Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet Wuppertal noch einmal zum bundesweiten Hoffnungsträger aufsteigen würde. In den vergangenen Jahren erlangte die nordrhein-westfälische Stadt vor allem deshalb ein gewisses Maß an Berühmtheit, weil sie besonders klamm war. Theater und Schulen wurden geschlossen, Straßen und Plätze rotteten vor sich hin und immer wenn man ein Paradebeispiel für die hoch verschuldeten Kommunen brauchte, wurde die Stadt mit der Schwebebahn vorgeschickt. Doch jetzt ist alles anders. Jetzt ist Wuppertal plötzlich Vorreiter und Vorbild für fast hundert Städte in Deutschland.
Wie konnte das passieren? Eigentlich ganz einfach: Unter dem Motto „Online City Wuppertal“ taten sich vor anderthalb Jahren knapp 50 Wuppertaler Händler auf einem gemeinsamen Portal zusammen. Auf der Plattform können Kunden die Angebote der lokalen Geschäfte durchstöbern und auch bestellen. Geliefert wird noch am selben Tag. „Das sind die kreativen Ideen, die der digitale Wandel braucht“, ließ die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin per Regierungserklärung begeistert verbreiten.
Ziel des Projektes ist es, den lokalen Einzelhandel zu stärken und der Fußgängerzone zu einem Comeback zu verhelfen. Die Verödung der Innenstadt aufzuhalten und der Stadt wieder ein Profil zu geben. Und dem Onlinehandel endlich etwas entgegenzusetzen. Hauptwettbewerbsvorteil der lokalen Händler: sie haben die Ware vor Ort zur Verfügung. Bisher klappt die Umsetzung ganz gut. Markus Kuhnke vom Naschkatzenparadies steigerte den Umsatz mit seinen Süßigkeiten seit seiner Präsenz auf der Plattform um zehn Prozent. Und es kommen sogar wieder mehr Leute in seinen Laden. Denn Probieren ist online eben doch nicht möglich.
Jede Menge Nachahmer
Den Erfolg haben auch die Göppinger mitbekommen. Die Händler der Stadt in Baden-Württemberg plagt das gleiche Problem wie in anderen Städten. Die Frequenz in den Läden geht zurück, der Umsatz auch. Jetzt entstehen auch noch zwei große Einkaufszentren im Stuttgarter Raum. Und dann ist da noch der Onlinehandel. Gisela Flaig sieht das pragmatisch: „Wir können das Internet nicht mehr wegdenken“, sagt die Geschäftsführerin des Göppingercity e.V. „Jammern hilft nichts, wir müssen voran gehen“. Deshalb hat sie Anfang des Jahres Roman Heimbold nach Göppingen eingeladen. Der Betriebswirt ist Gründer und Geschäftsführer der Einkaufsplattform Atalanda und maßgeblich verantwortlich für den Hype um Wuppertal.
Die Idee hatte das bayerische Startup schon 2012. In Hamburg und Salzburg stellten sie ihr Konzept vor, ein Shopping-Portal inklusive Kuriernetzwerk, die Verknüpfung von Marktplatz und Lieferkette. In Hamburg hörten sich über hundert Händler den Vortrag an, sie waren begeistert, bis sie erfuhren, dass sie Fotos ihrer Produkte anfertigen und ins Internet einpflegen mussten. „Da blieben nur noch 20 übrig“, sagt Heimbold, „das war eine Vollkatastrophe.“ Doch dann kam Wuppertal. Und dann der Wuppertal-Effekt.
An die 90 Städte interessieren sich im Moment für das Konzept. Manchmal kann es Heimbold noch gar nicht fassen. In der Anfangszeit gab es jede Menge frustrierende Momente. Jetzt reisen er und seine Mitstreiter durch die Republik, halten Vorträge, veranstalten Händlerstammtische, bieten Kurse zu Facebook und Google an, um „das Online-Bewusstsein der Händler zu stärken“. Sein Unternehmen stellt die Plattform zur Verfügung und übernimmt die Lieferungen. In Wuppertal verdient Atalanda prozentual am Umsatz, bei künftigen Projekten müssen die Händler monatlich 20 Euro an die Bayern überweisen.
Die Städte brauchen einen hauptamtlichen City-Manager
Eines haben die Gründer aus der Anfangszeit außerdem gelernt. „Der Wunsch und die Initiative müssen aus der Stadt heraus kommen“, sagt Heimbold. Die Bad Reichenhaller arbeiten deshalb nur mit Städten zusammen, die einen City-Manager vor Ort haben, der sich um alles kümmert. Der als Schnittstelle zwischen Atalanda und den Händlern fungiert.
So wie in Göppingen. Gisela Flaig hat sich von ihrem Vorstand die Erlaubnis für das Projekt geholt, für die finanziellen Mittel und das Personal. Spätestens zum Weihnachtsgeschäft soll die Plattform startklar sein. Bis dahin gibt es noch eine Menge Arbeit. Die Mitglieder des Vereins müssen überzeugt werden. Zum Händlerstammtisch im März kamen über 40, die alle von dem Konzept begeistert waren. Doch der Verein hat 160 Mitglieder. Nicht jedes Mitglied verfügt schon über die technischen Anforderungen, außerdem müssen gemeinsame Fotoshootings organisiert werden und Texte zu Anbietern und Produkten verfasst werden. „Es ist eine riesige Chance gemeinsam etwas zu machen“, sagt Flaig. Schließlich sei es nicht leicht, beispielsweise als Hans Müller mit seinem Onlineshop gefunden zu werden. „Wir schaffen ein Portal, das weit vorne ist und über das die Händler gefunden werden.“ Da muss man eben ein bisschen investieren. Parallel zum Onlineauftritt wird der Verein einen gedruckten Produktkatalog herausbringen. Mindestens zweimal im Jahr soll es einen Schwerpunkt mit speziellen Highlights geben. „Wir wollen die Leute in die Stadt zurücklocken“, sagt sie Geschäftsführerin und deshalb „müssen wir die Menschen auf die Produkte und die Vielfalt aufmerksam machen.“
Roman Heimbold hofft, dass die Entwicklung so weitergeht. Dass sich die Innenstädte wieder mit Leben füllen. Einen Effekt beobachtet er schon jetzt. In den vergangenen Jahren beklagten sich die lokalen Händler oft darüber, dass Kunden sich stundenlang beraten lassen und dann doch im Internet kaufen. In zwischen gibt es eine ganze Menge Menschen, die sich online vorinformieren und dann beim Fachhändler vor Ort kaufen. Das nennt man Ropo-Effekt. Aber wer weiß, vielleicht wir das irgendwann der Wuppertal-Effekt.