Lkw-Fahrer in Deutschland: Könige der Straße
In rund 15 Jahren verabschiedet sich etwa die Hälfte der heute aktiven Lkw-Fahrer in den Ruhestand. Das stellt Deutschland vor ganz neue Probleme. Der Gütertransport steigt durch den boomenden E-Commerce stetig an. Doch Nachwuchs für den Job auf der Piste zu finden ist schwer. Jetzt sind innovative Konzepte gefragt.
Wenn Katrin Goder vom Bock herunterklettert, staunen die Lkw-Fahrer auf dem Rastplatz nicht schlecht, denn Goder ist gerade einmal 1,65 Meter groß. Doch davon lässt sie sich nicht aufhalten. Zurzeit absolviert die 43-Jährige ihre Ausbildung zur Lkw-Fahrerin. Und dazu gehört mehr, als nur der Führerschein. Die Fahrerlaubnis hat sie schon vor 25 Jahren in der ehemaligen DDR gemacht. Doch aus dem Traum, die Freiheit auf dem Asphalt vom Führerhaus eines riesigen Lasters aus zu genießen, wurde erst einmal nichts. Ihre Ehe, ein Kind, die Wende und ein familienfreundlicherer Job als Facharbeiterin in der Tierproduktion kamen dazwischen. Heute ist ihr Sohn erwachsen. „Jetzt oder nie“, dachte sie sich und meldete sich kurzentschlossen bei FahrerKonzept an. Das Unternehmen qualifiziert bundesweit Fahrer in einem 140-stündigen Kompaktkurs. Katrin Goder lernte in Göttingen mit 20 künftigen Kollegen den gewerblichen Umgang samt Training am Fahrzeug. Endlich gehört ihr die Straße.
Katrin Goder ist eine der wenigen Frauen in diesem Beruf. Ihr Anteil liegt gerade einmal bei 1,7 Prozent. Für die zierliche Frau ist das kein Problem, sie fühlt sich wohl in der Männerwelt. Hin und wieder ist sie auf die Muskelkraft ihrer Kollegen angewiesen, zum Beispiel beim Abbrücken. „Alle helfen, wenn man sie fragt“, sagt Goder, „man darf nicht auf die Gosche gefallen sein.“
Demographischer Wandel wird zum Problem
Der Branche fehlen aber nicht nur Frauen, auch die Zahl der männlichen Fahrer nimmt stetig ab. Deutschlands Straßen gehen die Brummifahrer aus. Das negative Berufsbild des Überholspurblockierers auf der Autobahn, die familien- und freizeitfeindlichen Arbeitsbedingungen, die hohe Verantwortung, die körperliche Anstrengung und die oftmals schlechte Bezahlung sorgen dafür, dass der Nachwuchs nicht gerade Schlange steht.
Hinzu kommt der demografische Wandel. Ende 2013 waren nach Angaben des Bundesamts für Güterverkehr noch 534.420 Brummifahrer in Lohn und Brot. Von denen ist ein Großteil – rund 40 Prozent – über 50 Jahre alt und wird in den kommenden 15 Jahren in Rente gehen. Jährlich werden hierzulande aber nur 3.000 Berufskraftfahrer neu ausgebildet. Die traditionelle Ausbildung dauert drei Jahre, die Abbrecherquote bei den Berufsanfängern ist extrem hoch. Der Bedarf an Lkw-Fahrern steigt aufgrund des zunehmenden Güterverkehrs stetig. In seiner Verkehrsprognose 2030 prognostiziert das Bundesverkehrsministerium für Lastkraftwagen in Deutschland einen Zuwachs der Verkehrsleistung um 39 Prozent.
