Ein Jahr #digilab: Das Innovationslabor der Hermes Germany ist vor einem Jahr offiziell gestartet. Im Gespräch erläutert Tim Rudolph, Head of Digital Lab, welche Ziele die Hermes Germany mit ihrem Programm Digitalisierung verfolgt und welche Rolle dem Digital Lab dabei zukommt.
Tim, im Oktober letzten Jahres seid Ihr im Digital Lab gestartet. Zuvor habt Ihr im Programm Digitalisierung zunächst das „große Bild“ der Paketzustellung unter die Lupe genommen. Wieso war das wichtig?
Als Logistiker arbeiten wir seit eh und je daran, die Paketzustellung zu verbessern. Aus dieser Perspektive heraus sind große Sprünge eher unwahrscheinlich. Dazu braucht es einen Perspektivwechsel. Somit haben wir uns das „große Bild“ der Paketzustellung mit Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen des Unternehmens aus einer digitalen Perspektive angesehen. Und tatsächlich haben wir eine Reihe sehr vielversprechender Themen entdeckt. Einige zahlen direkt auf unser Kerngeschäft ein, andere sind neue Geschäftsmodelle, die unser Kerngeschäft sinnvoll ergänzen.
Interessant. Was heißt digitale Perspektive genau?
Das bedeutet, dass wir bestimmte Faktoren in unseren Überlegungen bewusst in den Vordergrund stellen. Konkret sind das die konsequente Ausrichtung an Kundenbedürfnissen (Customer Centricity), die durchgängige Ausnutzung von Technologie, die Verwendung unterschiedlicher Monetarisierungsmöglichkeiten und die Bereitschaft, attraktive Themen anzugehen, auch wenn es zunächst schwierig scheint, diese zu erschließen.
Woran arbeitet Ihr konkret?
Ein Thema, dass uns sehr umtreibt, ist zum Beispiel die Zukunft der Letzten Meile. Hier gibt es eine Menge bekannter Herausforderungen, die das Logistiksystem in seiner heutigen Form gerade im Innenstadtbereich auf absehbare Zeit an seine Grenzen bringen wird. Kurzfristig geht es darum, unseren Zustellern schnellstmöglich intelligente Unterstützung an die Hand zu geben. Wir möchten ihnen ihre Arbeit erleichtern und somit den Kunden einen guten Service liefern. Mittelfristig geht es um Alternativen für die Letzte Meile, die idealerweise jeweils gut skalieren. Auch hier sind wir aktiv. Vielmehr kann ich dazu noch nicht verraten.
Wie sammelt Ihr denn Erfahrungen, wenn Ihr von Verbesserung für den Kunden und den Zusteller sprecht?
Im echten Leben und mit echten Paketen. Bleiben wir bei der Unterstützung der Zusteller: Hier haben wir eine gänzliche neue technische Plattform aufgebaut, mit deren erster Version wir nach nur acht Wochen die ersten Pakete bei Kunden zugestellt haben. Seitdem sammeln wir immer mehr wertvolle Erkenntnisse und entwickeln diese Plattform kontinuierlich weiter. Inzwischen sind wir damit in sieben deutschen Städten unterwegs und haben eine sechsstellige Anzahl an Paketen zugestellt.
Jedes deutsche Unternehmen, das etwas auf sich hält, leistet sich in Zeiten von Digitalisierung & Co. ein Digital Lab? Wie stehst Du zu der These? An welches Erfolgsrezept für Hermes glaubst Du?
Grundsätzlich ist es wichtig, zu wissen, welche Ziele man verfolgt. Und dann das geeignete Format auf den Weg bringt. Dabei kommen ganz unterschiedliche Formate in Frage (Accelatoren, Innovations Labs, Inkubatoren, Company Builder). Das Digital Lab bei Hermes ist vor allem ein umsetzungsstarkes Innovationslabor. Um dabei erfolgreich zu sein, braucht man in erster Linie ein motiviertes und kompetentes Team sowie ein gutes Gleichgewicht aus Nähe und Distanz zur Organisation.
Das klingt so, als wäre eine Zusammenarbeit zwischen Digital Lab und klassischer Organisation „kriegsentscheidend“ für den Erfolg?
Ja, in unserem Fall stimmt das voll und ganz. Wir brauchen Nähe, damit das Digital Lab das Know-how der Organisation nutzen kann und die Organisation vom Digital Lab lernt. Wir brauchen aber auch Distanz, damit das Digital Lab unabhängig agieren kann und auch die Organisation in ihrer Arbeit nicht stört. Ich glaube, dass uns das – abgesehen von kleinen Irrungen und Wirrungen – sehr gut gelingt. Dabei hilft uns, dass auch in der Organisation viel Bewegung ist. In der IT wird beispielsweise schon seit geraumer Zeit agil gearbeitet, so dass es schnell ein gemeinsames Bild gibt. Den Logistikern wiederum ist das Lean-Startup-Vorgehen im Digital Lab („Build, Measure, Learn“) oft sehr vertraut, auch wenn sie es nicht so nennen würden. Ein Kollege und ich selbst kommen direkt aus der Organisation. So sind wir mit der aktuellen Teamaufstellung – einem Mix aus neu und alt sowie intern und extern – sehr gut unterwegs. Vor diesem Hintergrund ist auch die Standortwahl auf Hamburg und nicht Berlin als Start-up-Mekka gefallen. Das hat sich bisher durchaus als Vorteil bewährt.
Das Digital Lab ist also auch eine Keimzelle für eine neue Kultur- und Arbeitsweise im gesamten Unternehmen. Welche Veränderung kannst Du hier nach einem Jahr beobachten?
Ein Digital Lab kann niemals alleine die Keimzelle für die Etablierung einer neuen Kultur- und Arbeitsweise im gesamten Unternehmen sein. Aber wir können einen wichtigen Beitrag leisten. Das tun wir durch die enge Vernetzung mit den Kollegen in der Organisation. So haben mehrere Fachbereiche Kollegen für einen oder sogar mehrere Sprints zur Mitarbeit ins Digital Lab entsandt. Außerdem engagieren wir uns für den digitalen Kompetenzaufbau in Form von Digital- und Programmierkursen für Nicht-IT’ler aus der gesamten Organisation.
Welchen Trend sollten Hermes und die Logistik allgemein auf der Agenda haben – Dein persönlicher Tipp?
Schwierig zu sagen. Sehr wahrscheinlich scheint, dass 2020 in Deutschland mehr als vier Milliarden Sendungen bewegt werden. Und die Erwartungen der Kunden nehmen eher zu als ab. Gleichzeitig werden die Verfügbarkeit von Zustellern oder die Befahrbarkeit von Innenstädten limitiert bleiben oder sogar noch abnehmen. Das erschwert zunehmend konventionelle Lösungen. Ich bin überzeugt, dass neue kundenfreundliche und smarte Zustellkonzepte eine wichtige Rolle spielen werden.