Frauen in der Logistik „Man muss ein bisschen Schmiere abkönnen“

Bei den deutschen Logistikern ist nur einer von zehn Chefs eine Frau. Schreckt sie das hemdsärmelige Image ab? Kommen sie nicht gegen die Männer an?

Betriebsleiterin Yvonne Edler bespricht sich mit ihrem Teamchef Admir Sasic und Abteilungsleiter Marco Henke. (Foto: Oliver Windus)

Bei den deutschen Logistikern ist nur einer von zehn Chefs eine Frau. Schreckt sie das hemdsärmelige Image ab? Kommen sie nicht gegen die Männer an? Auf Druck der Frauenquote begibt sich die Branche auf Spurensuche – und richtet sich langsam auf die neue Zielgruppe ein.

Yvonne Edler wusste schon mit drei Jahren, dass sie in die Logistik möchte. „Meine Eltern hatten eine Spedition, da habe ich als kleines Mädchen Tachoscheiben sortiert. Für mich war immer klar: Ich bin ein Kind der Halle“. Heute hat sie ein Büro in einer besonders großen Halle, als Betriebsleiterin des Hermes Einrichtungs Service in Löhne – und schaut auf 300 Männer. „Ich bin die einzige Frau in meinem Bereich. Je höher man als Frau kommt, desto einsamer wird es“, sagt sie. Auch Frauke Heistermann, Mitglied der Geschäftsleitung beim Logistiksoftware-Unternehmen AXIT, sagt: „Viele Kolleginnen habe ich auf dem Weg nach oben nicht gesehen.“

Die beiden Frauen gehören zu den wenigen Logistikerinnen, die es hierzulande in ihrer Branche in eine Führungsposition bei einem Konzern geschafft haben. Eine Befragung der Bundesvereinigung Logistik kommt zu dem Schluss, dass bei den meisten Unternehmen der Branche der Frauenanteil in Führungspositionen bei weniger als zehn Prozent liegt. Bei Hermes beträgt er immerhin 19 Prozent.

Doch auch unterhalb der Chefetagen sind Frauen noch in der Minderheit: Bei wenigen Logistikern in Deutschland kommt der Anteil von Frauen an allen Beschäftigten über die 40-Prozent-Marke hinaus. Wie kommt es, dass im Logistik-Weltmeisterland in einer wachsenden und zukunftssicheren Branche so wenige Frauen vertreten sind?

Logistik ist ein interessantes Arbeitsfeld für Frauen

In den Vorlesungen von Jutta Geldermann, der Professorin für Logistik und Produktion an der Universität Göttingen, sitzen jedenfalls viele Frauen – „fast 50 Prozent“. Studentinnen fänden das Fach grundsätzlich spannend, sagt Geldermann. Viele landen am Ende aber trotzdem nicht in der Logistik. Die Angst, dass es ein hemdsärmeliger Männerberuf ist, ist trotz aller Aufklärung zu groß. „Viele Frauen wollen dann lieber Personalmanagement machen“, sagt Geldermann. Die Professorin ist überzeugt, dass Logistik ein interessantes Arbeitsfeld für Frauen ist und schickt den Studenten auch mal spannende Stellenanzeigen. Viele gibt es davon allerdings nicht. Hier sieht auch Marion Steiger, Area Manager Sales in der Region Mainz bei Hermes, noch Potential: „Die Botschaft, dass der Job auch was für Frauen ist, kommt darin oft noch zu wenig rüber.“ Als sie sich vor gut zwei Jahren bei Hermes beworben hat, stand in der Ausschreibung, dass sich Hermes bemüht, den Anteil an Frauen zu erhöhen. „Das hat mich ermutigt.“

Die Stellenanzeigen des Hafenlogistikers HHLA scheinen den weiblichen Nachwuchs ebenfalls zu beflügeln: 75 Prozent der dualen Studienplätze wurden 2015 an Frauen vergeben, bei den Azubis sind 40 Prozent Frauen. Laut Katharina Janz, Leiterin der Personalentwicklung bei der HHLA, muss man dafür jedoch auch etwas tun. Regelmäßig geht sie zusammen mit jungen Frauen, die bei der HHLA ihre Ausbildung absolvieren, auf Messen oder in Schulen: „Ich stoße immer noch vielfach auf Erstaunen, wenn ich sage, dass Berufsfelder in der Logistik auch für Frauen interessant sind.“ Die Strategie hat Erfolg: Die Bewerberzahl steigt und Janz ist überzeugt: „Wenn einmal die kritische Masse erreicht ist, wird sich auch die Zuschreibung als Männerberuf erledigen.“ Auch bei Hermes kämpfen sie gegen diesen Ruf an. „Wir nehmen jährlich an der „women&work“, Europas größtem Messe-Kongress für Frauen teil, um hier gezielt, weibliche Nachwuchs- und Führungskräfte anzusprechen“, sagt Inga von Nolcken, HR Managerin Marketing. Das wirkt. Die Hälfte aller Auszubildenden bei Hermes sind Frauen.

