte Lkw in Berlin betreiben und überwachen.
Was ist aktuell die größte Herausforderung beim Thema autonome Lkw?
Sebastian Wagner: Das sind auf jeden Fall die Rechts- und Haftungsfragen, aber auch die Umsetzung der vielen notwendigen Sicherheitsfunktionen. Das Ziel ist, Gefahren so weit ausschließen, dass autonomes Fahren gesellschaftlich tragbar ist. Wir sind nicht bereit, ein geringeres Maß an Sicherheit zu akzeptieren, als wenn ein Mensch fährt – es muss gleich gut oder besser sein. Um das zu erreichen, bekommen die automatischen Lkw in SAFE20 sogar mehr Informationen, als sie selbst erfassen können. Durch im Hof angebrachte Sensoren können sie um Ecken schauen oder in besonderes sicherheitskritischen Bereichen die eigenen Messungen und Ergebnisse ergänzen und nochmals überprüfen. Bei der Reaktion auf die Umgebung wird das technische System defensiv ausgelegt: Das führt derzeit dazu, dass automatische Lkw eher häufiger in einen Störungszustand gehen und anhalten, als wenn ein Mensch fährt. Dann braucht es weiter Mitarbeitende, die die Störung beispielsweise mittels Fernsteuerung beheben. Mit der Zeit werden die Fahrzeuge Stück für Stück weitere Situationen selbstständig bewältigen.
Warum ist das mit der Sicherheit so schwer?
Sebastian Wagner: Die eine Sache ist, sich zu überlegen, wie etwas funktionieren kann. In dieser forschungslastigen Phase geht es darum, ob sich bestimmte Arbeitsaufgaben mit automatisierten Fahrzeugen grundsätzlich ausführen lassen. Aber die machbaren Automatisierungsfunktionen als Produkt auf die Straße zu bringen, ist nochmal eine ganz andere Nummer. Dafür sind häufig hunderte Ausfall- und Fehlerszenarien zusammenzutragen, zu analysieren und zu beurteilen. Im Anschluss müssen je nach Ergebnis der Sicherheitsbewertung passende Lösungen entwickelt werden, die die Sicherheit für jedes dieser Szenarien angemessen gewährleisten. So entsteht am Ende ein ganzheitliches Sicherheitskonzept. Bis 2023 wird es zu großen Teilen implementiert und anschließend mit den KAMAG-Fahrzeugen Wiesel und TruckWiesel getestet, ob die Sicherheitsvorkehrungen greifen.
Und noch eine kurze Zukunftsprognose: In den kommenden zehn Jahren …
Sebastian Wagner: … werden wir definitiv mehr und mehr automatisierte Betriebshöfe sehen.
Vielen Dank für das Gespräch!