Seit August hat Katrin Eissler noch etwas mehr Arbeit als sonst. Aber sie beschwert sich nicht darüber. Sie macht das gerne. Die Geschäftsführerin der Spedition Neuner in Mittenwald hat drei ihrer vier Ausbildungsplätze an Geflüchtete vergeben. Dass sie dadurch jetzt mehr Arbeit hat, liegt aber nicht an den drei afghanischen Lehrlingen. „Die Jungs sind sehr engagiert und wissbegierig“, sagt Eissler. Es liegt vor allem an der Bürokratie, dass der Aufwand deutlich höher ist.
Eissler telefoniert wöchentlich Anträgen hinterher, kümmert sich um Wohnung, Sprachunterricht und eine EU-Ausbildungserlaubnis. Und manchmal wünscht sie sich schon „etwas mehr Unterstützung vom Landratsamt“. Ohne das Engagement von Eissler wären die drei Nachwuchskräfte jedenfalls ziemlich aufgeschmissen.
Die meisten Geflüchteten würden lieber einer Beschäftigung nachgehen, als sich den ganzen Tag die Zeit in ihren Unterkünften zu vertreiben. Sie haben den Wunsch, selbst für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Und es ist nachweislich leichter, sich in einer neuen Umgebung zu integrieren, wenn man einer Tätigkeit nachgeht. So einfach ist die Sache aber leider nicht.
Schon vor zwei Jahren riefen Vertreter der Wirtschaft und der Politik Unternehmen dazu auf, sich der Verantwortung zu stellen und möglichst viele Geflüchtete in eine Anstellung zu bringen. Wie sieht die Realität heute aus?
Die Integration in Unternehmen bleibt schwierig
Seit Juni 2016 liegen Zahlen zur Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung von Menschen vor, die aus ihren Heimatländern nach Deutschland geflüchtet sind. Im September 2017 wurden 189.000 geflüchtete Menschen als arbeitslos betreut, berichtet die Bundesagentur für Arbeit (BA). Das sind rund 32.000 mehr als im Jahr zuvor. In der Unterbeschäftigung wurden rund 200.000 Geflüchtete erfasst. Wie viele tatsächlich eine Arbeit gefunden haben, ist schwer zu sagen. Im Juli 2017 gingen laut BA 167.000 Personen mit einer Staatsangehörigkeit aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach.
Seit mehr als einem Jahr haben Asylsuchende zwar leichteren Zugang zum Arbeitsmarkt, weil die sogenannte Vorrangprüfung für drei Jahre ausgesetzt wurde. Das heißt, die Bundesagentur für Arbeit muss nicht mehr prüfen, ob ein Deutscher, EU-Bürger oder Ausländer, die einen uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt haben, zur Verfügung stehen, bevor ein Geflüchteter den Zuschlag für einen Job bekommen darf. Dennoch bleibt die Integration in die Unternehmen schwierig.
Größte Hürde sind immer noch die Sprachkenntnisse
Zwar ist somit eine bürokratische Hürde weggefallen, „aber das Verfahren ist insgesamt sehr aufwendig“, sagt beispielsweise Stefan Noort, der Sprecher der Industrie- und Handelskammer Hannover. Was rechtlich möglich ist, scheitert in der Praxis oft an mangelnden Sprachkenntnissen oder an fehlenden beruflichen Kenntnissen. Nur rudimentäre Sprachkenntnisse zu haben, reicht in den meisten Jobs nicht aus – vor allem, wenn vermehrt Kundenkontakt besteht. Oder komplexe technische Geräte zum Einsatz kommen.
