Interview mit Hanjo Schneider „Neuentwicklungen sind risikobehaftet, aber bieten Chancen“

Das Hermes Geschäftsjahr endet traditionell im Februar – jetzt liegen alle relevanten Zahlen zum 2015 erzielten Ergebnis vor. Ein Gespräch mit Hanjo Schneider, Vorstand der Otto Group für das Segment Service und Aufsichtsratsvorsitzender der Hermes Europe GmbH, über den aktuellen Status bei Hermes und die Aussichten für 2016.

Hanjo Schneider: Der Aufsichtsratsvorsitzende von Hermes Europe zieht positive Bilanz. (Foto: Hermes)

Das Hermes Geschäftsjahr endet traditionell im Februar – jetzt liegen alle relevanten Zahlen zum 2015 erzielten Ergebnis vor. Ein Gespräch mit Hanjo Schneider, Vorstand der Otto Group für das Segment Service und Aufsichtsratsvorsitzender der Hermes Europe GmbH, über den aktuellen Status bei Hermes und die Aussichten für 2016.

Herr Schneider, das Geschäftsjahr 2015 fiel für Hermes wie aus?

Sehr erfreulich – und sogar deutlich über unseren Erwartungen. 11 Prozent Zuwachs bei Sendungsvolumen und Umsatz gleichermaßen sind nach respektablen sieben Prozent im Vorjahr nochmals eine ordentliche Steigerung. Ferner sind wir mit unseren Kunden außerhalb des eigenen Konzerns, die für 74 Prozent unseres Gesamtumsatzes stehen, um 16 Prozent gewachsen. Damit haben wir uns im stark umkämpften 2C-Markt, den immer mehr Wettbewerber für sich erschließen wollen, sehr gut behauptet und sind erneut deutlich über Markt gewachsen. Unsere Strategie, als weltweit integrierter vertikaler Dienstleister entlang der Wertschöpfungskette zu agieren, geht also sehr gut auf.

Welchen Anteil daran hatte der Streik bei der Deutschen Post AG im vergangenen Sommer?

Selbstverständlich haben wir dadurch temporär mehr Mengen bewegt, weil wir zuverlässig zur Stelle waren, um vom Streik betroffenen Händlern schnell und unkompliziert zu helfen. Entscheidender aber war es, dass wir so auch Versender von Hermes als leistungsstarke und verlässliche Alternative überzeugen konnten, die bis dahin noch nicht mit uns zusammen gearbeitet hatten. Entsprechend wurden wir auch im Nachgang von vielen Auftraggebern insbesondere aus dem keinen und mittelständischen Bereich, die forciert eine Mehrdienstleisterstrategie auf- oder ausbauen, weiter beschäftigt.

Welche Erwartungen haben Sie für 2016? 

Das neue Geschäftsjahr hat für uns sehr ordentlich begonnen. Aber zu diesem frühen Zeitpunkt möchte ich noch keine Prognose wagen, zumal die politische Entwicklung weltweit in vielerlei Hinsicht besorgniserregend und dadurch wenig berechenbar ist.

Digitalisierung: „Wir stecken mittendrin“

Trotzdem werden unter dem Hermes-Dach neue Start-ups ausgebaut. Ein zusätzliches Risiko?

Neuentwicklungen sind immer risikobehaftet, bieten aber auch Chancen – eine unternehmerische Konsequenz. Und mit BorderGuru, Zitra und unserer Beteiligung an dem SameDay-Spezialisten Liefery können wir eben auch an neuen, sich interessant entwickelnden Marktsegmenten und Trends partizipieren. Selbstverständlich bleiben das Paketgeschäft und verwandte Geschäftsbereiche wie das Fulfilment essenziell für Hermes. Aber deswegen attraktive Geschäftsfelder mit Wachstumspotenzial unbeachtet zu lassen, wäre unternehmerisch fahrlässig. Schließlich sind es doch primär innovative, neue Ideen, die den Grundstein für unsere Zukunftsfähigkeit bilden. Der Mix macht es – und da stehen wir mit 12 etablierten Einzelgesellschaften und einer Handvoll Neugründungen gut da.

