Onlinehandel: Packen mit System
Von Kristin Hüttmann
Der Onlinehandel boomt – und sorgt damit gleichzeitig für immer mehr Verpackungsmüll. Logistiker, Händler und Entwickler arbeiten daran, den Versandhandel umweltfreundlicher zu machen.
Statt Einkaufstüten schleppen, nur ein Klick – so funktioniert Shoppen in Zeiten boomenden Internethandels. Das schnelle Einkaufen hat jedoch eine Kehrseite: Die Menge an Päckchen, Paketen und damit auch an Verpackungsmüll wächst und wächst. Und hat Deutschland einen zweifelhaften Spitzenplatz beschert: Kein anderes europäisches Land produziert so viel Verpackungsmüll wie wir. Kein Wunder also, dass wir auch in Sachen Onlinebestellungen international auf den oberen Plätzen rangieren – gleich hinter den USA, Großbritannien, China und Japan. Seit dem Jahr 2000 ist hierzulande die Menge an Sendungen von 1,7 auf 2,7 Milliarden gestiegen.
Händler, Logistiker und Entwickler tun einiges, um den Verpackungsaufwand zu reduzieren. Kein leichter Job. Denn: „Produkt- und Versandpackungen müssen eine Vielzahl von Aufgaben übernehmen“, sagt Kai Hoberg, Professor für Supply Chain Strategie an der Kühne Logistics University (KLU) in Hamburg. „Bei Produktverpackungen geht es nicht nur um den Schutz, sondern auch um Produktinformationen und Markendarstellung.“ Doch gerade hier biete der Onlinehandel einige Vorteile: „Der Kunde trifft seine Kaufentscheidung ja bereits am Bildschirm“, sagt Hoberg. „Er muss also nicht mehr durch bunte Farben und eine große Verpackung zum Kauf verlockt werden.“ Einige Händler haben das bereits erkannt, so entwarf Amazon gemeinsam mit Herstellern eine Verpackung für Produkte, die online verkauft werden: Ein schlichter einfarbiger Karton, der auf weiteren Schnickschnack verzichtet.
Die richtige Verpackung zu gestalten, ist schwierig
Was gut bei einem einzelnen Produkt funktioniert, wird schwierig, sobald mehrere Waren in eine Kiste müssen. Vor allem, wenn sie sehr unterschiedliche Größen haben, wie beispielsweise ein Buch, eine Gardinenstange und Ohrenstecker. Nicht selten wundern sich Kunden, dass bei einer Bestellung ein Großteil der Lieferung aus Luft besteht. Das Problem: Die Paketgröße für jede einzelne Bestellung optimal anzupassen, ist schwierig. Es kostet nicht nur viel Zeit, die richtige Kistengröße zu ermitteln und dann die Waren möglichst platzsparend zu packen. Die Versandhändler müssten auch eine Unmenge verschiedener Kartongrößen horten – oft ein Platzproblem. Doch passgenaue Pakete haben viele Vorteile: Je kleiner ein Paket, umso weniger Material wird für den Karton benötigt. Außerdem verringern sich Logistikkosten und CO2-Ausstoß, da das zu transportierende Gesamtvolumen geringer ist.
An die Lösung des Kartongrößenproblems hat sich Victoria Herzog gemacht. Für ihre Abschlussarbeit an der KLU ersann die Studentin eine Methode, mit der sich der Füllgrad eines Pakets verbessern lässt.
Dafür entwickelte sie eine geschickte Abfolge komplexer mathematischer Operationen. Diese Algorithmen rechnen verschiedene Packmöglichkeiten durch und wählen dann den Karton aus, der das kleinstmögliche Volumen hat. Außerdem liefern sie einen Packvorschlag, der den Füllgrad der Pakete verbessert. „Mit meinen Algorithmen ist eine Steigerung des Füllgrades über 20 Prozent möglich“, sagt Herzog. „So ist weniger Luft im Paket.“ Als Daten nutzte sie 200.000 Bestellungen aus dem Onlineversand von Tchibo. Und konnte daraus zusätzlich neue Kartongrößen ermitteln, die besser zu den Bestellungen des Konsumgüterherstellers passen. Mit Erfolg: Die clevere Idee fand Einzug in Tchibos Onlineversand.
