Serie „Unsichtbare Logistik“, Teil 2: Ready For Liftoff – Transport ins Weltall
Mit der Zustellung oder dem Versand von Paketen kommen viele Menschen im Alltag in Berührung. Doch es gibt viele Logistikbereiche, die für die meisten Menschen „unsichtbar“ bleiben. In einer kleinen Beitragsserie beleuchten wir drei besonders ungewöhnliche Bereiche: Medizintransporte, Raumfahrt- sowie Entsorgungslogistik.
Frachtziel Mars & Co.: Vorzeitige Umkehr ausgeschlossen
Von Jan Berndorff
Es gibt kaum einen Bereich, in dem Logistik so wichtig ist wie in der bemannten Raumfahrt. Davon, dass sie funktioniert, hängen unmittelbar Menschenleben ab. Und wenn sie effizient ist, kann das selbst auf einzelnen Missionen Millionen bis Milliarden Euro sparen. Ganz nebenbei hilft sie dabei, Neues über die Welt zu lernen, in der wir leben. Das gilt für Transporte zur Internationalen Raumstation ISS, noch viel mehr aber für eine bemannte Reise zum Mars, wie sie zurzeit in Planung ist.
Der Materialfluss zur ISS will wohl überlegt sein – nicht zuletzt aufgrund der enormen Kosten, die ein Start ins All verursacht: Zwischen 10.000 und 20.000 Euro kostet jedes Kilo, das die beteiligten Raumfahrtagenturen dorthin bringen. Das liegt unter anderem daran, dass jede Rakete nur einmal benutzt wird und hunderte Tonnen teuren Treibstoffs verbraucht. Da sollte kein Gramm unnötig verschickt werden.
Ein bisschen Platz für Persönliches
„Die Astronauten auf der ISS bekommen alle ein bis zwei Monate Nachschub“, sagt Jürgen Schlutz, Koordinator für astronautische Raumfahrt und Exploration beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn. Unbemannte Frachter wie die russische Progresskapsel mit gut zwei Tonnen Ladekapazität oder die japanische HTV mit sechs Tonnen werden per Trägerrakete ins All geschossen und fliegen zu der in rund 400 Kilometer Höhe um die Erde kreisenden Raumstation. Sie docken automatisch an und bringen Verpflegung, Materialien für Experimente und nötigenfalls Ersatzteile oder Treibstoff. Auch die ISS braucht Sprit, weil sie wegen des Bremseffekts der Restatmosphäre alle paar Monate beschleunigen muss, um ihre Umlaufbahn zu korrigieren.
In letzter Zeit beteiligen sich auch private Unternehmen an der Versorgung der ISS: Die US-Firmen Space X und Orbital ATK haben erste erfolgreiche Flüge absolviert. „In den Kapseln wird oft auch ein bisschen Platz für Persönliches reserviert“, sagt Jürgen Schlutz, „Briefe oder Andenken von den Familien zum Beispiel, oder auch mal frisches Gemüse oder speziell zubereitete Speisen eines Spitzenkochs als Abwechslung zur gefriergetrockneten Astronautennahrung.“
Die Crew soll sich trotz der Abgeschiedenheit wohl fühlen. Und dazu gehört natürlich auch, den Abfall loszuwerden. Gase und Flüssigkeiten bläst sie ins All hinaus. Doch Verpackungen, kaputte Gegenstände und auch Fäkalien müssen extra entsorgt werden, damit sie nicht wie Geschosse durch den Erdorbit rasen und zur Gefahr für andere Raumfahrzeuge oder die ISS selbst werden. Deshalb dienen angedockte Kapseln gleichzeitig als Müllcontainer. „Ist eine voll, dockt sie ab, stürzt zurück Richtung Erde und verglüht in der Atmosphäre“, sagt der US-Astronaut Clayton C. Anderson, der 164 Tage auf der ISS verbrachte. „Das ist quasi kosmische Müllverbrennung.“
Marsmission: Planung muss bis ins Kleinste ausgetüftelt sein
Die Logistik einer bemannten Mission zum Mars ist weit komplizierter. „In vielerlei Hinsicht hat das Leben auf der ISS etwas von High-End-Camping“, sagt Jürgen Schlutz. „Man ist im steten Funk- und Internetkontakt, kann jederzeit Hilfe von der Erde anfordern, und im Notfall in ein paar Stunden zurück auf sicherem Boden sein.“ Bei einer Marsmission jedoch gibt es kein Zurück. Man ist auf Gedeih und Verderb darauf angewiesen, dass die Planer alles richtig gemacht haben. Und trifft oft einsame Entscheidungen, denn auf einen Funkspruch kommt die Antwort wegen der riesigen Distanz bis zu 40 Minuten später.
„Die Logistik einer bemannten Marsmission ist, gelinde ausgedrückt, sehr komplex“, sagt der Ex-Astronaut David R. Williams, heute in leitender Position am Goddard Space Flight Center der NASA. „Da gibt es wirklich unendlich viele Faktoren, die man berücksichtigen muss: Transitfahrzeuge, Flugbahnen, Sicherheit der Crew, Aufenthaltsdauer, Materialien, Ausrüstung und vieles mehr. Alles muss im Vorhinein bis ins kleinste Detail ausgetüftelt werden, weil aufgrund der Natur einer solchen Reise keine vorzeitige Umkehr möglich ist und es auch keine zusätzliche Versorgung von der Erde aus geben kann. Nach der Abfahrt muss die Crew absolut autark handeln.“
Die Crux eines solchen Himmelfahrtskommandos liegt neben der schieren Entfernung von über 50 Millionen Kilometern in den Umlaufbahnen der Planeten: Nur alle 26 Monate öffnet sich ein Transitfenster, wo Mars und Erde günstig zueinander stehen. Wer dann losfliegt und den Schwung der Planeten nutzt, hält den Energieaufwand und die Dauer der Hin- und Rückreise im Rahmen, genauso wie die Zeit, die die Astronauten der starken Strahlung im All ausgesetzt sind. Jede Änderung vom Flugplan bedeutet enormen zusätzlichen Spritverbrauch – und große Risiken. Und weil der Treibstoff ohnehin den absolut größten Teil des Gewichts und damit der Kosten ausmacht, kommt das kaum infrage. „Ein Missionsabbruch ist so gut wie unmöglich“, bestätigt Jürgen Schlutz.
