E-Bikes könnten Zehntausende Autofahrten sparen
Eine halbe Million E-Bikes wurden im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft, das Rentner-Image haben sie längst abgelegt. Die Räder mit elektrischem Rückenwind könnten langfristig eine Alternative zum Auto werden und den Verkehr in Ballungsräumen und die Logistik nachhaltig verändern.
Sie sind atmungsaktiv, wasserabweisend, elastisch und haben Lüftungsschlitze: „Commuter Suits“, Pendler-Anzüge, gibt es beispielsweise beim amerikanischen Herrenausstatter Parker Dusseau. Auch das britische Label Ted Baker hat einen Zweiteiler entworfen, der den besonderen Anforderungen pendelnder Fahrradfahrer angepasst ist. Über den Stil und die Businesstauglichkeit gibt es unterschiedliche Meinungen, doch die Designer reagieren mit dem Angebot auf den Trend, dass auch Anzugträger immer öfter auf das Zweirad ausweichen – bei längeren Strecken auch gerne auf das E-Bike.
Das Image der Mobilitätshilfe für rüstige Rentner hat das Fahrzeug längst abgelegt: Am Sonntagabend drängen sich die E-Bikes der Pizza- und Sushi-Lieferdienste in den Wohngebieten und junge Großstädter lassen sich gern mit ihrem E-Bike im Retrostil aus der Radmanufaktur sehen.
E-Bikes mit steigenden Absatzzahlen
Die Gesellschaftsfähigkeit der E-Bikes beschert dem Fahrradmarkt steigende Absatzzahlen: Nach Angaben des Zweirad-Industrie-Verbands e.V. wurden 2015 in Deutschland 535.000 E-Bikes verkauft – 11,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Schon Anfang 2015 hat das Statistische Bundesamt in privaten Haushalten zwei Millionen Elektrofahrräder gezählt, mehr als vier Prozent aller Haushalte besaßen mindestens eines – Tendenz stark steigend.
Den größten Nutzen bringen die Gefährte sicherlich auf dem Weg zur täglichen Arbeit. „Gerade für Ballungsgebiete ergibt sich die Möglichkeit, dass Pendler mit E-Bikes auch längere Strecken meistern können und so den Verkehr deutlich entzerren“, sagt Wasilis von Rauch, Chef des ökologischen Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Luft nach oben gibt es reichlich: Der aktuellste „Mikrozensus Berufspendler“ des Statistischen Bundesamtes von 2012 zeigte, dass 54 Prozent der Deutschen einen Arbeitsweg von weniger als zehn Kilometern haben und nur jeder Fünfte täglich weiter als 25 Kilometer fährt. Trotzdem nutzen 66 Prozent der Pendler das Auto – täglich und in den meisten Fällen alleine.
„Bis 20 Kilometer für den einfachen Arbeitsweg kann man mit dem E-Bike locker machen, ohne ins Schwitzen zu kommen und im Stadtverkehr ist man damit sogar noch schneller“, sagt von Rauch. Für größere Entfernung kämen dann S-Pedelecs in Frage, die auch noch bei mehr als 25 Kilometer pro Stunde unterstützen. Mit voller Unterstützung schaffen E-Bikes durchschnittlich 50 Kilometer, bevor man den Akku wieder laden muss. Selbst wenn der Motor aus ist, kann man das E-Bike noch wie ein ganz normales Fahrrad nutzen. Mit einem entsprechend schwereren und teureren Akku kommt das Rad auf bis zu 100 Kilometer Reichweite.