Ein Dilemma, das die Logistikbranche zum Umdenken zwingt. So gibt es Pläne für mehr Rastplätze und komfortablere Fahrerkabinen. Dass damit das Problem behoben werden kann, glaubt Ulrich Burgath nicht. „Wir brauchen eher andere Organisationsmodelle“, erklärt der Gründer von FahrerKonzept mit Hauptsitz in Stuhr bei Bremen. „Die Fahrer wollen gar nicht auf dem Parkplatz im Lkw übernachten. Sie wollen nach Hause. Und der Lkw muss auch nicht über Nacht stehen bleiben.“ Eine Alternative wäre aus seiner Sicht ein ausgeklügeltes Schichtmodell: Fahrer bewegen Lkws eine halbe Schicht nach vorne und eine halbe wieder zurück. So wäre die Tagschicht abends bei der Familie, bei den Freunden, in ihrem sozialen Umfeld. Die Nachtschicht käme frisch von zu Hause und würde den Warenfluss in Schwung halten.
Akquise von Nachwuchs stockt
Mit seiner verkürzten Kompakt-Ausbildung für Quereinsteiger versucht Ulrich Burgath auf seine Weise gegen den Brummifahrermangel anzukämpfen. Seine Schüler absolvieren einen IHK-Abschluss und haben bereits einen Arbeitsvertrag in der Tasche, denn Burgath rekrutiert und schult die Fahrer im Auftrag der großen Logistikunternehmen wie Hermes. Doch die Suche nach geeigneten Kandidaten wird immer schwieriger. „Wir müssen sehr viel mehr Menschen kontaktieren, um den Nachwuchs zu akquirieren“, stellt er fest.
Ein eigenes Team um Daniela Pogadl kümmert sich bei Fahrermanagement in Göttingen um die Rekrutierung, sie durchforsten alle regionalen Jobbörsen und lassen keine Gelegenheit aus, fähige Fahrer anzuwerben. Wenn es sein muss, auch an Raststätten. „Am besten funktioniert die emotionale Schiene“, ist Pogadl überzeugt. „Wir haben ein Ohr für die Sorgen und Nöte unsere Kollegen und sind rund um die Uhr in Rufbereitschaft. Wir lassen sie nicht mit ihren Telematik-Geräten mutterseelenallein.“ Das spricht sich rum, deshalb funktioniert auch das Konzept „Fahrer werben Fahrer“.
Bei der Nachwuchssuche versuchte Burgath sein Glück auch schon in Spanien. Vor allem junge Leute leiden dort unter der hohen Arbeitslosigkeit. Doch der Erfolg blieb aus. Von 20 potenziellen Kandidaten wagten nur sieben am Schluss wirklich den Schritt nach Deutschland. „Vier davon hatte nach kurzer Zeit das Heimweh gepackt“, sagt der Ausbilder. Jetzt schaut er sich in den direkten Nachbarländern Polen, Slowakei und Ungarn um. Über mögliche Arbeitsmodelle hat er auch schon nachgedacht: drei Wochen auf Achse und eine Woche frei. Und die Heimreise wäre nicht so weit.
„Ich wollte etwas von der Welt sehen“
Mit Quereinsteigern wie Katrin Goder oder Fabian Eich aus Kaufungen bei Kassel hat Burgath viel Freude. Die sind hoch motiviert und mit Freude dabei. Den 26-jährigen Forstwirt Eich zog es nach zehn Jahren Wald auf den Asphalt. „Ich wollte endlich etwas von der Welt sehen“, begründet er seinen Berufswechsel. Er wird nach seiner Ausbildung im etwas besser bezahlten Fernverkehr fahren. Ihn stört es vorerst nicht, dass er die ganze Woche unterwegs ist. „Meine Freundin studiert noch und ist sowieso nur am Wochenende da“, sagt er.
Eine ganz andere Lösung gegen den Fahrermangel präsentierte Mercedes-Benz kürzlich zur IAA in Hannover mit dem „Future Truck 2015“, einer Studie eines Brummis, der autonom über die Straßen geistert. In zehn Jahren könnte das Realität sein. Katrin Goder will an ein mögliches Ende der Brummifahrer-Tradition noch nicht denken. „Gute Fahrt – und lass die Räder auf der Straße!“, sagt sie und steigt behände zurück in ihren Truck.