Ruckzuck zurück

Rücksendungen gehören zum Online-Handel wie das Anprobieren im stationären Geschäft. In Deutschland wird besonders viel Ware zurückgegeben. Hermes Fulfilment in Hamburg wickelt täglich ganze Container davon ab und kennt die Sorgen der Händler.

Etwa drei Kilometer lang ist die Förderstrecke, die die zurückgeschickte Ware im Retourenbetrieb zurücklegt. (Foto: Urs Küster)

Rücksendungen gehören zum Online-Handel wie das Anprobieren im stationären Geschäft. In Deutschland wird besonders viel Ware zurückgegeben. Hermes Fulfilment in Hamburg wickelt täglich ganze Container davon ab und kennt die Sorgen der Händler.

Auf dem Hof von Hermes Fulfilment in Hamburg reihen sich ein halbes Dutzend weiße Container aneinander. An der Laderampe herrscht hektische Betriebsamkeit. Mitarbeiter be- oder entladen die Container. So geht das jeden Tag. Es ist der ganz normale Wahnsinn des Online-Handels. Denn Hermes Fulfilment betreibt  einen der größten Retourenbetriebe Europas.

In den kommenden Jahren werden die Hamburger noch mehr zu tun bekommen. Der Online-Handel wächst stetig. Im Jahr 2014, so schätzt der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh), klettert der Umsatz über das Internet auf mehr als 40 Milliarden Euro.

Zwar bleibt die Quote der Rücksendungen seit etwa fünf bis zehn Jahren konstant, doch mehr Handel führt auch zu mehr Rücksendungen. „Die Kunden müssen die Möglichkeit haben, die Waren problemlos zurückzusenden“, sagt Dieter Urbanke, Vorsitzender der Geschäftsführung von Hermes Fulfilment. So funktioniert das Geschäft.

Und es funktioniert über Schnelligkeit, wenn der Händler nicht am Ende auf seiner zunächst verschmähten Ware sitzen bleiben will. Kleidung, mit einer Quote von etwa 40 Prozent, der Spitzenreiter unter den Retouren, sollte möglichst noch während der laufenden Saison verkauft werden. Das ist eine logistische Herausforderung – bei zwölf bis 14 Kollektionen im Jahr und angesichts der Tatsache, dass Deutschland Europameister im Retournieren ist. Während hierzulande im Durchschnitt vier von zehn online bestellten Artikeln zurückgehen, sind es in Frankreich nur halb so viele.
Ein Grund dafür ist sicherlich die deutsche Tradition, auf Rechnung zu kaufen. Das führten die großen Versandhäuser wie Otto, Schwab, Neckermann, Schöpflin oder Quelle im Nachkriegsdeutschland ein, und daran traut sich bis heute kaum jemand zu rütteln. In anderen Ländern ist Vorkasse üblich. Muss der Kunde die Ware vorab bezahlen, überlegt er sich seinen Kauf genau. Die Hemmschwelle steigt, mehrere Artikel zur Auswahl oder nur mal so zum Ausprobieren zu bestellen.

Beim Verkauf auf Rechnung ist die Ware erst einmal zum Kunden unterwegs – meist auf Kosten des Händlers. Der Käufer hat per Gesetz das Recht, von seinem Online-Kauf ohne Angabe von Gründen innerhalb von 14 Tagen zurückzutreten. Jede Rücksendung kostet den Händler Geld  –das Porto, die Bearbeitung der Ware und die Wiedereinlagerung. Er trägt meist die Kosten für den Versand und für die Rücksendung. Auch nach der seit Juni geltenden neuen EU-Verbraucherrecht-Richtlinie belassen es große Händler wie Amazon, Zalando und Otto, aber auch zahlreiche kleinere Online-Shops dabei, weiterhin die Kosten der Rücksendungen zu tragen.

Der Grund dafür ist klar: „Wenn man Retouren erschwert und kostenpflichtig macht, reduziert man eher die Nachfrage als die Retourenquote“, ist Dieter Urbanke überzeugt. Retouren seien fester Bestandteil des Geschäftsmodells. „Die Möglichkeit, online bestellte Kleidung zu Hause anzuprobieren und sie zurückzuschicken, wenn sie nicht passt oder gefällt, ist nichts anderes als die Umkleidekabine im Stationärhandel“, so Dieter Urbanke weiter.

