ITS Weltkongress Urbane Mobilität und Logistik: Das sind die Trends der Zukunft

Wie wollen wir uns in einigen Jahren fortbewegen und welchen Einfluss werden neue Formen der Mobilität auf die Logistik haben? Dieser Frage sind wir beim ITS World Congress 2021 in Hamburg nachgegangen – und sind auf einige spannende Trends gestoßen.

Vom 11. bis 15. Oktober 2021 fand in Hamburg der ITS World Congress statt. (Foto: Maria Zeitler)

Unter dem Motto „Experience Future Mobility Now“ haben Aussteller aus der ganzen Welt auf dem ITS World Congress 2021 in Hamburg ihre Lösungen für die Mobilität der Zukunft präsentiert. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage: Welche technischen Neuerungen können Mobilität für Menschen und Güter in Großstädten gewährleisten, ohne zunehmend deren Lebenswert zu beeinträchtigen? Neben innovativen Lösungen, die bereits im Einsatz sind, wie das Hermes Lastenrad des Herstellers ONOMOTION, waren auf dem Kongress auch einige Ansätze zu sehen, die in einigen Jahren zum Umbruch der urbanen Mobilität beitragen könnten. Sie bauen etwa darauf, unter Staus hindurchzufahren, diese zu überfliegen oder mit so kleinen Fahrzeugen unterwegs zu sein, die Straßen nicht weiter verstopfen werden. Einblicke in smarte Lösungen für die Paketlogistik der Zukunft hat im Vorfeld des Events auch ITS Weltkongress-Organisator Harry Evers im Hermes Podcast „Lieferzeit“ gegeben.

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1. Den Verkehr überfliegen

Neben verschiedenen autonomen Trucks war es wohl das größte und außergewöhnlichste Ausstellungsstück, um das sich zahlreiche Besucher*innen in der Halle versammelten: die Lastendrohne VoloDrone des süddeutschen Unternehmens Volocopter. Bei der Gründung dachte noch keiner an eine logistische Anwendung des Flugobjekts. Im Mittelpunkt stand das Ziel, Personen mit der Drohne zu befördern, und so war das Unternehmen 2011 das erste weltweit, das mit einer vollelektrischen Drohne mit verteiltem Antrieb bemannt geflogen ist. Im sogenannten AirTaxi können bislang zwei Menschen im Cockpit mitfliegen, eine Version für vier Passagiere ist in Planung. Touristen, aber auch Geschäftsreisende, die in Megacities wie Tokio oder Singapur den Stau überfliegen wollen, gehören zur Zielgruppe.

Christian Bauer, CCO von Volocopter, will mit der Lastendrohne VoloDrone die urbane Logistik verändern. (Foto: Maria Zeitler)

Lösung für zeitkritische Lieferungen

„2018 haben wir uns die Frage gestellt: Könnten wir unter unserer Antriebslogik, wo sich sonst das Cockpit befindet, nicht auch Lasten tragen oder Güter transportieren? Sowohl in der Logistik, im Baugewerbe und der Landwirtschaft stießen wir gleich auf großes Interesse und haben den Plan weitergetrieben“, sagt Christian Bauer, Chief Commercial Officer von Volocopter. 200 Kilogramm Ladung können transportiert werden, als Format kommt die Europalette infrage.

Anwendungsmöglichkeiten sind unter anderem die Inselbelieferung, Gebirgslogistik und Medizinlogistik. „Aber auch zeitkritische Logistiklieferungen, um einen Produktionsstopp in der Industrie zu verhindern, gehören zu den spannenden Use Cases, da unsere VoloDrone über jedes schwierige Gelände oder auch Staus hinwegfliegen kann“, sagt Bauer. Nicht zuletzt kann die Anwendung die urbane Logistik verändern: Die Drohnen können Auslieferlager in den Stadtteilen beliefern und so Lkw-Fahrten ersetzen.

Im Flug vom Lager zum Mikrodepot

 „Die Drohne ist leiser als Lkw oder Hubschrauber und verursacht keinen Stau. Andererseits sieht man, dass immer mehr Städte den Verkehr in den Innenstädten einschränken – dann kann unsere VoloDrone die Waren vom Logistikzentrum ins Mikrodepot bringen, von wo aus die Feindistribution zum Beispiel mit E-Lastenrädern erfolgt“, so Bauer. Auf der letzten Meile sieht er die Drohnen im B2C-Geschäft bislang nicht.

