Sie liefern jährlich 1,7 Milliarden Sendungen, die Privatkunden im Internet bestellt haben. Eine der größten Herausforderungen der deutschen Paketzusteller lautet: Wo sollen sie in urbanen Gebieten das Auto abstellen, um die gewünschte Ware zur Haustür zu bringen? Das Parken in zweiter Reihe sorgt mitunter für verstopfte Straßen. Ralf Bogdanski ist Professor an der Technischen Hochschule Georg Simon Ohm in Nürnberg und hat bereits zahlreiche Analysen und Pilotprojekte zum Thema „Nachhaltige Stadtlogistik“ durchgeführt.
Herr Bogdanski, brauchen die Zusteller mehr ausgewiesene Ladezonen?
Ralf Bogdanski: Das klingt verlockend, aber es löst das Problem nicht. Ich habe an einer Studie mitgearbeitet, die ergab, dass in 81 Prozent der Beobachtungen die Ladezone durch andere Autos belegt war, so dass Lieferfahrzeuge dort keinen Platz mehr hatten. Das Problem ist, dass der Begriff „Halten“ dehnbar ist. In dem Moment, wo Sie da privat stehen und einen Karton ausladen, dürfen Sie da auch stehen. Es gibt keinen Kontrolldruck, denn die Kommunen dürfen dort nicht zeitnah abschleppen. Da müsste erst die Straßenverkehrsordnung geändert werden.
Könnte man nicht privilegierte Ladezonen einrichten, die nur für Paketdienstleister da sind?
Ralf Bogdanski: Das halte ich für sehr schwierig, denn dann würde man eine Branche bevorzugen. Man kann schwer rechtfertigen, warum etwa ein Lieferant dort nicht seine Lebensmittel ausladen darf. Es würde helfen, wenn es für alle Wirtschaftsbereiche mehr Ladezonen gäbe, die auch den Namen verdienen und bei denen man auch Verstöße ahnden könnte. Aber beliebig freie Flächen kann man im öffentlichen Raum dafür ja auch nicht generieren – und wenn, dann sollte man das für ein anderes Konzept tun.
Lastenrad statt Sprinter
Für welches?
Ralf Bogdanski: Für Mikrodepots, von denen aus eine Zustellung per Lastenrad erfolgt. In unseren Analysen und Pilotprojekten haben wir herausgefunden, dass damit mindestens 30 Prozent der Sendungen im urbanen Raum übernommen werden könnten, in allen Städten ab 100.000 Einwohner. Dort, wo das Konzept sinnvoll eingesetzt wird, kann ein Sprinter von einem Lastenrad ersetzt werden: Das kann rund 120 Sendungen transportieren, ist im Stadtverkehr oft schneller, kann auf dem Fußweg oder in kleinen Parklücken parken – und die Fußwege und Stehzeiten sind auch kürzer. Zum Vergleich: Ein Sprinter braucht 17 Quadratmeter Platz, ein Lastenrad drei.
Warum gibt es dann Mikrodepots im Moment nur vereinzelt?
Ralf Bogdanski: Bisher fehlt es an systematischer Planung. Meist wird ein einzelnes Projekt geplant oder es wird ganz dem Zufall überlassen. Städte müssen hier aktiv werden, denn Mikrodepots sind derzeit eines der wenigen Konzepte, die einen Verkehrskollaps abwenden können. Und Logistiker müssen sich zusammentun, denn Depots, die von allen genutzt werden, werden von den Städten leichter genehmigt.
Welche Konzepte sind außerdem noch vielversprechend?
Ralf Bogdanski: Einige sind noch Zukunftsmusik: Beispielsweise wird gerade daran geforscht, inwieweit autonomes Fahren eine Lösung sein könnte. Dabei geht es weniger darum, den Zusteller durch ein autonom fahrendes Lieferfahrzeug zu ersetzen, sondern darum, dass es ihm autonom folgen könnte, wenn er mit der Sackkarre zur nächsten Adresse läuft: Mit dieser so genannten „Follow-me-Funktion“ bliebe es in Bewegung und würde nicht in zweiter Reihe halten. Noch weiter in die Zukunft gehen Ideen zu einem unterirdischen Tunnelsystem, bei dem Güter am Stadtrand aufgegeben werden und dann an einem Übergabestandort ankommen. Hier gibt es jedoch enorme Kosten für die Infrastruktur und keiner weiß, ob und wann sich das rechnen würde.
Zustellalternativen können Verkehr entlasten
Vorerst gibt es also kaum eine Alternative zum Parken in zweiter Reihe?
Ralf Bogdanski: Zum einen darf man hoffen, dass sich die Entwicklung der Mikrodepots in Zukunft beschleunigen wird. Bis dahin muss vor allem mehr Information geleistet werden, auch für die Kunden, die bestellen.
Verständnis für das Parken und die Zusteller – schön und gut, aber das löst das Problem nicht, oder?
Ralf Bogdanski: Vielleicht schon, wenn man es schafft, dass einige ihr Verhalten ändern: Wir haben uns einfach daran gewöhnt, dass wir heute klicken und morgen klingelt der Paketbote an der Haustür. Dabei sind viele gar nicht zu Hause. Wenn nicht jede Adresse angefahren wird, gibt es logischerweise auch weniger Zusteller, die in zweiter Reihe parken: Je mehr Menschen ihre Pakete an Abholstellen oder Paketshops liefern lassen, desto mehr entspannt sich die Verkehrssituation. Dabei wären auch anbieteroffene Paketboxsysteme in den Wohngebieten ein wichtiger Lösungsansatz.
Vielen Dank für das Gespräch!