„Nachhaltigkeit“ ist ein sehr schwammiger Begriff – was bedeutet er für dich persönlich?
Martin Jugel: Dass man Verantwortung für das eigene Handeln übernimmt, aber auch für die gesamte Gesellschaft. Dieser Grundtenor geht etwas verloren, je mehr Leute diesen Begriff für sich beanspruchen und verwässern. Für mich geht es darum, dass man einen Fußabdruck hinterlässt – und diesen so klein wie möglich halten sollte. Im Optimalfall geht man noch einmal mit dem Rechen drüber, um im Bild zu bleiben.
Durch den E-Commerce-Boom der vergangenen Jahre sind die Sendungsmengen in der Paketlogistik rapide gestiegen. Seit Corona haben die Bestellungen noch einmal teilweise um knapp 40 Prozent zugelegt, das heißt: mehr Pakete, mehr Zustellfahrzeuge, mehr CO2-Ausstoß. Wird die Last der Verantwortung dadurch schwerer?
Martin Jugel: Es ist eine sehr vielschichtige Angelegenheit. Der E-Commerce wächst, das stimmt. Gleichzeitig verändern sich aber auch Kommunen, Gemeinden und Städte, mit denen wir zusammenarbeiten wollen. Da müssen wir immer individuell schauen, was wo machbar ist. Es hilft nicht, eine Schablone zu entwerfen und diese über jeden Ort zu legen. Als zweitgrößter Paktlogistik-Dienstleister gehen wir in den Dialog mit den Städten und stellen Konzepte zu den Themen Elektromobilität oder alternative Zustellung vor. Das sehe ich auch als Teil unserer Verantwortung.
Lass uns doch mal konkret werden: Von welchen Konzepten sprichst du?
Martin Jugel: Wir haben ein großes Projekt namens „Move Blue“. Bis 2025 sollen 1.500 E-Fahrzeuge für Hermes in ganz Deutschland unterwegs sein. In Leipzig haben wir jetzt zehn Elektro-Sprinter und Elektro-Vitos mit dazugehöriger Ladeinfrastruktur. Das ist ein kleiner Teil des Projekts. Dazu gehört auch, dass wir unsere Generalunternehmer dazu befähigen, an diesem Konzept zu partizipieren. Sie können die Ladesäulen ebenfalls nutzen, zudem gibt es Subventionierungsmodelle.
Reicht es denn, 1.500 Dieselfahrzeuge durch E-Transporter zu ersetzen?
Martin Jugel: Nein, wahrscheinlich nicht. Aber trotzdem ist das ein guter Anfang, wenn nicht sogar ein hervorragender Anfang. „Move Blue“ kann nur der erste Schritt sein – wenn es super klappt, wird daraus bestimmt das nächste Projekt gestrickt. Ich würde mir wünschen, dass wir 2025 sagen: Wir haben gute Erfahrungen gemacht, lasst uns das weiter ausbauen.
E-Transporter sind das eine, genauso wichtig ist aber die Infrastruktur, also genügend Ladesäulen. Hermes setzt sich also auch dafür ein?
Martin Jugel: Natürlich. Mit den Kommunen sind wir bereits sehr stark im Austausch, wie und wo man die Infrastruktur verbessern kann. Alles steht und fällt aktuell ja noch mit der Reichweite. Unsere Elektrofahrzeuge, die bei uns vor dem Logistikzentrum stehen, kommen etwa 100 bis 150 Kilometer weit. Es gibt aber Touren in ländliche Gebiete, die länger sind, das heißt, wir müssen mit viel Augenmaß und Verstand arbeiten. Hinzu kommt, dass wir bislang noch keine hundertprozentigen Erfahrungswerte aus dem Winter haben, die werden wir jetzt sammeln.
An der Zustellbasis in Leipzig testet ihr aktuell verschiedene E-Lastenräder. Wie lautet dein erstes Fazit?
Martin Jugel: Wir testen momentan verschiedene Modelle von unterschiedlichen Herstellern. Das Problem bei vielen Lastenrädern ist leider die Aufhängung. Gerade auf Kopfsteinpflaster verziehen sich die Leichtbaurahmen bei Dauerbelastung sehr leicht. Aktuell erproben wir auch Räder, die mit einem Anhänger fahren. Man darf aber auch nicht den Fahrer vergessen, der muss letztlich für das E-Lastenrad begeistert werden.
Sind E-Lastenräder nicht insgeheim zu träge?
Martin Jugel: Nein, auf keinen Fall. Das wichtigste Argument für E-Lastenräder lautet immer noch: Wir können damit auf dem Fahrradweg fahren und sind nicht auf die Straße angewiesen. Das sorgt für eine große Entlastung im Straßenverkehr.
Gibt es weitere Ideen?
Martin Jugel: Das Thema Verbundzustellung wird immer wichtiger. Stell dir etwa einen Briefdienstleister vor. Ganz plakativ gesprochen: Der stellt einen Brief zu und wir stehen dahinter und wollen zum gleichen Kunden. Den könnten wir fragen, ob wir nicht zusammenarbeiten wollen, weil er eh in die gleiche Straße fährt. Gerade Brief- und Zeitungsbranche sinken seit Ausbruch von Corona rapide. Hier könnte man Synergieeffekte schaffen und den Straßenverkehr verändern – wir können ihn nicht reduzieren, aber sinnvoller gestalten.
Vielen Dank für das Gespräch!