Wie der E-Commerce die Logistik verändert

Im Interview spricht Professor Dr. Holger Schneider, Otto Group Stiftungsprofessor für E-Commerce an der Fachhochschule Wedel, über Innovationen, Geschäftsmodelle und die Kunst der Logistik beim Kampf um die schnelle Lieferung nicht den Anschluss zu verlieren.

Professor Dr. Holger Schneider, Otto Group Stiftungsprofessor für E-Commerce an der Fachhochschule Wedel. (Foto: privat)

Im Interview spricht Professor Dr. Holger Schneider, Otto Group Stiftungsprofessor für E-Commerce an der Fachhochschule Wedel, über Innovationen, Geschäftsmodelle und die Kunst der Logistik beim Kampf um die schnelle Lieferung nicht den Anschluss zu verlieren.

Wie hat der E-Commerce die Logistik verändert?

Schneider: Durch das starke Umsatzwachstum im E-Commerce müssen natürlich auch immer mehr Waren physisch von A nach B transportiert werden. Das steigende Paketvolumen ist auf der einen Seite natürlich ein willkommener Umsatzbringer für Logistik-Unternehmen. Auf der anderen Seite ist es aber auch eine große Herausforderung, denn die Unternehmen müssen das gestiegene Volumen verarbeiten können.

Welche Herausforderungen sind das?

Schneider: Es geht beispielsweise um die Lagerlogistik, insbesondere um Lagerung, Picking und Packing von Waren. Die noch größere Herausforderung bedeutet die Entwicklung aber für die Paketlogistik, insbesondere für die Zustellung. Es sind schon zahlreiche Innovationen für alternative Zustellungsformen im Markt zu sehen: neue Paketshops, Paket-Kästen, Packstationen, die Wahl von Zustellort und Zustellzeit kann sogar während des Versandwegs noch gewählt werden. Das sind nur ein paar Beispiele.

Käufer erwarten schnelle Lieferung

Können die klassischen Logistik-Unternehmen das alles noch leisten?

Schneider: Diverse Teilschritte der Logistik werden zunehmend durch Online-Player selbst abgewickelt, um die Logistik-Partner zu „motivieren“, neue Services anzubieten. Außerdem sind diese Marktteilnehmer daran interessiert, den Service/Kundenkontakt selbst gestalten zu können. Neue Geschäftsmodelle wie die Essens-Lieferdienste Foodora und Deliveroo setzen sogar darauf, komplett eine eigene Lieferlogistik auf Basis von Fahrradkurieren aufzubauen, die in Hamburg und anderen Metropolen inzwischen schon fast zum Stadtbild gehören.

Was hat sich gegenüber der Zeit verändert, als der Handel im Internet noch nicht so groß war?

Schneider: Größte Herausforderung ist sicherlich die gestiegene Kundenerwartung. Waren Lieferungen innerhalb von 24 Stunden in Zeiten des (Katalog-)Distanzhandels noch ein Alleinstellungsmerkmal, für das Kunden zum Teil tief in den Geldbeutel gegriffen haben, so erwarten Käufer nun eine kostenlose Lieferung (spätestens) am Folgetag. E-Commerce Player wie Amazon stellen die Kundenzufriedenheit an die erste Stelle – und dazu gehört eben auch eine äußerst schnelle Lieferung. Geht man davon aus, dass etwa jede zweite B2C-Bestellung im E-Commerce über Amazon abgewickelt wird, kann das Unternehmen mit dieser Marktmacht auch die Logistik-Partner unter Druck setzen und so die gesamte Branche unter Zugzwang stellen.

Wie könnte dieser Druck aussehen?

Schneider: In den USA hat Amazon bereits einige Patente eingereicht, wie Bestellungen prognostiziert werden können und betroffene Produkte so vorausschauend an kundennahe Logistik-Hubs verlagert werden können.  Das alles soll die Zustellung zum Kunden weiter beschleunigen. Zur weiteren Beschleunigung der Prozesse und zur Kostenoptimierung hat Amazon nun wohl Leasing-Verträge für Luftfracht-Flugzeuge abgeschlossen. Somit werden Prozessschritte bestehenden Logistik-Partnern entzogen und nun von Playern selbst abgewickelt.

Kaufprozess wird weiter verkürzt

Wohin wird sich der E-Commerce und damit die Logistik noch entwickeln?

Schneider: Die E-Commerce-Umsätze werden auch perspektivisch weiter steigen. In einigen Segmenten ist zwar schon eine erste Sättigung bei der Verschiebung von Offline- zu Online-Käufen festzustellen (z.B. bei Medienprodukten). Dagegen steigen die Online-Umsätze in anderen Produktgruppen aktuell und perspektivisch stark an. Zum Beispiel auch bei Produkten, die einen hohen Beratungsaufwand oder andere Eigenschaften haben, aufgrund derer sie eigentlich als unverkäuflich für das Onlinegeschäft galten. Unter anderem geht es dabei um Möbel und Lebensmittel. Gerade frische Lebensmittel stellen große Anforderungen an den Transport und die Zustellung. Deshalb bauen einige Player eine eigene Logistik auf oder ergänzen das B2B-Geschäft um eine B2C-Zustellung, wie beispielsweise die Deutsche See, die frischen Fisch in Metropolregionen selbst zustellt. Auch Amazon steht wohl in den Startlöchern, was Amazon Fresh und damit die Zustellung von frischen Lebensmitteln angeht.

Welche Rolle spielt dabei die Zeit?

Schneider: In Berlin hat Amazon für Prime-Kunden in Kooperation mit Kurierdiensten bereits die Zustellung populärer Produkte in weniger als einer Stunde realisiert – hat man zwei Stunden Zeit bis zur Zustellung, ist der Service sogar kostenlos. Diese Dienstleistung wird sicher in anderen Ballungsräumen folgen. In Berlin und anderen Metropolregionen Deutschlands sind darüber hinaus zahlreiche weitere Produkte per Same-Day-Abendzustellung bestellbar. Man kann daran erkennen, dass E-Commerce-Player an verschiedenen Stellschrauben drehen, um den gesamten Kaufprozess zu verkürzen: Die Bestellung kann durch einen Knopfruck aufgegeben werden, schnellstmögliches Picking & Packing im Lagerhaus, schnellstmögliche Zustellung zum Kunden. Die Zeit vom „Habenwollen“ bis zum „In-den-Händen-halten“ wird immer weiter verkürzt. Neue Technologien wie der 3D-Druck werden den Prozess noch weiter beschleunigen. Diese Entwicklungen halten natürlich auch die Logistik-Unternehmen auf Trab, sie müssen sich dieser Innovationsgeschwindigkeit anpassen und die entsprechenden Services liefern können.

Nächster Artikel