Kaum ein anderes Segment im deutschen E-Commerce boomt derzeit so stark wie der Handel mit Möbeln. Immer mehr Kunden kaufen ihre Einrichtung im Netz – und treiben so den Umsatz in neue Höhen.Von Maria Zeitler
Vor wenigen Monaten hat der schwedische Einrichtungsriese Ikea das erste virtuelle Möbelhaus eröffnet: Mit einer Virtual-Reality-Brille können Kunden zunächst durch die Küchenabteilung laufen, unterschiedliche Oberflächen und verschiedene Designs auswählen und sogar Schubladen öffnen. Und die Anwendung zeigt die Küche auch so, wie ein Kind sie sehen würde, damit Eltern versteckte Gefahren erkennen und umplanen können.
Wenn bald noch andere Abteilungen dazu kommen, könnte die Fahrt ins Möbelhaus auf der Grünen Wiese demnächst überflüssig ein. Mit dieser Neuerung reagiert Ikea auf den Trend, dass die Deutschen zunehmend weniger Lust haben, ihre Samstage in überfüllten Möbelhäusern zu verbringen – sie bestellen immer mehr Möbel im Internet.
Das bestätigen Zahlen des Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (BEVH): Der Umsatz bei Möbeln im Onlineverkauf ist 2015 um 15 Prozent auf rund 2,7 Milliarden Euro gestiegen, laut der gerade veröffentlichten Zahlen für das erste Quartal 2016 gab es im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sogar einen Sprung um weitere 30 Prozent. „Im Moment macht der Möbel-Onlinehandel 6 Prozent am E-Commerce aus, wir rechnen aber damit, dass sich das in den nächsten fünf Jahren auf 12 Prozent verdoppeln wird“, sagt Josephine Schmitt vom BEVH. Im Umkehrschluss droht laut dem Kölner Handelsforschungsinstituts ECC jedem dritten der rund 30.000 deutschen Möbel- und Einrichtungsgeschäfte bis 2020 die Schließung – doch außer mit weiteren Rabattschlachten reagieren diese noch kaum auf den zunehmenden Internetmarkt.
Möbel sind jetzt online erlebbar
Doch was ist der Grund für den Boom im Online-Möbelhandel? Über Jahre lief das Geschäft schleppend: Komplizierte Bestellprozesse, lange Lieferzeiten, keine Möglichkeit, das neue Sofa oder den Schrank vor dem Kauf zu erleben, hohe Versandkosten und komplizierte Retourenabwicklung hielten die Kunden lange vom Kauf im Internet ab. Doch das wandelt sich nun, viele Händler bieten mittlerweile sogar einen Aufbauservice sowie kostenlosen Umtausch mit Abbau an. Doch das Wichtigste: „Befeuert durch Konfigurationsprogramme und Virtual Reality werden Möbel beim Online-Kauf jetzt auch erlebbar, denn das war bislang eines der größten Hemmnisse“, sagt Schmitt vom BEVH.
Neben dem virtuellen Ikea-Möbelhaus gibt es zahllose Einrichtungsapps, mit denen die Wohnung fotografiert wird und der Kunde ausprobieren kann, ob sich das giftgrüne Sofa wirklich gut macht vor der weinroten Wand. Die Händler bieten virtuelle Einrichtungsassistenten, Videos und 3D-Bilder an – und laut Peter Fuchs, Leiter der Logistik beim Kinder-Möbelhändler Pinolino, könnte das in Zukunft noch viel weiter führen: „Wenn der 3D-Druck weiter ausgebaut wird, werden wir wahrscheinlich innerhalb der nächsten Jahre unsere ersten Möbelmuster selber an unserem eigenen Drucker ausdrucken können.“
Herausforderung für die Logistik
So lange wird die Entwicklung nicht warten: Jetzt schon können sich laut OTTO-Wohnstudie 24 Prozent der Deutschen vorstellen, Möbel künftig im Netz zu bestellen. Befördert haben diese Revolution auf dem Möbelmarkt die Online-Händler, die sich immer stärker auf die Bedürfnisse der Kunden einstellen. Die großen Player: Ikea, das in den Umsätzen noch knapp vor dem Rocket-Internet-Projekt Home24 liegt. Daneben hat sich die Otto Group für den wachsenden Online-Möbelmarkt in Position gebracht: Mit schlafwelt.de, couch.de. und yourhome.de hat der Versandhändler mehrere Online-Plattformen eröffnet, über die die Kunden speziell nur Möbel, Betten oder Wohnlandschaften kaufen können. Und das läuft: 700 Millionen Euro Umsatz machte der Konzern 2015 allein mit Möbeln. Home24 setzte nach eigenen Angaben schon 2013, ein Jahr nach der Gründung, 100 Millionen Euro um.
„Die Verdopplung des Umsatzes im Möbelmarkt wird die Logistik aber auch vor Herausforderungen stellen, denn die Couch kann man ja nicht einfach beim Nachbarn abgeben“, sagt Josephine Schmitt vom BEVH. Manche Händler übernehmen Teile der Logistik selbst, so wie Home24, das im vergangenen Jahr sein viertes Logistikzentrum im niedersächsischen Walsrode mit 58.500 Quadratmetern Lagerfläche eröffnet hat. Große Stücke liefern dann Speditionen aus: In Deutschland setzt der Händler dabei auf den Logistikdienstleister Rhenus.
Doch auch wenn einige Onlinehändler logistische Leistungen wie Wareneingang, Lagerhaltung oder Retourenbearbeitung in Eigenregie durchführen, bereiten sich auch die Logistiker selbst auf einen Ansturm in den nächsten Jahren vor: DHL stieg 2014 mit seinem Zwei-Mann-Handling in die Möbelauslieferung ein. Und auch Hermes rüstet auf, denn dort rechnet man damit, ab jetzt jedes Jahr 500.000 Möbel mehr als im Vorjahr auszuliefern. Schon jetzt bringt der Hermes Einrichtungs Service pro Jahr rund 4,5 Millionen Möbelstücke, Küchen, Haushalts- und TV-Geräte in die deutschen Haushalte – jedes zweite im Distanzhandel bestellte Großstück.
Hermes in Löhne: 30.000 Großstücke pro Tag
Genau dafür hat Hermes gerade eine neue Halle im nordrhein-westfälischen Löhne gebaut. Dort wurden verschiedene Prozesse, die vorher auf verschiedene Gebäude verteilt waren, unter einem Dach vereint: Warehousing und Retourenmanagement von Hermes Fulfilment sowie der Warenumschlag des Hermes Einrichtungs Service. So entstehen kürzere Wege – und kürzere Lieferzeiten: „Das, was der Kunde heute im Internet sieht, das möchte er auch so schnell wie möglich haben“, sagt Yvonne Edler, Betriebsleiterin des Einrichtungs-Service in Löhne.
Pro Tag werden hier nun bis zu 30.000 Großstücke auf die 53 Depots verteilt. So wie der Online-Markt wächst, dürfte auch ihre Zahl in den kommenden Jahren zunehmen – und ihnen Aufträge bescheren, die durch die Flaute im Möbeleinzelhandel wegbrechen.