E-Mobilität in Deutschland Die Ladenhüter

Die Autoindustrie investiert Milliarden, die Bundesregierung legt immer neue Förderprogramme auf – trotzdem kommt die E-Mobilität in Deutschland nicht in Gang.

Car2go, ein Carsharinganbieter von Daimler und dem Mietwagenunternehmen Europcar, lässt in Berlin auch ein paar Elektroautos herumfahren. Der Großteil der Flotte sind aber weiterhin Benziner. (Foto: ddp images)

Die Autoindustrie investiert Milliarden, die Bundesregierung legt immer neue Förderprogramme auf – trotzdem kommt die E-Mobilität in Deutschland nicht in Gang.

Der Sieger ist 1000 PS stark, in der Spitze 340 Stundenkilometer schnell und für den deutschen Wirtschaftsminister der Beweis dafür, dass die antriebsschwache heimische E-Auto-Industrie „erhebliche Fortschritte“ gemacht hat. „Porsche hat mit einem Hybrid-Fahrzeug gewonnen“, jubelte Sigmar Gabriel zu Beginn seiner Rede auf der Nationalen Konferenz Elektromobilität Mitte Juni in Berlin – einen Tag nachdem beim legendären 24-Stunden-Rennen in Le Mans der 919er aus Zuffenhausen als Erster ins Ziel gekommen war.

Zwar hatten sich in Le Mans in der Top-Klasse alle Teilnehmer verpflichtet, mit einem Hybridkonzept an den Start zu gehen – dennoch ist die elektrische Power des Sportwagens beeindruckend. Sein Verbrennungsmotor wird unterstützt von zwei Generatoren, die beim Beschleunigen wie beim Bremsen Energie gewinnen, diese Leistung in einer flüssigkeitsgekühlten Lithium-Ionen-Batterie puffern und bei Bedarf abgeben. Binnen 24 Stunden erzeugt das Auto 1000 Kilowattstunden Strom, so viel, wie ein Drei-Personen-Haushalt im Schnitt in drei Monaten verbraucht. „Porsche zeigt, was in Zukunft alles möglich ist“, sagte Gabriel in der Hauptstadt unter einigem Applaus der Industrievertreter.

Weit entfernt vom ehrgeizigen Ziel

Danach musste er allerdings erklären, was in der Vergangenheit alles schief gegangen ist und warum die Benzinrepublik Deutschland die E-Autos noch immer verschmäht. Porsche-Chef Matthias Müller durfte sich im Saal bestätigt fühlen. Trotz des Erfolgs auf der Rennpiste sieht Müller die E-Autos äußerst skeptisch: „Die will doch keiner!“, sagt er wieder und wieder.

Dies zu ändern, ist das ehrgeizige Ziel der Bundesregierung. Bis 2020 will sie eine Million Stromer auf die Straße bringen. „Deutschland ist internationaler Leitmarkt“, so steht es im Fortschrittsbericht 2014 der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE), des Beratergremiums der Regierung. Doch Anfang 2015 sind bei uns gerade einmal 20.000 Fahrzeuge mit reinem Elektromotor sowie 108.000 Hybride zugelassen, die mit einem Elektro- und einem konventionellen Verbrennungsmotor gefahren werden können. „Ein Witz gemessen an einem Pkw-Bestand in Deutschland von 40 Millionen“, kommentierte die „Welt“.

Und ein Witz im Vergleich zu anderen Ländern in Europa. In Deutschland liegt nach Daten des Herstellerverbandes Acea der Anteil der Batterie- sowie Plug-In-Hybridautos an den Gesamtzulassungen im ersten Quartal 2015 bei nur 0,6 Prozent. Dabei befindet man sich nach dem NPE-Fahrplan jetzt in der Phase des „Markthochlaufs“. Beim Spitzenreiter Norwegen beträgt der Anteil 22,2 Prozent. Es folgen die Niederlande (3 Prozent), Schweden (1,6 Prozent) und die Schweiz (1,5 Prozent).

Obwohl die Absatzzahlen eine einzige Enttäuschung sind, bekräftige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) auf der Berliner Tagung die alte Prognose von einer Millionen E-Autos auf deutschen Straßen, woraufhin Sigmar Gabriel stichelte: Man müsse aufpassen, dass man nicht durch das ständige „Perpetuieren von nicht erreichbaren Zielen am Ende sich und das Projekt lächerlich macht“.

Vor allem die Ladeinfrastruktur ist mangelhaft

Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, warum Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander klaffen. Der Anschaffungspreis ist relativ hoch: Zum Beispiel kostet der vollelektrische VW-E-Golf 35.000 Euro, das Basismodell in ähnlicher Ausstattung ist ab 25.000 Euro zu haben. Die Reichweite ist gering: Nach 150 Kilometern muss ein E-Auto im Schnitt neu geladen werden, ein Vorgang, der drei Stunden dauern kann. Wenn man es überhaupt bis zur nächsten Tanke schafft.

Denn die Ladeinfrastruktur ist besonders auf dem Land mangelhaft: Laut Chargemap sind in Deutschland erst 3667 öffentliche und halböffentliche Ladestationen in Betrieb (Stand: 18. Juni 2015). Der Haken dabei: Wer als E-Autofahrer die falsche Stromtanke erwischt, bleibt liegen. Denn die von Energieunternehmen betriebenen Stationen unterstützen nur bestimmte Steckertypen. Klar, dass auch IT- und Abrechnungssysteme nicht einheitlich sind.

