Autofreie Modellstadt Barcelona Superinseln und Superbüttel: So prägen neue Verkehrskonzepte die KEP-Branche

Muss Mobilität im Stadtteil neu gedacht werden? Nach dem Vorbild von Barcelona wollen große Städte zunehmend Raum an die Menschen zurückgeben und Autos so gut es geht verbannen. Den Lieferverkehr stellt das vor Herausforderungen.

Superilla im Arbeiterviertel Poblenou in Barcelona (Foto: Josep Maria de Llobet)

Ein Riesenschachbrett und Spielplätze auf Kreuzungen, ein Garten mit Sitzbänken in der Hauptstraße, in der Nebenstraße treffen sich Menschen mitten auf der Fahrbahn für einen Sportkurs im Freien. Dabei handelt es sich nicht um einen autofreien Sonntag – in der katalanischen Metropole Barcelona ist das Alltag. Seit 2017 installiert die Stadt immer mehr der sogenannten „Superilles“, also Superinseln oder auch Superblocks genannt.

Autos fahren nur noch in Schrittgeschwindigkeit

Vier bis neun Häuserblocks werden zu einem Superblock zusammengefasst. Innerhalb der Blocks werden die Straßen zurückgebaut, 60 Nebenstraßen wurden bereits für den Autoverkehr gesperrt. Nur noch Anwohner und der Lieferverehr dürfen passieren – in Schrittgeschwindigkeit. Um die 2×2 oder 3×3 Blocks großen „Superinseln“ herum fließt der übliche Verkehr auf den Hauptverkehrsadern.

Im ehemaligen Arbeiterviertel Poblenou ging es los, immer mehr Superblocks kommen dazu, am Ende könnten es rund 500 werden. Barcelona ist für den Plan gut geeignet, weil große Teile der Metropole bereits schachbrettartig angelegt sind. Um den Bewohnern trotzdem größtmögliche Mobilität zu gewährleisten, wird der Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel erleichtert: Niemand soll weiter als 250 Meter bis zur nächsten Bushaltestelle gehen – und es gibt 28 neue Buslinien, so dass Warte- und Fahrzeiten extrem gekürzt werden. Außerdem verdreifacht die Stadt das Radwegenetz bis zum Jahr 2030 auf 300 Kilometer, um den Umstieg auf das Fahrrad zu erleichtern.

Mehr Lebensqualität durch Superblocks

Doch warum das alles? Die Verstopfung der zu dicht bebauten Straßen und die Luft- und Lärmbelastung in Barcelona hatte zuletzt enorme Ausmaße angenommen. Der CO2-Ausstoß soll reduziert werden, zudem könnte der Wärme-Inseleffekt gemindert werden, der in Großstädten im Sommer die Häuserschluchten extrem aufheizt. Mit weniger Verkehr und mehr Grün soll die Stadt lebenswerter für die Bewohner werden und ihnen den Lebensraum Stadt wieder zurückgeben.

Eine Studie des Barcelona Institute for Global Health (zusammen mit der Public Health Agency of Barcelona (ASPB) und der BCNecologia) kam zu dem Schluss, dass durch die Superblocks die Lebenserwartung der Bewohner um fast 200 Tage steigen könnte. Außerdem seien in Barcelona jedes Jahr 667 vorzeitige Todesfälle vermeidbar, wenn alle der geplanten Superblocks implementiert werden. Grund dafür sei die stetig abnehmende Luftverschmutzung, geringerer Verkehrslärm und der Rückgang des Hitze-Insel-Effekts. Von 1,19 Millionen Fahrten pro Woche in Privatfahrzeugen sollen nur noch 230.000 übrigbleiben.

Außerdem könnte Barcelona nach der Realisierung der Superinseln den Stickstoffdioxid-Ausstoß um 24 Prozent senken und die Grenzwerte der WHO erstmals einhalten. Und: Das von vielen befürchtete Geschäftesterben ist bislang ausgeblieben. Die Anzahl der lokalen Läden stieg sogar um 30 Prozent.

Superblocks-Konzept braucht spezielle Voraussetzungen

Dr. Ralf Bogdanski, Logistik-Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg, hält die Superblocks für ein vielversprechendes Konzept – mit Einschränkungen: „Ob es sich eignet, hängt stark von den vorhandenen stadträumlichen Strukturen ab. Gerade in ‚mittelalterlich‘ geprägten historischen Stadtvierteln funktioniert es eher nicht, in gut erschlossenen Stadtgebieten punktuell sicher schon eher“, erklärt er. Vor einer Realisierung rät er in jedem Fall zu sorgfältiger wissenschaftlicher Begleitung: „Bisher gibt es noch keine Untersuchungen dazu, welche Ausweichverkehre und Verdrängungseffekte auf angrenzende Stadtgebiete solche ‚Superquartiere‘ verursachen, um eine abschließende Bewertung vorzunehmen“, so Bogdanski.

Unterdessen macht das Konzept aus Barcelona Schule: München plant einen ersten „Superblock“ rund um den Glockenbachspielplatz im Bezirk Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, in Berlin möchte der Verein Changing Cities mit der Kampagne „#Kiezblocks 180“ verkehrsberuhigte Kieze in ganz Berlin realisieren. In Hamburg sollen nach dem Vorbild Barcelonas das sogenannte „Superbüttel“ (angelehnt an den gewünschten Projektort Eimsbüttel) entstehen, in denen die Autos nur Gast sind. In Wien wird die Installierung von Superblocks gerade in einem Forschungsprojekt untersucht: Dort wurde in der Modellierung am Rand des Superblocks ein Logistik-Hub eingerichtet, von dem aus Waren und Pakete mit einem Lastenfahrrad im Superblock weiterverteilt werden können.

Mikrodepot-Konzepte und ganztägiger Lastenradeinsatz

Das stark angestiegene Wachstum im Bereich Online-Shopping wird laut Prognosen auch nach Abflachen der Corona-Pandemie nicht wieder auf das Niveau der Vorjahre abfallen. Im Hinblick auf die Paketlieferung in Superblocks wie in Barcelona bedarf es deshalb geeigneter Lösungen und Konzepte: „Sinnvoll logistisch zu versorgen wären ‚Superquartiere‘ nur in Kombination mit Mikrodepot-Konzepten und ganztägigem Lastenradeinsatz. Damit Letzteres sinnvoll umgesetzt werden kann, ist jedoch ein größerer stadträumlicher Umgriff auf Eignung zu analysieren, punktuelle ‚Superquartiere‘ reichen dazu ganz sicher nicht aus“, sagt Professor Ralf Bogdanski.

Für Städte bedeutet das, dass sie bereits jetzt vorausschauend geeignete Standorte für Mikro-Hubs finden müssen. Und auch die Anlieferung von Waren an die Geschäfte innerhalb der Superblocks muss dabei berücksichtigt werden. Insgesamt bedarf es in den nächsten Jahren innovativer Logistik-Konzepte für die Innenstädte, die die Dienstleistung ermöglichen, ohne durch zu viel Wirtschaftsverkehr das Konzept der Superblocks zu konterkarieren.

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