ParcelLock „Unser Markterfolg ist nicht von DHL abhängig“

Die rasant steigenden Paketmengen erfordern nachhaltige und effiziente Konzepte für die „letzte Meile“. ParcelLock Geschäftsführer Gunnar Anger spricht über alternative Zustellmethoden, die bisherige Geschäftsentwicklung von ParcelLock sowie anstehende Projekte.

Eine Box für alle: Das ParcelLock-System für Paketkästen wurde gemeinschaftlich von DPD, GLS und Hermes entwickelt. (Foto: ParcelLock)

Die stetig wachsende Anzahl an Paketsendungen erfordert nachhaltige und effiziente Konzepte für die Logistik der „letzten Meile“. ParcelLock, ein Joint Venture von Hermes, DPD und GLS, bietet mit seinem offenen System eine Schlüsseltechnologie bei der Suche nach alternativen Zustellmethoden. Im Interview mit Gunnar Anger, Geschäftsführer ParcelLock, sprechen wir über die bisherige Geschäftsentwicklung und anstehende Projekte.

Herr Anger, vor rund zwei Jahren ist ParcelLock in Deutschland gestartet. Wie haben sich die Geschäfte seitdem entwickelt?

Gunnar Anger: ParcelLock hat eine innovative und sehr zuverlässige Technologie entwickelt und sie vor einem Jahr erfolgreich an den Markt gebracht. Als Partner für Paketkästen mit ParcelLock-System sind derzeit die Hersteller HEIBI sowie BURG-WÄCHTER an Bord. Daneben bietet der Hersteller RENZ Paketkastenanlagen mit ParcelLock-System für Mehrfamilienhäuser an. Zudem sind unsere Verhandlungen mit weiteren Partnerherstellern bereits weit fortgeschritten.

Wie viele Paketkästen mit ParcelLock-System gibt es heute in Deutschland?

Gunnar Anger: Mit der deutschlandweiten Verbreitung von Produkten mit ParcelLock-System sind wir bisher zufrieden. Genaue Zahlen nennen wir aus Wettbewerbsgründen aber nicht. Dazu erfolgen Herstellung und Vertrieb der Produkte auch nicht direkt über uns, sondern liegen bei den einzelnen Herstellern und deren Vertriebspartnern.

Öffentliche Paketstationen in Planung

Wie bewährt sich Ihr System im Alltag? Was läuft gut, was nicht?

Gunnar Anger: Die bisherigen Praxiserfahrungen zeigen eine hohe Akzeptanz des ParcelLock-Systems bei den Paketempfängern. Besonders überzeugt der anbieteroffene Ansatz. Optimierungsvorschläge in Bezug auf die einfache Bedienbarkeit seitens Empfängern und Zustellern berücksichtigen wir kontinuierlich bei der Weiterentwicklung des Systems. So entwickeln wir beispielsweise auch kurze Schulungsfilme für alle Zusteller. Und natürlich erfahren wir auch hin und wieder hautnah, was bei der Zustellung manchmal so schiefläuft. Das ist aber Gott sei Dank die Ausnahme …

Anfang des Jahres haben Sie die Geschäftsführung übernommen. Warum dieser Wechsel bei ParcelLock, nur ein Jahr nach der Gründung? 

Gunnar Anger: Der Wechsel in der Geschäftsführung ergab sich daraus, dass der Auftrag des damaligen Geschäftsführers mit dem Aufbau des Unternehmens und der marktreifen Entwicklung erster Produktlinien abgeschlossen war. Für mich als Geschäftsführer liegt der Fokus nun darauf, die begonnene Markterschließung fortzusetzen, das laufende Geschäft zu intensivieren sowie weitere Kooperationspartner zu gewinnen. Zudem werden wir in Kürze mit der Paketstation im öffentlichen Raum eine dritte Produktreihe softwareseitig an den Start bringen. Ebenfalls ist es nicht ausgeschlossen, dass das System ins Ausland gebracht wird.

2015 sagte Ihr Vorgänger, man sehe ein Potenzial für Paketkästen bei 10 Prozent der Deutschen. Sehen Sie das auch so? Wie viel dieses Potenzials schöpfen Sie heute aus?

Gunnar Anger: Das damals skizzierte Marktpotenzial für anbieterneutrale Paketkästen und ähnliche Produkte ist unverändert hoch. Wir gehen davon aus, dass sich Produkte mit ParcelLock-System mittelfristig erfolgreich am Markt durchsetzen werden. Der Markt wird sich bedingt durch die rasante Wachstumskurve beim Paketversand und Retouren weiterhin verändern, und davon wird unser System überproportional profitieren.

Anbieterneutrale Zustellung

Die Präsentation Ihres Paketkastens wurde im Markt als Angriff auf den Paketkasten von DHL verstanden. Braucht Deutschland wirklich zwei Paketkasten-Systeme? 

Gunnar Anger: Das ParcelLock-System steht nicht in direkter Konkurrenz zum Paketkasten von DHL. Vor allem handelt es sich bei ParcelLock nicht um einen Paketkastenanbieter, sondern um ein reines IT-Unternehmen. Wir stellen das System unseren Produktionspartnern als technische Komponente zur Verfügung, ähnlich wie auch Prozessorhersteller ihre Prozessoren an verschiedene Computerherstellern liefern. Das eigentliche Produkt, also z.B. der später im Handel vertriebene Paketkasten, wird autark von den jeweiligen Herstellern entwickelt – nicht von ParcelLock.