Verpackungsmaterial: Kunststoff wird immer leichter
Auch die Hersteller können helfen, den Verpackungsaufwand zu reduzieren. So produziert Konsumgüterhersteller Unilever seine Verpackungen stets unimodular – sie haben alle die gleiche Form, so dass auch verschiedene Artikel die Fläche einer Europalette optimal ausfüllen. Außerdem entwickelt der Hersteller neue Produkte so, dass sie möglichst wenig Volumen benötigen. Beispielsweise kleinere Deosprays, die genauso ergiebig sind, wie größere.
Ist die Ware optimal verpackt, ist schon viel gewonnen. Dann geht es ans Material. Die Vielfalt der Verpackungen ist groß. Am stärksten ins Gewicht fallen Papier, Pappe und Karton, aus dem einfachen Grund, weil sie tatsächlich am schwersten sind. Noch mehr Waren werden hingegen in Kunststoff verpackt – nach einer Studie der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) sind sogar gut 63 Prozent der Produkte für den privaten Verbrauch so eingehüllt. Doch trotzdem machen Kunststoffverpackungen nach Gewicht nur 24 Prozent aus. Der Grund dafür: Seit 1991 sind Hüllen, Beutel und Dosen im Schnitt um gut 25 Prozent leichter geworden. Folien sind dünner, aber gleichzeitig strapazierfähiger geworden. So konnten im Jahr 2013 fast 1 Mio. Tonnen Kunststoff eingespart und damit auch weniger Rohstoffe verbraucht werden. Aber das reiche noch nicht, sagt Sven Weihe von PlasticsEurope, dem Verband der Kunststofferzeuger. „Wenn man sieht, wie der Onlinehandel durch die Decke geht, muss man da natürlich noch was tun“, sagt er. Daher entwickeln Forscher und Industrie Folien, die noch leichter und vor allem noch besser recycelbar sind.
Auch heute schon lassen sich Kunststoffe erstaunlich gut wiederverwerten. Es entsteht zwar nicht aus jedem Joghurtbecher ein neuer, aber gesammelte ausgediente Kunststoffe können auch zur Wärmeerzeugung genutzt werden. Lag vor 20 Jahren die Verwertungsquote noch bei nur drei Prozent, werden heute nahezu 100 Prozent verwertet. Verpackungen aus Polyethylen (PE) und Polypropylen (PP) lassen sich gut recyceln, während sich das früher häufiger verwendete Polyvinylchlorid (PVC) schlechter wiederverwerten lässt und obendrein meist Weichmacher enthält.
Der Verbraucher kann am meisten gegen den Verpackungsmüll ausrichten
Eine Art Mehrwegsystem für seine Verpackung hat ein finnisches Start-up ersonnen: Der Käufer bezahlt für die Verpackung beim Onlineshoppen ein Pfand. Nach dem Auspacken beklebt der Empfänger den Versandbeutel mit einem Rücksendeetikett und wirft ihn einfach in den Briefkasten. „Wenn die Tüten wieder bei uns sind, bekommt der Käufer das Pfand zurück – als Gutschein für den nächsten Einkauf“, sagt Repack-Chefdesigner Juha Mäkela. Bisher können die Repack-Versandtüten aus PP, PE und beschichtetem Karton nur in Finnland genutzt werden. Aber Mäkela ist optimistisch: „Wir verhandeln auch mit einem Dutzend europäischer Firmen.“
Auch in Deutschland arbeiten Firmen an ähnlichen Ideen, wie beispielsweise der Büroartikelversand Memo. Andere Händler verwenden Boxen, die vom Kunden gleich bei Erhalt entpackt und dem Anlieferer sofort wieder mitgegeben werden können. Das funktioniere beispielsweise mit Kühlboxen im Lebensmittelonlinehandel sehr gut, sagt Christian Milster, Referent für Prozessmanagement und Logistik beim E-Commerce Verband bevh. „Nachhaltigkeit ist heute kein Hexenwerk mehr, sondern wird zunehmend zum Standard“, sagt auch Max Thinius aus dem bevh-Netzwerk Nachhaltigkeit.
Trotzdem kann vor allem einer noch mehr tun: Der Verbraucher. Indem er Verpackungen nicht einfach im Hausmüll entsorgt, sondern selbst nochmal benutzt oder dem Verwertungskreislauf wieder zuführt. Und beim privaten Versand ein paar Tipps beherzigt: Am besten bereits genutzte Verpackungen nehmen, ansonsten Versandtaschen und -kisten aus Recyclingmaterial oder aus nachhaltigen Fasern. Und: geschickt packen, damit das Paket schön klein und kompakt ist. Zu Hause funktioniert das auch ohne Algorithmus.