Digitalisierung: Den Change richtig gestalten
Der digitale Wandel hat inzwischen fast alle Branchen erfasst. Die neue Arbeits- und Lebenswelt 4.0 eröffnet viele Chancen und Potentiale, stellt aber auch ganze Märkte, Unternehmen und jeden Einzelnen auf die Probe. Wie dieser „Change“ erfolgreich und vor allem menschennah gemanagt werden kann, weiß die Schwedin Liri Andersson. Sie hat mit „this fluid world“ ein Start-up gegründet, das Unternehmen in ihren Change-Prozessen berät.
Frau Andersson, was kennzeichnet die „fließende Welt“ (fluid world), die Sie beschreiben? Wie verändert sie unser Arbeitsleben?
Ich steige gerne mit einem Beispiel ein. Heute Morgen habe ich versucht, ein Zugticket umzubuchen. Mir wurde mitgeteilt, dass dies nicht möglich sei. Nicht, weil man mir nicht helfen wollte – sondern weil das IT-System diesen Vorgang nicht unterstützt. In einer fließenden Welt hätte ich eine solche Antwort nicht erhalten! In einer fließenden Welt ist das System, also eine Organisation, ihre Prozesse oder Technologien, komplett darauf ausgerichtet, das Richtige im Sinne seiner Kunden, Mitarbeiter und Stakeholder zu tun. Ein solches Geschäftsmodell basiert auf Leidenschaft, Vertrauen und Transparenz. Es ist offen für Neues, schnell, flexibel und lernfähig, auf Kooperation ausgelegt und wertschätzt die Menschen und Mitarbeiter, die zu seinem Erfolg beitragen. Indem sich Unternehmen dieser Fähigkeiten entsprechend aufstellen, erreichen sie die Agilität, Innovationskraft und Relevanz, die sie brauchen, um in einer sich schnell verändernden Welt erfolgreich zu sein.
Welche Faktoren sind für einen positiven Change-Prozess besonders wichtig?
Wir erleben derzeit einen Wandel von einem situativen bzw. fallweisen Change-Management hin zu einem kontinuierlichen Management von Veränderung. Das bedeutet, die Fähigkeit und der Wille zur Veränderung sollten grundlegend in der DNA von Firmen verankert sein. Fest steht, dass eine erfolgreiche Transformation nicht aus dem Hut zu zaubern ist. Unternehmen sollten sich vielmehr dauerhaft darauf vorbereiten, damit die Organisation den Change, der irgendwann unvermeidbar ist, nicht selbst blockiert. Für mich ist der wichtigste Erfolgsfaktor eine gute Unternehmenskultur, die Veränderung ermutigt und möglich macht. Eine positive „Corporate Culture“ durchdringt alle Bereiche im Unternehmen. Firmen, die eine gute Unternehmenskultur pflegen, sind in der Regel in einer „fließenden Welt“ überdurchschnittlich erfolgreich.
Was sind die häufigsten Fehler, die Unternehmen im Change-Prozess begehen?
Ganz klar: die Menschen, die hinter dem Change stehen, zu vergessen. Das geschieht leider immer wieder. Dabei geht es bei Veränderungen in Unternehmen immer um Menschen! Sie können eine starke Vision aufstellen, einen neuen Nischenmarkt entdecken, in modernste Technologie investieren, die ideale Geschäftsstruktur dafür aufbauen und die schlagkräftigsten Strategien aufsetzen – kurz, Sie können alles richtig machen und werden dennoch scheitern, wenn Sie die Menschen vergessen. Ich kann nicht genug betonen wie wichtig es ist, sich die Zeit zu nehmen und sicherzustellen, dass die Mitarbeiter die Veränderung bzw. die Notwendigkeit dahinter verstehen. Dazu gehört auch, offen und hierarchieübergreifend zu kommunizieren, und zwar auf allen Ebenen der Organisation. Und Kommunikation meint in diesem Fall nicht die obligatorische Powerpoint-Präsentation in Meetings, in denen niemand einen Mehrwert sieht. Ich meine damit die Intelligenz, jede sich ergebende Chance zu nutzen, um Ihre Vision oder Botschaft an die Frau bzw. den Mann zu bringen. Und natürlich, im Gegenzug auch: Zuzuhören!
Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei Change-Aktivitäten?
Keine. Es sei denn, die strategische Analyse im Unternehmen ergibt, dass die Digitalisierung ein wesentlicher Faktor ist. Neue Technologien können natürlich die Notwendigkeit zur Veränderung beschleunigen und auf die Spitze treiben. Sie können den Wandel sicherlich auch positiv unterstützen, indem sie Unternehmen helfen sich anzupassen, effizienter zu werden und neue Lösungen umzusetzen. Die Digitalisierung hat aber nur eine Relevanz, wenn Sie zum Unternehmenswert beiträgt – für sich genommen ist sie nutzlos. Im Change-Prozess haben Technologien nur eine nennenswerte Aufgabe: den Change erfolgreich zu gestalten.
Welchen persönlichen Ansatz haben Sie im Umgang mit Veränderung?
Vorab: Ich mag Veränderung nicht! Das überrascht viele. Als Kind habe ich immer geschmollt, wenn mein Vater ein neues Auto gekauft hat. Dafür habe ich in meinem späteren Leben allerdings viel Veränderung gesucht und zugelassen und diese dann offensichtlich auch noch zu meinem Beruf gemacht. Insofern ist mein Zugang zum Change ein sehr menschlicher! Ich kann nachempfinden, dass viele Menschen Veränderung meiden, ich verstehe auch die Angst, die damit einhergeht und weiß, was ich von Menschen in Unternehmen verlange, die ich in einem Change-Prozess begleite. Mein Ansatz ist insofern sehr einfach, ich lege Wert auf Respekt und Menschlichkeit. Dennoch bin ich regelmäßig überrascht, wie viele Mitarbeiter im Arbeitsleben verlernen, Menschen zu bleiben. Keine Frage: Bleiben Sie anspruchsvoll, bleiben Sie effizient – aber dabei bitte auch menschlich! Es wird zu Ihrem Erfolg beitragen.