Während DHL Boxen für eigene Pakete anbietet, stellt ParcelLock ein System für alle Pakete bereit. Dadurch profitieren Käufer eines Paketkastens mit ParcelLock-System schon heute davon, dass beispielsweise auch lokale Lieferdienste oder Stadtkuriere für Lieferungen nutzen können.

Anfang September berichtete der Kölner Stadtanzeiger über ein Pilotprojekt von DHL. In diesem Testlauf übernimmt DHL Pakete, die eigentlich über andere Lieferdienste wie Hermes verschickt wurden, und liefert sie Privatkunden an die Haustür oder in eine DHL Packstation. Hat DHL damit eine anbieteroffene Lösung für die Herausforderungen der letzten Meile gefunden?

Gunnar Anger: Grundsätzlich begrüßen wir anbieterübergreifende Lösungen bei der Paketzustellung – genau aus diesem Grund wurde ParcelLock gegründet. Den Vorstoß von DHL beobachten wir sehr aufmerksam. Bei näherer Betrachtung handelt es sich jedoch nicht annähernd um ein anbieteroffenes System. Die eigentliche Zustellungsabwicklung erfolgt ausschließlich im geschlossenen DHL-System. Somit sind auch weiterhin andere Paketzusteller wie Hermes oder lokale Lieferanten von dem Zustellsystem ausgeschlossen.

Die wahrscheinlich dringendste Frage vieler Kunden: Wann kooperieren Sie endlich mit DHL?

Gunnar Anger: Das ParcelLock-System ist als anbieterneutrale Lösung konzipiert und steht allen Marktteilnehmern offen, das gilt selbstverständlich auch für DHL. Unser Markterfolg ist allerdings keineswegs von einer DHL-Beteiligung abhängig. Es ist im Übrigen schon heute möglich, einem DHL-Zusteller über einen individuellen TAN-Code Zugriff auf den Paketkasten zu geben. Im Praxisbetrieb hat sich gezeigt, dass diese Möglichkeit auch genutzt wird.

Neue Konzepte für Innenstadtlogistik

Kritisiert wurde damals der mit 399 EUR vergleichsweise hohe Einstiegspreis der Paketkästen mit ParcelLock-System. Wie ist die Preisstruktur heute?

Gunnar Anger: Unsere Produktionspartner fokussieren derzeit hochqualitative Paketkästen im Premium-Segment, die auch ohne ParcelLock-System entsprechend teurer sind. Wir werden in Gesprächen mit aktuellen und möglichen neuen Produktionspartnern aber auch weiterhin dafür werben, neue Produktvarianten zu entwickeln, um den Kunden eine möglichst große Vielfalt hinsichtlich Preis, Qualität und Gestaltung zu bieten.

Paketkästen sind ja vor allem etwas für Vorstadt und Land, kaum aber für Innen- und Großstädte. Was planen Sie da?

Gunnar Anger: Mit den Paketkastenanlagen unseres Produktionspartners RENZ gibt es bereits heute Lösungen, die für eine private Nutzung auch innerhalb von Innen- und Großstädten geeignet sind. In Kooperation mit Vermietern größerer Mietshäuser sind seit Oktober 2016 RENZ Paketkastenanlagen mit ParcelLock-System in mehreren deutschen Städten in Betrieb. Bei den Bewohnern der jeweiligen Häuser haben die Paketkastenanlagen eine hohe Akzeptanz. Interessant ist vor allem, dass die Anlagen sowohl für Neubauten als auch für Bestandsimmobilien geeignet sind.

Zudem besteht in Form einer anbieterneutralen Infrastruktur ein großes Potenzial von Paketstationen im öffentlichen Raum. Das offene ParcelLock-System bietet beste Voraussetzungen zur Etablierung einer solchen Infrastruktur. Aktuell laufen dazu Gespräche mit möglichen Partnern.

Denken Sie auch über Kooperationen nach, z.B. mit dem Handel?

Gunnar Anger: Unser System bietet zahlreiche Anknüpfungspunkte für den Handel. Beispielsweise können Click & Collect-Ansätze mit einer anbieterneutralen Lieferinfrastruktur kombiniert werden. Zur Weiterentwicklung dieses Ansatzes stehen wir im Austausch mit möglichen Kooperationspartnern aus dem Handel. Durch die zunehmende Aufweichung der Grenzen zwischen E-Commerce und stationärem Handel sehen wir viele interessante Möglichkeiten in der nahen Zukunft.

Neben Hermes sind DPD und GLS an Ihrem Unternehmen beteiligt. Wie viel Handlungsspielraum bleibt da eigentlich noch für Sie?

Gunnar Anger: Bereits seit Unternehmensgründung arbeitet ParcelLock eigenständig. Die Gesellschafter nehmen keinen Einfluss auf die Führung unserer Geschäfte. Es findet regelmäßig eine Gesellschafterversammlung statt, die sich auf das gesetzlich vorgesehene Maß beschränkt. Zudem sind das Branchen-Know-how, Kontakte und Ideen für Business Development hoch willkommen. Diese Kombination aus Start-Up und drei strategischen Anteilseignern bietet enorme Chancen!

Nutzen Sie eigentlich auch selbst einen Paketkasten mit ParcelLock-System?

Gunnar Anger: Ich bin natürlich ein regelmäßiger Nutzer von unserem ParcelLock-System. Als Geschäftsführer muss ich ja wissen, was ich verkaufe. Aktuell warte ich auf die Übersendung des Paketkastens der neuesten Generation.

Danke für das Gespräch.

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