In der Spedition Neuner in Mittenwald sorgen deshalb alle 25 Angestellten dafür, dass sich die neuen Mitarbeiter gut zurechtfinden. Die Firma bietet Deutschkurse an, aus jeder Abteilung stellen sich Leute zur Verfügung, mit den Lehrlingen den Stoff aus der Berufsschule nachzubereiten. Und Katrin Eissler nimmt die drei Jungs auch mal mit dem Auto mit, erspart ihnen so die Zugfahrt zum Wohnort und erfährt auch etwas darüber, wie es ihren Auszubildenden geht. „Ich möchte schon, dass sie wissen, dass sie mit allen Sorgen zu uns kommen können“, sagt sie.
Eine Umfrage des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung zeigt, dass knapp ein Viertel der deutschen Unternehmen in den vergangenen drei Jahren Geflüchtete beschäftigt hat. Allerdings beschäftigen nur zehn Prozent der befragten Firmen die Geflüchteten auch in regulären Jobs. Die meisten kommen über den Status eines Praktikanten nie hinaus.
Es sind zahlreiche Initiativen entstanden
Inzwischen gibt es zahlreiche Initiativen, die sich dem Thema angenommen haben. Das Netzwerk „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ beispielsweise ist eine Idee des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), die durch das Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. Ziel der Initiative ist es, möglichst viele Unternehmen auf einer Plattform zu vernetzen, um Wissen und Erfahrung über folgende Themen auszutauschen: Wie kann man geflüchtete Menschen kennenlernen und ihre Qualifikationen einschätzen? Was muss man bei ihrer Aus- und Weiterbildung beachten? Welche Begleitung brauchen sie im Arbeitsalltag? Was brauchen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um die neuen Kollegen gut aufzunehmen? Knapp 1.500 hauptsächlich mittelständische Unternehmen sind dem Aufruf bisher gefolgt.
Auch die Spedition Neuner ist dem Netzwerk beigetreten. Und froh über die Unterstützung. Denn neben der sozialen Verantwortung hat das Engagement von Katrin Eissler auch einen ganz praktischen Grund: Sie findet gar nicht genug deutsche Auszubildende. Der Fachkräftemangel macht sich zunehmend bemerkbar.
Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) vom Institut der Deutschen Wirtschaft Köln veranstaltet deshalb eine Roadshow durch Deutschland, um Unternehmen aufzuzeigen, wie sie internationale Fachkräfte erfolgreich in ihr Unternehmen und damit auch in die Gesellschaft integrieren.
In Potsdam hat sich ein Pilotprojekt zum Ziel gesetzt, geflüchtete Lehrer so weiter zu qualifizieren, dass sie auch in Deutschland ihrem Beruf nachgehen können. Die ersten 28 Lehrer kehren jetzt an die Schule zurück und sollen im Unterricht vor allem dabei helfen, geflüchteten Kindern und Jugendlichen besser zu integrieren.
„Es ist doch schwieriger, als viele gedacht haben“, sagt Thomas Becker, Pressereferent des Netzwerks Unternehmen integrieren Flüchtlinge. „Vor allem die Sprachbarrieren und der Ausbildungsstand sind immer wieder Hindernisse, dass es zu einer Anstellung kommt“, sagt Becker. Umso wichtiger sind Initiativen wie diese, die zeigen, was wie möglich ist. Finanziert ist das Netzwerk erst einmal bis Ende 2018. Becker hofft, dass es auch danach noch weitergeht. „Wir haben noch viel vor uns“, sagt er.
Katrin Eissler weiß, dass es noch ein langer Weg ist, bis ihre drei Lehrlinge ihre Ausbildung abgeschlossen haben. Doch sie ist zuversichtlich, dass es so positiv weitergeht. „Diesen Ehrgeiz hätte ich nicht erwartet“, gesteht die Geschäftsführerin. „Ein anderes Land, eine andere Sprache, davor ziehe ich meinen Hut“, sagt sie. Auch dass der Betrieb von einer Frau geführt wird, sei kein Problem für die Auszubildenden. Alles eine Frage der Abstimmung. „Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn alle drei es schaffen“, sagt Katrin Eissler, „sie haben es absolut verdient.“