Für Bauer ist einer der Gründe, dass die Zertifizierung der Komponenten kleiner Drohnen für die Luftfahrt schwierig ist – gerade wenn man von der Handelsseite kommt. Volocopter ist dagegen als Fluggerätehersteller zertifiziert, Flugobjekte zu entwickeln, und hat die Lizenz, sie zu bauen. Wenn die Erlaubnis erteilt wird, über bewohntes Gebiet zu fliegen, könnten erste kommerzielle Tests erfolgen.

2. Unter dem Stau hindurch

Beim ITS-Aussteller SmartCityLoop wird es noch etwas länger dauern, bis tatsächlich Güter transportiert werden können. Das Kölner Unternehmen will Waren vollautomatisch durch unterirdische Röhren schicken – und so den Stau unterfahren. „Die Art, wie Güter heute in die Städte transportiert werden, ist nicht mehr zeitgemäß, sagt Geschäftsführer Christian Kühnhold: „Die Idee, die Waren unterirdisch von A nach B zu bringen, gibt es schon lange, aber der Druck war nicht groß genug. Nun steigt er definitiv: Die Infrastruktur der Städte ist ein halbes Jahrhundert alt und dem Warentransport der heutigen Zeit nicht mehr gewachsen“, sagt er. Dieselfahrzeuge werden nicht mehr in die Städte fahren dürfen und U-Bahn und Drohnen können es allein nicht schaffen, ist er überzeugt.

Die Einzelteile sind ausgereifte, bewährte Technik

Dabei soll der SmartCityLoop kein Hyperloop nach der Idee von Elon Musk werden, in dem Güter und Passagiere im luftleeren Raum mit Schallgeschwindigkeit transportiert werden. Die Röhren ähneln denen, die seit mehr als zwei Jahrzehnten für Fernwärme oder Versorgungsleitungen gebaut werden. „Die Einzelteile dessen, was wir da machen, gibt es ja schon lange. Das ist ausgereifte, bewährte Technik: Es hat nur noch keiner so zusammengebaut“, sagt Kühnhold.

SmartCityLoop setzt auf einen vollautomatischen Warentransport unter der Erde. (Grafik: SmartCityLoop GmbH)

Ebenfalls anders als im Hyperloop geht es auch nicht um Geschwindigkeit: Die fahrerlosen Transporteinheiten sollen auf einer Führung mit rund zehn Kilometern pro Stunde durch die Röhre reisen. Der Grund: Es muss vor allem einen reibungslosen Umschlag geben, bei dem die Güter in der richtigen Reihenfolge in die Röhre geschickt werden und am Ankunftsort wieder entnommen werden – diese letzte Meile könnten dann E-Lastenräder oder Elektroautos stemmen. Ein großes Lager in der Stadt zum Sortieren der Waren ist nicht finanzierbar.

Machbarkeitsstudie für Hamburg fällt positiv aus

Grundsätzlich ist das Projekt technisch umsetzbar und wirtschaftlich betreibbar – dies belegt auch das Fraunhofer IML in einer Machbarkeitsstudie für den Standort Hamburg. Hier soll nach dem Willen Kühnholds in einigen Jahren auch die erste Röhre gebaut werden. Geplant ist eine Strecke vom Stadtteil Steinwerder im Hamburger Hafen bis zum Messegelände im Stadtzentrum. In einer nächsten Phase könnte bis zum knapp fünf Kilometer entfernten Stadtteil Lokstedt erweitert werden. Trotz Kosten von rund 100 Millionen Euro – für den ersten Bauabschnitt – scheinen die Vorteile für den urbanen Verkehr groß: 5.000 Euro-Paletten könnten pro Tag verschickt werden und so hunderte Lkw-Fahrten entfallen. Dadurch und durch die verringerten Stauzeiten für andere Fahrzeuge ließen sich täglich zahlreiche Tonnen CO2 einsparen.

 „Wir planen, 2025 live zu gehen“

Für Händler und Logistiker soll es außerdem attraktiv sein: „Alles, was ich als Stückgut im Lkw transportieren kann, kann ich auch in der Röhre transportieren. Für Pakete wird es günstiger, für die Europalette im Stückgut rechnen wir mit vergleichbaren Kosten. Auf dem Rückweg werden dann Rücksendungen, Leergut, Wertstoffe und in der Stadt produzierte Waren wieder nach draußen transportiert“, so Kühnhold. Die Ingenieur*innen beginnen aktuell mit den Vorbereitungen für das Planfeststellungsverfahren. Und auch bei der Finanzierung gibt es Bewegung: „In Hamburg sind wir auf der ITS mit unseren Investorengesprächen einen weiteren Schritt zur Umsetzung in Hamburg gekommen. Wir planen, 2025 live zu gehen.“