Der Frachttransport auf den Mars dauert drei Jahre
Um Flugdauer und Kosten zu senken, wird getrickst. Man fliegt nicht einfach mit Sack und Pack hin und wieder zurück. Stattdessen schickt man einen Großteil der Ausrüstung inklusive Wohnmodul und Wiederaufstiegsrakete vorweg auf einer langsameren Flugbahn, die weit weniger Treibstoff benötigt. Bis zu drei Jahre braucht der gemächliche Frachttransport zum Mars, der wie herkömmliche robotische Marsmissionen die Güter vollautomatisch auf dem Roten Planeten deponiert. Der möglichst schnelle Transport der Crew dagegen – vier bis sechs Monate, so dass die Strahlenbelastung geringer ausfällt – erfolgt erst Jahre später. Das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass man die Ausrüstung vor Ort testen kann, bevor es richtig losgeht.
Zum Schutz der Crew vor der heftigen Strahlung im All ist das Raumschiff speziell ummantelt. Und weil die Sonne ab und zu einen Sturm geladener Partikel ins All bläst, der besonders schädlich ist, muss das Raumschiff über eine Art Schutzbunker verfügen. „In diesen ziehen sich die Astronauten für einige Stunden bis Tage zurück, wenn sich ein Sonnensturm ankündigt“, sagt Jürgen Schlutz. „Sonst würden sie förmlich gegrillt.“
Zur Ummantelung des Bunkers könnte normales Wasser dienen, weil es solche Strahlung effektiv abschirmt und man ohnehin einen Wasservorrat zum Mars mitnehmen muss. Zwar gibt es dort Wasser in Form von Eis, das man wahrscheinlich auch nutzen kann. „Aber darauf kann man sich nicht verlassen“, so Schlutz.
Hier liegen zwei weitere wesentliche Aspekte der Logistik einer Marsmission: Zum einen die mehrfache Verwendbarkeit der Materialien und Instrumente. Zudem sollten Module und Geräte so gebaut sein, dass sie alle miteinander kompatibel und leicht zu reparieren sind. Selbst Müll kann noch zu etwas gut sein, etwa als Strahlenschild.
Rückfalloptionen müssen berücksichtigt werden
Im Idealfall lassen sich Ersatzteile mit einem 3D-Drucker aus Materialien, die man auf dem Mars findet, herstellen. Das ist noch ein wichtiger logistischer Aspekt: Alles, was sich auf dem Mars produzieren lässt, braucht man nicht mitnehmen: Kaputte Schrauben etwa kann der 3D-Drucker aus Marsgestein nachbauen. Treibstoff in Form von Methan und Sauerstoff lässt sich aus der Marsluft und dem Wassereis gewinnen.
„Auch da wird noch diskutiert, inwieweit man sich darauf verlassen sollte“, sagt Jürgen Schlutz. Zwar werde alles vorab intensiv getestet, „aber bei der ersten bemannten Mission baut man womöglich mehr Rückfalloptionen ein, um sicherzugehen.“ Das heißt: Lieber doch genug Treibstoff und ein paar Ersatzschrauben auch für die Rückreise mitnehmen. Das treibt allerdings die Kosten in die Höhe. Experten rechnen mit einem Gesamtvolumen von 100 bis 500 Milliarden Euro.
Jedenfalls würden die Raumschiffe – das für die Vorabfracht und das für die Crew – mit mehreren Raketen in Einzelteilen in den Erd- oder einen Mondorbit gebracht. Dort würden sie zusammengebaut und zur gegebenen Zeit losgeschickt. In einem Orbit um den Mars würde die Crew auf das vorweggeschickte Landemodul treffen, damit auf dem Mars landen und in das bereits abgestellte Wohnmodul ziehen. Im Idealfall hätte inzwischen eine kleine Fabrik den Sprit für die Wiederaufstiegskapsel produziert.
Eineinhalb Jahre bleiben die Astronauten auf dem Roten Planeten. Sie erkunden mit Rovern die Umgebung, nehmen Proben, führen Experimente durch und bauen Obst und Gemüse an. Sobald sich nach gut eineinhalb Jahren das Transitfenster wieder öffnet, fahren sie mit der auf sie wartenden Aufstiegsrakete in den Marsorbit, steigen zurück in das dort geparkte Transitraumschiff und fliegen wieder Richtung Heimat. Im Erd- oder Mondorbit erfolgt erneut der Umstieg in eine Landekapsel und der Rest ist Routine.
Die zurückgelassenen Fahrzeuge und Geräte auf dem Mars und in den Umlaufbahnen können dann nachfolgende Missionen erneut nutzen. „Unser Ziel ist nicht eine einzelne Reise“, sagt William Gerstenmaier, Vizeadministrator der NASA im Bereich bemannte Raumfahrt. „Sondern wir wollen eine Infrastruktur aufbauen, um wiederzukehren.“
Moderne Logistik bedeutet in der Raumfahrt also auch immer: Mitdenken für kommende Missionen.
Lesen Sie auch Teil 1 aus der Beitragsserie „Unsichtbare Logistik“ zum Thema Lebensrettende Medizinlogistik sowie Teil 3 zum Thema Entsorgungslogistik.