Wie weit ist Hermes bei der Digitalisierung gekommen?

Wir stecken mittendrin. Die technologische Entwicklung ist ja ein laufender Prozess – da gibt es keinen Stillstand oder Endpunkt. Für den unternehmerischen Erfolg ist es daher maßgeblich, wie gut sich die Organisation auf den konstanten Wandel einstellen kann. Bei Hermes stimmt es mich positiv, dass Services wie der Mobile Paketschein, der über die Hermes App genutzt werden kann, sehr gut von den Kunden angenommen werden. Das ist wirklich ein digitales Produkt in Reinkultur. Zudem engagiert sich die gesamte Unternehmensgruppe in der Boombranche E-Commerce – und die wird in den nächsten Jahren weiter enorm zulegen. Die Perspektive stimmt also: Wir wissen, was zu tun ist – und tun das in einem wachsenden Markt.

Im vergangenen Jahr monierten Sie, dass pro Sendung in Deutschland 50 Cent bis ein Euro fehlen, um auskömmlich zu arbeiten. Hat sich das geändert?

Ich würde nicht so weit gehen wollen, hier ein wirkliches Umdenken bei Händlern und Verbrauchern zu konstatieren, mehr Geld für logistische Services bezahlen zu wollen. Aber ich meine eine Tendenz dahingehend festzustellen, dass Transport und Logistik nicht mehr nur als notwendiges, möglichst billig zu bezahlendes Übel, sondern als werthaltige, den Internet-Einkauf abrundende Dienstleistung wahrgenommen wird. Und das ist auch zwingend notwendig, schließlich sind Globalisierung oder auch nur bequemes Online-Shopping ohne Logistik nicht möglich.

Perspektiven für Flüchtlinge

Trotzdem scheint es schwierig zu bleiben, Menschen für die Arbeit als Zusteller zu gewinnen?

Das stimmt. Der Job ist anspruchsvoll, oft auch stressig und liegt im unteren Lohnbereich – schlichtweg auch, weil die Preise so sind wie sie sind. Ein Privatpaket für 3,89 Euro von Flensburg nach Garmisch wirft nun mal keine hohen Margen ab, was sich auch auf die Löhne auswirkt.

Können Flüchtlinge vielleicht aushelfen und den Mangel an Zustellern verringern?

Sie stellen eine Chance für unser Land dar, wobei die Integration sicherlich eine „Herkulesaufgabe“ wird. Die Logistik ist eine prosperierende Branche mit einer hohen Zahl gewerblicher Arbeitsplätze, die einen wachsenden Personalbedarf verzeichnet und entsprechende Beschäftigungsperspektiven bietet, entsprechend kann sie hier potenziell einen Beitrag leisten. Doch auch hier bedarf es zwingend Voraussetzungen wie Bleibeberechtigung einerseits und einem möglichst schnellen Spracherwerb andererseits. Wir sind bei Hermes derzeit dabei, spezielle Ausbildungsmöglichkeiten für die Neuankömmlinge in Deutschland zu entwickeln und arbeiten dafür auch eng mit unserem Bundesverband, dem BIEK, sowie den hier engagierten Branchenunternehmen zusammen.

Hermes investiert in neue Standorte und wächst. Gute Voraussetzungen also, auch um weitere Arbeitsplätze zu schaffen, oder?

Ich bin mir auf jeden Fall sicher, dass wir unserer unternehmerischen Verantwortung überzeugend nachkommen. Wir haben in den vergangenen Jahren viel getan, um die Arbeit auf der Letzten Meile zu verbessern, den Umweltschutz intensiviert und vieles mehr. Insofern bin ich zuversichtlich, dass wir trotz fortschreitender Digitalisierung und Automatisierung auch weiterhin ein attraktiver Arbeitgeber für eine stetig wachsende Zahl von Menschen bleiben.

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