15 Jahre Hermes PaketShops: Vom Koks zur Frikadelle
Unweit der alten Zeche Zollverein betreibt Erika Blumenstein seit über vierzig Jahren einen Hermes PaketShop in ihrer „Trinkhalle“ – und ist ganz nebenbei noch Wetterfee im Radio. Ein Besuch im wilden Westen.
Grau schimmern die Fassaden in der Ernestinenstraße an diesem Morgen, während sich Auto um Auto in die Essener Innenstadt quält. Theodor (70) beobachtet sie stillschweigend, während er nebenan auf dem Bürgersteig seinen Morgenkaffee aus dem Plastikbecher trinkt. Hier in Essen-Stoppenberg ist er aufgewachsen, hat als Kind in Bombentrümmern gespielt und später 30 Jahre lang auf der Zeche Zollverein gearbeitet, davon zehn Jahre unter Tage. Ein Bergmann, wie er im Buche steht – und wie er für diese Region so typisch war. Rund drei Kilometer entfernt förderten einst Generationen von Bergmännern Rekordmengen an Kohle zutage. 1986 schloss die Zeche Zollverein ihre Tore, sieben Jahre später folgte die Kokerei. Tausende verloren ihren Job, der Bergmann – fester Bestandteil der regionalen Identität – verschwand aus dem Alltag. Auch Theo musste gehen. Geblieben sind nur die alten Fördertürme, heute ein Symbolbild für den Strukturwandel im Ruhrgebiet.
Tankstellen sind die größte Konkurrenz
„Das Leben hier hat sich gravierend verändert“, sagt auch Erika Blumenstein. Theo kennt sie bereits seit Jahren, fast täglich kommt er vorbei – wie so viele andere Menschen in Stoppenberg. Seit 1968 betreiben die 74-Jährige und ihr Ehemann hier ihre „Trinkhalle“, einen Kiosk mit angrenzendem Wohnraum. „Erikas Futterstube“ hat sie ihn genannt, vielleicht der vielen Frikadellen wegen, die sie täglich frisch zubereitet. Auch heute steht sie wieder in ihrer kleinen Küche und brät mit routiniert-kritischem Blick, wie fast jeden Tag in den letzten 46 Jahren. Selbst an Sonn- und Feiertagen bleibt das Geschäft geöffnet, nur Weihnachten und Ostern wird jeweils ein Tag pausiert. Zeit für Ferien bleibt da kaum: „1997 waren wir ein paar Tage an der See, seitdem hatten wir keinen Urlaub mehr. Nächstes Jahr aber werden wir vielleicht mal wieder verreisen.“
Vielleicht. Denn längst ist „Erikas Futterstube“ für die beiden Betreiber mehr Hobby als großes Geschäft. Ein allgemeiner Trend im Ruhrgebiet, wo in den letzten Jahren viele Trinkhallen schließen mussten. Rund 18.000 dieser kleinen Nahversorger soll es zu Beginn der Neunziger Jahre hier gegeben haben. Wie viele es heute noch sind, ist ungewiss: „Vor allem Tankstellenshops und Getränkemärkte machen uns zu schaffen“, sagt Erika Blumenstein. „An guten Tagen haben wir zwar noch bis zu 300 Kunden im Laden, darunter viele Stammkunden, auch wegen Hermes. Früher aber waren das deutlich mehr. Da kamen sogar Sonntagmorgens noch die Männer vom Bergbau auf ein Bier vorbei.“
Talkshow in der Trinkhalle
Ein Grund zur Verzweiflung ist diese Entwicklung allerdings nicht, im Gegenteil. Längst geht die gebürtige Oberhausenerin ungewohnte Wege, um mehr Menschen in ihr Geschäft zu locken. So ist sie als Wetterfee von Radio Essen mittlerweile regelmäßig im Radio zu hören, und selbst für eine Hörfunk-Talkshow mit Lokalpolitikern stellte sie ihre Trinkhalle bereits zur Verfügung. „Das ist nicht nur eine gelungene Abwechslung, sondern natürlich auch Werbung – und die ist gut fürs Geschäft. Denn solange ich noch Spaß habe, will ich weitermachen. Und derzeit habe ich sehr viel Spaß.“
Mittlerweile sind die Frikadellen fertig, ein feinwürziger Geruch mäandert durch die Küche. „Die Currysoße ist übrigens hausgemacht, die müssen Sie probieren“, ruft Erika Blumenstein noch, während sie hinter dem Tresen bereits frischen Kaffee aufsetzt. Theo wird am Nachmittag wohl noch einmal auf einen Plausch vorbeischauen und ein Päckchen Zigaretten kaufen. So wie an fast jedem Tag, hier in der Ernestinenstraße in Stoppenberg.