Interview mit Velove aus Schweden Das Lastenrad fordert den Lieferwagen heraus

Lastenfahrräder könnten in Zukunft entscheidend zu einer kohlenstofffreien Stadtlogistik beitragen. Johan Erlandsson, CEO des schwedischen Cargobike Start-ups Velove, im Interview mit einer europäischen Perspektive.

Johan Erlandsson ist CEO des schwedischen Lastenrad-Herstellers Velove. (Foto: Jöran Fagerlund)

Johan, wie seid ihr auf die Idee gekommen, Lastenfahrräder zu entwickeln?

Das ist eine lange Geschichte, aber um es kurz zu sagen: Ursprünglich wollten wir einen neuen Fahrradtyp entwickeln, mit dem man sich die vielen kurzen Autofahrten sparen kann. Die tragen nämlich wesentlich dazu bei, dass wir in Europa die zehnfache Menge an CO2 ausstoßen als nachhaltig wäre. Unser Konzept bestand darin, die Vorteile des Lastenrads mit denen eines Velomobils zu kombinieren und dadurch eine komfortable und wendige Lösung mit ausreichendem Laderaum zu entwickeln. Sie sollte für Kurzstrecken in der Stadt eine echte Alternative zum Auto sein – und das zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter, egal ob für den Waren- oder den Personentransport. Irgendwann erkannten wir, dass wir ein fantastisches Transportmittel für die Lieferung auf der letzten Meile entwickelt hatten, nach dem die Logistikbranche so dringend sucht. Als Unternehmen haben wir uns deshalb vorerst auf die Bereiche Logistik und professionelle Dienstleistungen spezialisiert. Doch wir werden mit Sicherheit auch noch auf eine Version für reine Mobilitätszwecke zurückkommen.

Lieferwagen bekommen nach und nach Konkurrenz durch Fahrräder

Wie ist der aktuelle Stand der City Logistik in Schweden?

Es laufen bereits einige Projekte für eine umweltfreundlichere Logistik in schwedischen Städten. Manche davon sind erfolgreich, andere nicht. Zwei bekannte Beispiele sind Älskade stad in Stockholm und Stadsleveransen in Göteborg. Für kleine Lieferungen in Innenstädten werden noch immer hauptsächlich Lieferwagen eingesetzt. Im kleinen Rahmen bekommen sie jedoch zunehmend Konkurrenz durch Fahrradlogistikunternehmen wie MOVEBYBiKE (in Malmö und Stockholm), Postiljohan (in Karlstad) und Pling (in Göteborg). Und natürlich gibt es, wie überall auf der Welt, viele „App-Unternehmen“, die auf den Gig-Economy-Trend bei der Belieferung auf der letzten Meile aufspringen. Foodora und Budbee sind dafür zwei Beispiele.

Was sind aus Entwicklersicht Merkmale, durch die sich Lastenräder für den Einsatz in der Logistik von Cargobikes für den privaten Gebrauch unterscheiden?

Zunächst einmal würde ich sagen, dass Verfügbarkeit, Instandhaltung und Reparatur besonders wichtig sind. Ein professionelles Lastenrad ist einem wesentlich höheren Verschleiß ausgesetzt als eines, das ausschließlich privat genutzt wird. Zugleich muss es eine sehr gute Verfügbarkeit bieten, um eine hohe Servicequalität sicherzustellen. Das ist aus meiner Sicht eine der größten Herausforderungen für die Hersteller von Lastenrädern. In diesem Bereich gibt es Luft nach oben und hier hat der Lieferwagen bislang immer noch die Nase vorn. Aber auch diese Herausforderung werden wir bewältigen!

Weitere Aspekte sind die Ladekapazität, ein einfaches Ver- und Entriegeln, Fahreigenschaften, die Radwegtauglichkeit sowie Sicherheit und Ergonomie. Ein Fahrzeug für den professionellen Einsatz muss in diesen Punkten gut abschneiden, um produktiv zu sein und bei Zustellern zu punkten.

Faktor städtischer Verkehr: Niedrigeres Stresslevel für Fahrer

Pakete mit einem Lieferwagen zuzustellen, ist bereits ein körperlich anspruchsvoller Job. Wie gewährleistet die Bauweise eines Lastenrads – z.B. beim „Armadillo“ –, dass die körperliche Belastung für den Zusteller möglichst gering ist?