Das technische Chaos will Gabriel mit dem Projekt „Slam“ (Schnellladenetz für Achsen und Metropolen) beenden. Bis 2017 sollen 400 neue öffentliche Stationen stehen. „Slam“ gibt seinen Strom allerdings nur an E-Mobile mit dem Stecker CCS (Combined Charging System) ab, der von deutschen Fabrikaten verwendet wird. Japanische Autos nutzen das CHAdeMO-System (Charge de Move), das mit „Slam“ nicht kompatibel ist.

Deshalb regte sich der Deutschland-Chef von Nissan, Thomas Hausch, in der „Süddeutschen Zeitung“ vor kurzem richtig auf: „Ich fühle mich als Steuerzahler verarscht. Es ist ein Skandal, dass ein mit den Steuern der Bundesbürger bezahltes Projekt die Besitzer der überwiegenden Mehrzahl der derzeit in Deutschland zugelassenen Elektrofahrzeuge ausschließt.“

Nicht zuletzt hat sich Deutschland aus einer der Schlüsselindustrien der E-Mobilität verabschiedet. Bis zum Jahresende werden alle Autohersteller die Produktion von Batteriezellen einstellen, angeblich ist sie unrentabel. Lieber kauft man Zellen in Asien und den USA ein. In Berlin gab der NPE-Vorsitzende und frühere SAP-Chef Henning Kagermann das Ziel aus, „die nächste Batteriegeneration und natürlich die Batterietechnik als Ganzes in Deutschland zu entwickeln und auch zu produzieren“. Dies erfordere eine Investition von mindestens einer Milliarde Euro, heißt es im NPE-Bericht.

Die Industrie fordert staatliche Kaufanreize

Zahlt sich der hohe Einsatz eines Tages aus? Wie der Verband der Automobilindustrie (VDA) mitteilt, haben die deutschen Hersteller in den vergangenen vier Jahren bereits 14 Milliarden Euro in die E-Autos investiert. Sie fürchten, das Geld ist verloren, wenn der Staat nicht Starthilfe leistet. „Nur wo es staatliche Kaufanreize gibt, kommt das Geschäft mit Elektroautos in Schwung“, sagt VDA-Präsident Matthias Wissmann. „Wir wollen kein großes Subventionsprogramm, aber die Einführung einer Sonderabschreibung bei der Steuer für Elektroautos von gewerblichen Kunden ist ein Muss, um den Markt anzukurbeln.“

Die deutsche Industrie habe ihren Auftrag aus dem „Fortschrittsbericht 2014“ erfüllt und sei zum „internationalen Leitanbieter“ geworden. Ende 2015 werden 29 deutsche Elektromodelle im Angebot sein. Jetzt müsse die Regierung liefern. Doch Angela Merkel liefert nicht. In Berlin sagte die Bundeskanzlerin vor enttäuschten Automanagern: „Wir werden uns alle Mühe geben.“ Gelächter im Saal. „Ja, mehr kann ich heute nicht versprechen.“

Es war erst 2009, zu Beginn der Finanzkrise, als Merkel die Autoindustrie mit Steuergeld stützte. Die Abwrackprämie war Teil eines Konjunkturpaketes und sorgte damals für volle Autohäuser und Absatzrekorde. Heute schreiben die Unternehmen wieder schwarze Zahlen. Allein die Premiumbauer Audi, BMW und Daimler machten 2014 fast 25 Milliarden Euro Gewinn.

Berlin schiebt lieber weitere Forschungs- und Entwicklungsprojekte an. Bis 2018 sollen 161 Millionen Euro in die Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie fließen. Insgesamt hat der Bund bis heute eine Milliarde Euro ausgegeben. Für seine inzwischen 29 Leuchtturmprojekte wie „Slam“ oder „Adaptive City Mobility“ zur Förderung emissionsfreier Leichtbau-E-Taxis. Und für seine „Schaufensterprojekte“, in denen vier Regionen intelligente Verkehrsmanagement- und Energieversorgungssysteme erproben.

So gut wie nichts bleibt unversucht. Im März verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, das den E-Autofahrern die Nutzung innerstädtischer Busspuren sowie freies Parken erlaubt. Entscheiden müssen darüber die Kommunen. München, Berlin und Hamburg lehnen die Sonderregeln ab. Als nächstes plant Gabriel ein öffentliches Beschaffungsprogramm, um „Fahrzeuge der ambulanten Dienste oder Sozialstationen“ zu elektrifizieren. „Wenn wir 10, 20 Prozent hinkriegen“, so der Vize-Kanzler, „würden wir der Industrie einen riesigen Gefallen tun.“

Vielleicht halten sich die Käufer auch deshalb zurück, weil die E-Mobile mit einem herkömmlichen Auto gar nicht mehr so viel gemein haben. Luft verpesten, Eindruck schinden? Entfällt. Vielmehr sind die Elektroautos „ein Baustein der Energiewende“, wie Gabriel in Berlin ausführt. Als „Schwarmbatterie“ sollen sie überschüssigen Strom als Puffer speichern und ins Energienetz zurückgeben, sobald er dringend benötigt wird. So helfen die Autos der Zukunft dabei mit, die gefährlichen Schwankungen im Netz auszugleichen, die deshalb entstehen, weil immer mehr erneuerbare Energie eingespeist wird.

Eine schöne Vorstellung. Und so wird es kommen. Bestimmt. Irgendwann. Bis zum „Volumenmarkt“ (Gabriel) sind es aber noch ein paar Meilen.

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