Pendler sehen E-Bikes positiv
Das ist allerdings eine Kostenfrage. „E-Bikes gibt es schon ab 1000 Euro, aber wenn man bei Bremsen, Schaltung, Akku und Elektronik keine Kompromisse machen will, sollte man um die 2500 Euro ausgeben“, sagt von Rauch. Wer mit dem Fahrrad regelmäßig zur Arbeit fährt, muss es noch nicht einmal komplett selbst bezahlen: Seit 2012 werden Diensträder, auch E-Bikes, steuerlich weitgehend wie Dienstautos behandelt. Solche Anreize, aber auch die Aussicht auf körperliche Betätigung könnten dafür sorgen, dass künftig noch mehr Pendler in die Pedale treten: Eine repräsentative Umfrage von Forsa im Auftrag von Bosch eBike Systems ergab 2013, dass sich 23 Prozent der Erwerbstätigen vorstellen können, künftig mit elektrischem Rückenwind zur Arbeit zu fahren.
Einige Städte bereiten sich auf eine solche Entwicklung vor. In Göttingen können E-Biker die vier Kilometer zwischen Göttinger Bahnhof und Nordcampus der Georg-August-Universität auf dem eRadschnellweg zurücklegen. Quer durch das Ruhrgebiet soll der RS1 führen, der von Duisburg bis Hamm zehn Städte miteinander verbinden und bis 2020 mehr als 100 Kilometer lang werden soll. Zwischen Essen und Mühlheim ist der erste Abschnitt bereits befahrbar: vier Meter breit, frisch geteert, kein Schlagloch, keine Fußgänger, keine Autos. „Um die Pendler auf das Fahrrad zu kriegen, ist das unabdingbar: Wenn ich ständig puzzeln muss zwischen Straße, Radweg, Park, Fußgängern, dann funktioniert das für die Masse nicht“, sagt von Rauch.
Die Radschnellwege könnten zur Verkehrsentspannung in Ballungsräumen beitragen: In der Machbarkeitsstudie für den RS1 wurde errechnet, dass jeden Tag 52.000 Autofahrten mit über 400.000 Kilometern eingespart werden können. Die teuren Projekte werden künftig auch stärker vom Bund mitfinanziert, denn seit August stehen die Radschnellwege im Bundesverkehrswegeplan. Städte, die bereits Pläne in der Schublade haben, könnten die Projekte nun schneller auf den Weg bringen.
E-Bikes könnten Pakete transportieren
Doch es geht nicht nur um den Personenverkehr. Auch für die Logistik und den Warentransport sind E-Bikes interessant – vor allem im Bereich der letzten Meile. Dreirädrige Lasten-E-Bikes transportieren ungefähr das Volumen einer Euro-Palette, bis zu 250 Kilo, und kommen rund 10 Kilometer voran. „Theoretisch ist da ein riesiges Potential, von den Kommunen muss aber noch mehr gemacht werden, zum Beispiel könnte man durch erweiterte Lieferzeiten in Fußgängerzonen die Beförderung durch E-Cargo-Bikes vorantreiben“, so von Rauch. Ganze 38 Prozent des innerstädtischen gewerblichen Warentransports könnten insgesamt auf Fahrräder verlagert werden, hat eine Studie im Rahmen des EU-Projektes Cycle Logistics ergeben.
Professor Claus Berg vom Institut für Logistik und Verkehrsmanagement hält das für realistisch: „E-Bikes sind ein zukunftsträchtiges und realistisches Modell für die letzte Meile“, sagt er. Für das Problem, dass zahlreiche Umschlagplätze nötig wären, an denen die Fahrer Pakete abholen und abliefern könnten, müsse man auch kreative Lösungen in Erwägung ziehen. In vielen Städten gibt es beispielsweise Straßenbahnnetze: „Die sind auch elektrisch betrieben und könnten neben Personen- auch Paketwagen einführen. Mit Big Data wäre es kein Problem, die E-Bike-Fahrer zu bestimmten Haltestellen zu ordern, wo sie ihr Paketbündel übernehmen“, sagt Berg. Dass der Transport teurer würde, weil selbst ein Lasten-E-Bike nicht annähernd so viel wie ein Sprinter befördern kann, sieht Berg nicht: „Wo der Wagen einmal fährt und in Ballungsräumen seine Zeit im Stau und auf der Parkplatzsuche verbringt, kann ein E-Biker schon drei Mal fahren“, sagt er.