3. Mobiles Mikrodepot

Er will nicht in die Luft oder unter die Erde, sondern den Warentransport auf der Straße verändern: Dr. Kai Kreisköther realisiert mit seinem Aachener Start-up Ducktrain Zustellfahrzeuge, die einem beliebigen Fahrzeug oder auch einem*r Zusteller*in „im Gänsemarsch“ folgen können. „Unser großer Benefit ist, dass wir die mittlere und letzte Meile kombinieren: Ohne Umpacken von Lkw auf Cargobike und ohne Mikrodepot“, sagt CEO und Mitgründer Kreisköther. „Wir können beispielsweise mit den Ducktrains Waren im zehn Kilometer außerhalb gelegenen City-Depot abholen. Dabei können bis zu fünf „Ducks“ mit je 300 Kilogramm beladen einem beliebigen Fahrzeug folgen und so 1,5 Tonnen in die Stadt transportieren. Für den letzten Kilometer werden die Ducks dann vereinzelt und für die B2C-Zustellung folgt dann beispielsweise noch ein Duck einem Fußgänger auf dem Bürgersteig“, erklärt Kreisköther.

Gütertransport im Gänsemarsch: Dr. Kai Kreisköther mit einer seiner Ducks. (Foto: Maria Zeitler)

„Ducktrains“ folgen dem Zusteller

Der Clou ist, dass die Fahrzeuge nur virtuell an ein Führungsobjekt „angekoppelt“ werden. Laserscanner und Kamera erkennen das authentifizierte Führungsfahrzeug oder den*die Zusteller*in und folgen ihm – oder Duck folgt Duck im Gänsemarsch. Kreisköther ist sicher, dass sich in den Großstädten nicht annährend genügend Flächen für Mikrodepots finden werden, um die Auslieferung auf der letzten Meile mit Bikes zu realisieren – deswegen soll sein Mikrodepot herumfahren und sich dann am Zielort aufteilen. Ein weiterer Vorteil der virtuellen Ankopplung: Die Ducks fahren selbstständig elektrisch und saugen nicht die Batterie des Zugfahrzeugs leer. Kreisköther klickt mit einem Handgriff einen grünen Akkukoffer aus der Halterung am Fahrzeug: „Während des kurzen Haltes kann der Zusteller einfach zwei neue Akkus aus dem Ladeschrank darüber entnehmen und sie austauschen – so ist die Laufzeit theoretisch unbegrenzt“, sagt er.

„Für die Haustürzustellung glauben wir sehr stark an den menschlichen Zusteller“

Durch die Breite von nur einem Meter dürfen die Ducks am Straßenrand halten und blockieren weniger den Verkehr. Außerdem dürfen sie so auf Fahrradweg oder Bürgersteig einem*r Fußgänger*in mit maximal sechs Kilometern pro Stunde folgen. Der erste Duck fährt derzeit bereits in Aachen – für einen Citylogistiker und einen Zeitungsverlag, weitere Erprobungen sollen im Frühjahr 2022 folgen. Das Interesse an der Lösung ist groß, seit der Gründung 2018 steht Kreisköther in intensivem Austausch mit einigen Unternehmen.

Er ist sich sicher: Wenn sich Fahrzeuge in dieser Art zusammen mit Lastenrädern und Co. durchsetzen, werden sich auch die Straßen der Stadt verändern und sich dem Bedarf anpassen. Der nächste Schritt soll in einigen Jahren dann sein, die Ducks autonom oder teleoperiert fahren zu lassen. „Vom Stadtrand bis in den Zustellbezirk: Denn für die Haustürzustellung glauben wir sehr stark an den menschlichen Zusteller“, sagt Kreisköther.


Apropos Mikrodepot

Wie eine innovative City-Logistik aussehen kann, zeigte beim ITS Weltkongress 2021 auch das RealLabHH, das sich unter Federführung der Hamburger Hochbahn AG mit einer umwelt- und klimagerechten Umgestaltung des Mobilitätssystems in der Hansestadt beschäftigt. Gezeigt wurde unter anderem das Projekt „Warenmobilität Mikrodepot“, an dem auch Hermes partizipiert. Ein gemeinschaftlich genutztes Mikrodepot in der Burchardstraße fungiert hier als zentraler Umschlagplatz, von dem aus Zusteller*innen Sendungen im Innenstadtbereich Hamburgs emissionsfrei per Lastenrad ausliefern. Hermes war bei dem Messestand des Reallabors Hamburg mit einem Lastenrad von ONOMOTION mit dabei.

(Video: Hamburger Hochbahn AG)

 

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