Nicht jede Ware kommt allerdings in ihrem ursprünglichen Zustand zurück. Etwa jede zehnte Retour kann nach Angaben von ibi research der Uni Bamberg nicht mehr verwendet werden, weil sie starke Gebrauchsspuren aufweist oder defekt ist. Weitere zwölf Prozent werden als B-Ware verkauft.

Der beste Weg, die entstehenden Kosten zu reduzieren, ist sicherlich, Retouren immer mehr zu vermeiden. Das gehen Online-Händler unterschiedlich an: Während die einen ihre Produktbeschreibungen mit genaueren Größenangaben, hochaufgelösten Bildern und Videos verbessern, setzen die anderen auf Tipps von der Community zu bereits gekauften Artikeln. Beratungen via Telefon oder Live-Chat sollen ebenfalls helfen, dass der Kunde gleich das passende Produkt bestellt. Wenn der Warenkorb Auffälligkeiten aufweist, wie etwa zweimal das gleiche Produkt, kontaktieren die Händler immer öfter die Kunden, um vorab zu klären, ob ihm vielleicht ein Fehler unterlaufen sei.

Trotz aller Maßnahmen und Strategien können Online-Händler allein die Rücksendungen hierzulande aus eigener Kraft kaum mehr effizient bewältigen. Deshalb übergeben  sie diese Aufgabe an spezialisierte Dienstleister wie Hermes Fulfilment. Allein in Hamburg werden jährlich etwa 50 Millionen Rücksendungen für die Marken der Otto-Group und die anderer Händler bearbeitet. Rund 1.200 Mitarbeiter sorgen an sechs Tagen die Woche in drei Schichten dafür, dass die Artikel schnellstmöglich wieder für die Käufer verfügbar sind. Die einzelnen Arbeitsschritte im Betrieb sind daher akribisch aufeinander abgestimmt. Über Bänder gelangen die ausgeladenen Tüten und Kartons via Barcode und Scanner geleitet über summende Förderbänder direkt an den richtigen Arbeitsplatz des jeweils zuständigen Mitarbeiters. Dieser hat bereits alle Informationen zu der Sendung und dem Kundenkonto auf seinem Bildschirm.

Die Mitarbeiter prüfen die Waren auf Vollständigkeit und Zustand anhand der beiliegenden Rücksendebelege und schreiben dem entsprechenden Kundenkonto den Kaufpreis gut. Artikel mit Anprobierspuren werden gereinigt und neu verpackt. Anschließend gelangen sie wieder in Wannen in die zuvor geleerten Container. Die Durchlaufzeit einer Textilretoure  beträgt gerade einmal eine Stunde. „Damit die Ware so schnell wie möglich wieder in den Handel gelangt, sollte der Weg vom Kunden zurück zu uns nicht länger als drei Tage dauern“, erklärt Urbanke. Daher hat Hermes ein dichtes Netz an Rückgabestellen aufgebaut.

Das schnelle Zurückschicken ist das Eine, die systematische und effiziente Wiederaufbereitung der Retouren das Andere. Nur, wenn man die Gründe für die Retouren genau kennt, lassen sie sich auch reduzieren. Dieter Urbanke und seine Mitarbeiter werten bei allen Rücksendungen den Grund für die Retoure aus, zum Beispiel „zu klein“ oder „andere Qualität als erwartet“. „Diese Angaben werten wir in unserem System kundenneutral aus. So erhalten wir  verlässliche Daten und können daraus Trends erkennen“, erklärt Urbanke.
Anhand dieser Informationen können die großen Handelsketten entsprechend reagieren. Sie wissen, jede Retoure schmälert die Rendite. Je weniger Artikel zurückgeschickt werden, desto größer ist der Gewinn. Bei Hermes Fulfilment müssen sie sich deshalb aber keine Sorgen machen. In Hamburg hätten sie auch dann jeden Tag noch genug zu tun. Solange der Online-Handel wächst.

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