Das Fahren mit einem Armadillo-Lastenrad sollte nicht anstrengender sein als zu Fuß zu gehen. Bei voll beladenen Fahrten bergauf und bergab haben wir das noch nicht ganz erreicht. Aber in flachen Städten wie Berlin sorgen die Elektrounterstützung und das große Übersetzungsverhältnis der Gangschaltung selbst bei schwerer Ladung für ein angenehmes Maß an Belastung. Die beste Antwort auf diese Frage ist eigentlich das Feedback, das wir bekommen: Zusteller, die von einem Lieferwagen auf ein Armadillo umsteigen, sind sehr zufrieden. Wir vermuten, dass das mit dem niedrigeren Stresslevel zu tun hat, denn zum einen ist das Fahren eines Lieferwagens im Straßenverkehr anstrengender als das Fahrradfahren auf dem Radweg und zum anderen ist das Fahrrad bei starkem Verkehrsaufkommen einfach produktiver. Sicherlich spielt auch eine Rolle, dass wir sehr viel Wert auf Fahreigenschaften und Ergonomie legen – zum Beispiel auf einen bequemen Sitz, leichtes Ein- und Aussteigen, eine weiche Federung sowie eine bequeme Höhe und gute Zugänglichkeit des Laderaums. Schließlich gibt es noch einen weiteren Aspekt, der sich sicherlich positiv auf die Gesundheit auswirkt – auch wenn wir das nicht beweisen können: Wenn man mit einem Lastenrad fährt, ist man nicht so stark schwankenden Temperaturen ausgesetzt, als wenn man den ganzen Tag in einem beheizten Lieferwagen sitzt.

Mindestens die Produktivität eines Lieferwagens

Wenden wir uns wichtigen Aspekten in der Paketbranche zu: Ladekapazität, Handling und Geschwindigkeit. Ein E-Lastenrad kann kein Lieferwagen sein. Ist es wirklich möglich, mit dem Einsatz von Cargobikes eine vergleichbar hohe Produktivität zu erzielen?

Alle Daten, die uns bislang dazu vorliegen, zeigen, dass sich mit Lastenfahrrädern mindestens dieselbe Produktivität erzielen lässt – in den Niederlanden konnte die Produktivität sogar verdoppelt werden. Ein Lastenrad bietet häufig Vorteile: Es kann immer direkt am Zielort abgestellt werden, es bleibt nicht im Stau stecken und es kann mehr Abkürzungen nehmen – z.B. durch Parks, in denen das Radfahren erlaubt ist. Um wirklich produktiv zu sein, muss man allerdings in der Lage sein, das Rad effizient um- und mit Paketen beladen zu können – und hier kommt unser Container-System ins Spiel. Wir stehen erst ganz am Anfang der Lieferung auf der letzten Meile mithilfe von Containern und sind sehr gespannt, wie sich unsere neuen Ideen in diesem Bereich auf die Produktivität auswirken werden.

Sie haben Lastenräder in verschiedenen Ländern auf die Straße gebracht, unter anderem in Schweden, Dänemark und Deutschland. Können Sie uns ein Land nennen, in dem der Einsatz von Lastenrädern als Transportmittel durch die Infrastruktur, Mentalität oder gesetzliche Rahmenbedingungen gezielt gefördert wird?

In den Niederlanden gibt es in vielen Städten eine fantastische Infrastruktur für Fahrradfahrer. Jeder Stadtplaner, der etwas auf sich hält, sollte nach Holland fahren und die dortigen Lösungen einfach kopieren! Eine solche Infrastruktur bietet zahlreiche Vorteile für nachhaltige Lösungen auf der letzten Meile. Zugleich ist der Einsatz von Autos oder Lieferwagen keinesfalls verboten: Die meisten Holländer besitzen nach wie vor ein eigenes Auto. In den Innenstädten fahren die meisten Menschen jedoch eher mit dem Rad als mit dem Auto. Und das kommt allen Menschen, die in der Stadt leben, sehr zugute. Aus meiner Sicht ist das keine Frage der Mentalität. Wenn die Infrastruktur vorhanden ist, werden die Menschen sie auch nutzen!

Nächster Artikel