Nicht jedes Unternehmen leistet jedoch so viel Überzeugungsarbeit. Und dadurch halten sich Klischees: „Das Image unserer Branche ist auf ein sehr einseitiges Bild reduziert“, sagt Frauke Heistermann von AXIT. „Hemdsärmelig, LKW, Stau, rauer Umgangston, nicht so schick.“

Die Akzeptanz für die Arbeit fehlt den Frauen oft

Mit dem schlechten Image lässt sich zwar erklären, warum so wenige Frauen in die Logistik gehen. Nicht jedoch, warum es von ihnen nur ein Bruchteil in eine Führungsposition schafft. Diese Frage hat auch Carina Wieczorek nicht losgelassen. Deshalb schrieb sie über dieses Thema ihre Bachelorarbeit im Logistik-Studium. Ihre Befragungen ergaben einige Erklärungsansätze: Viele Frauen hatten wegen der bestehenden Rollenklischees das Gefühl, ständig um die Akzeptanz ihrer Arbeit kämpfen zu müssen – und das bei oft niedrigerem Einkommen. „Wer das Gefühl hat, immer doppelt so hart arbeiten zu müssen, um die gleiche Anerkennung zu bekommen, gibt leichter auf“, sagt Wieczorek.

Wer sich dennoch nach oben kämpft, gibt laut Wieczorek etwas anderes auf: „Ich hatte auch Fälle, in denen Frauen so sehr für ihre Karriere arbeiteten, dass sie das Thema Familie zu lange hintanstellten und darüber nicht glücklich waren.“ Während 80 Prozent der männlichen Führungskräfte Kinder hatten, waren das bei den Frauen nur 20 Prozent. Frauen, die Familie wollten, mussten sich gegen die Karriere entscheiden. Und schließlich: „Männer haben größere Netzwerke und an den entscheidenden Stellen sitzen noch Männer.“ Und die bleiben auch gern unter sich.

Laut Marion Steiger sind es jedoch nicht nur die Männer selbst, die es den Frauen schwermachen: „Es ist nur so: Weil es bisher viele Männer gab, ist die Branche stark hierarchisch geprägt – und das liegt Frauen weniger. Sie müssen sich trauen, die Strukturen einfach mal zu hinterfragen, aufzubrechen und neue zu Wege gehen.“ Laut Yvonne Edler hilft Frauen nur eins: Fachlich überzeugen. Als sie mit 23 Jahren Disponentin wurde, war sie bei der Firma die erste Frau in der Position. „Ein bisschen schwang da schon mit: das Püppi, die Blonde, das Mädchen. Ich habe da von Anfang an nie emotional reagiert, sondern mich reingehängt und überzeugt. Dann hört das schnell auf.“

Für Mandy Hesse sind Marion Steiger und Yvonne Edler deshalb Vorbilder. Die 24-Jährige ist die Vorsitzende der Jugend- und Auszubildendenvertretung bei Hermes Germany. Sie setzt sich für die Belange der jungen Mitarbeiter ein und verfolgt sehr genau, wie Frauen in ihrem Unternehmen Karriere machen. „Ich fühle mich bei Hermes extrem wohl und finde es toll, dass wir hier aufgefordert sind, unsere Ausbildung selbst zu gestalten.“

Doch die Branche kann sich nicht nur auf diese wenigen starken Frauen verlassen, die Lust darauf haben, sich den Weg freizukämpfen, wenn sie den Frauenanteil in der Führung so massiv erhöhen will – oder auf Druck des Gesetzes zur Frauenquote muss: von zehn auf 30 Prozent. In vielen Unternehmen führt das nun zu konkreten Maßnahmen. Hermes-Mitarbeiterinnen können an „Boost Your Career“ teilnehmen, dem Programm für weibliche Führungskräfte des Mutterkonzerns Otto, bei der HHLA gibt es Programme, die Beruf und Familie vereinbar machen – und ab 2017 ein neues weibliches Role Model: Mit der früheren Post-Managerin Angela Titzrath wird erstmals eine Frau Vorstandsvorsitzende.

Außerhalb der Konzernzentralen, in der Fläche, wird die Logistik aber wohl ein raues Geschäft bleiben – doch für viele Frauen macht auch das den Reiz aus: Katharina Janz von der HHLA sagt: „Man muss einfach Spaß dran haben, auch mal im Regen zu stehen, ein bisschen Schmiere und auch mal ein paar härtere Sprüche abkönnen. Man braucht da einfach eine Berufung.“

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