Tag der Logistik: „Logistik ist für mich ein Hidden Champion“
Die Veranstalter*innen des „Tag der Logistik“ schreiben: „Logistik ist mehr als in zweiter Reihe parkende Sprinter, Probleme mit dem Paketlieferanten oder Versorgungsengpässe bei Toilettenpapier.“ Was bedeutet Logistik für Sie persönlich?
Frauke Heistermann: Versorgung. Wenn Logistik nicht arbeitet, haben Unternehmen und Menschen ein Problem. Sie ist für mich aber auch eine Zukunftsbranche. Ich arbeite seit über 25 Jahren in der Logistik, dabei ist mir vor allem eines aufgefallen: Es gibt immer wieder neue Möglichkeiten, die sich auftun. Ich habe Projekt- und Produktmanagement gemacht, ein Start-up gegründet, Mandate in Aufsichtsräten übernommen oder engagiere mich bei den Wirtschaftsmachern für Initiativen gegen den Fachkräftemangel. Unsere Branche ist zukunftssicher und wird immer wieder neue Möglichkeiten bieten. Sie entwickelt sich ständig weiter und übernimmt immer mehr Verantwortungsbereiche in der Lieferkette.
Das hört sich alles sehr positiv an. Wird Logistik anders wahrgenommen?
Frauke Heistermann: Ja, sie wird von vielen Menschen unterschätzt, weil sie nicht wirklich sichtbar ist und oft unter dem Radar läuft. Sie ist für mich ein Hidden Champion. Ich vergleiche sie immer mit einem Anästhesisten bei einer OP. Den bekomme ich eigentlich nicht mit, aber ohne seine Arbeit könnte ich mich nicht operieren lassen. Logistik ist ebenfalls zu einem Großteil im Hintergrund tätig. Ihr Zitat mit den Sprintern in zweiter Reihe zu Beginn beschreibt nur einen Ausschnitt der Logistik, auf den sie aber in der öffentlichen Wahrnehmung oft reduziert wird: den KEP-Zustellservice. Damit verbunden sind oft viele pauschale Vorurteile: Staus, Umweltverschmutzung, hemdsärmelige Arbeit. Die KEP-Branche arbeitet sehr aktiv an Nachhaltigkeitskonzepten. Und dass die Logistik eine Hightech-Branche ist, die unter anderem Prozesse mithilfe von Digitalisierung und moderner Technik optimiert, bekommt die Öffentlichkeit oft nicht mit – ein typisches Problem von Jobs, die im Hintergrund ablaufen.
Um Jobs geht es auch beim „Tag der Logistik 2023“.
Frauke Heistermann: Das Thema „Fachkräftemangel“ ist der Schwerpunkt in diesem Jahr. Wir können nicht wachsen und uns weiterentwickeln, wenn wir nur dritte Wahl bei den Jobsuchenden sind. Der „Tag der Logistik“ soll nach außen wirken und einen positiven Einblick liefern. Viele Unternehmen öffnen für einen Tag ihre Pforten und gewähren Einblicke hinter die Kulissen, etwa das Zalando-Lager in Erfurt oder die Busfahrt durch den Duisburger Hafen.
Hat die Logistikbranche immer noch ein Imageproblem?
Frauke Heistermann: Ja, das hat sie. Das Gute daran ist: Die Branche ist viel besser als ihr Image. Wäre schlecht, wenn es umgekehrt wäre. Logistik leidet noch unter vielen Vorurteilen, die nicht stimmen.
Zum Beispiel?
Frauke Heistermann: Logistik ist Umweltverschmutzer, Logistik ist nichts für Akademiker, Logistik ist Stau-Verursacher … Kaum jemand weiß, dass wir der drittgrößte Wirtschaftsbereich in Deutschland sind. Hand aufs Herz: Viele Unternehmen bekommen es leider noch nicht richtig kommuniziert, zu zeigen, wie vielfältig Logistik und damit auch das Arbeitsumfeld ist. Wir kommunizieren innerhalb der Branche, aber wir sollten uns ergänzend viel stärker an die Öffentlichkeit wenden. Dafür ist der „Tag der Logistik“ eine gute Möglichkeit. Die Leute müssen darüber reden, wie wichtig ihre Arbeit ist. Es gibt genügend Ansätze, um das Image zu ändern.
Drei Jahre Corona-Pandemie waren doch eigentlich ein guter Anlass, um das Image aufzubessern, oder? Der Logistikbranche konnte in Krisenzeiten für Versorgungssicherheit sorgen.
Frauke Heistermann: Corona hat uns beim Image in die Karten gespielt, weil Logistik auf einmal verstärkt sichtbar wurde. Die Menschen haben verstanden, dass hinter dem Paketzusteller eine komplexe, globale Lieferkette steht, die gemanagt werden muss. Darauf können wir uns aber nicht ausruhen. Corona ist vorbei, jetzt kommen andere Schwierigkeiten. Aktuell stehen wir durch den Fachkräftemangel im starken Wettbewerb mit anderen Berufsbranchen, die ebenfalls die guten Fachkräfte haben wollen.
Ukraine-Krieg, Energiekrise, Klimawandel: Die Krise ist zum Dauerzustand geworden. Zudem hemmt die Inflation das Konsumverhalten, was wiederum die KEP-Branche spürt. Ist das nur eine Momentaufnahme?
Frauke Heistermann: Wir leben in volatilen Zeiten, ein back to normal kann ich mir kaum vorstellen. Ich vermute, dass immer wieder neue Krisen kommen werden, auf die wir uns einstellen müssen. Resilienz ist zu einer wichtigen Erfolgsfaktor geworden. Corona hat in der KEP-Branche für eine extreme Sonderkonjunktur gesorgt. Das war nicht normal. Dieser Peak muss sich jetzt wieder einpendeln. Ich bin stets optimistisch und überzeugt, dass wir schon bald wieder solides Wachstum mit einem soliden Konsumverhalten erleben werden. Wichtig ist, dass wir weitsichtig bleiben und lernen, mit zukünftigen Krisen umzugehen.
Worauf sollten KEP- und Logistikbranche in den kommenden Jahren ganz besonders achten?
Frauke Heistermann: Ich würde mir wünschen, dass wir aufgeschlossener für neue Ideen und Technologien werden. Deutsche Unternehmen sind bei Neuigkeiten häufig kritisch und fokussieren sich auf die potenziellen Risiken als auf die Chancen, die Innovationen mit sich bringen. Ich würde mir eine offenere, neugierige Haltung gegenüber beispielsweise neuen Technologien wünschen. Gemeinsam haben wir eine Riesenchance, etwa Logistikketten noch grüner zu machen. Die KEP-Branche steht viel mehr in der Öffentlichkeit – wenn wir ihr Image verbessern, profitieren davon automatisch auch andere Logistikbereiche.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Frauke Heistermann ist Sprecherin der Initiative „Die Wirtschaftsmacher“, an der zahlreiche Unternehmen, logistiknahe Verbände, Vereine, Hochschulen und Medien beteiligt sind. Ziel der Initiative ist es, das Bild des Wirtschaftsbereichs Logistik in der Öffentlichkeit zu verbessern und (junge) Menschen für einen Job in der Logistik zu begeistern.