Brexit: Ein Rückschritt für den europäischen E-Commerce
Ein Fachartikel von Martin Rätze, Rechtsexperte bei Trusted Shops
Die Mehrheit der Bevölkerung Großbritanniens hat am 23. Juni 2016 in einem Referendum für den „Brexit“ gestimmt. Das „Ja“ zum Austritt aus der EU bedeutet, dass die Briten noch für einige Zeit Mitglied der EU bleiben können. Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union legt den Prozess des Austritts eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union fest. Innerhalb von zwei Jahren sollten die Verhandlungen über ein Austrittsabkommen abgeschlossen sein. Das Ergebnis dieser Verhandlungen wird bestimmen, welche konkreten Auswirkungen der Brexit für UK und die EU haben wird. Der Austritt Großbritanniens birgt auf jeden Fall einige Gefahren, mit denen sich Onlinehändler schon jetzt beschäftigen sollten.
Der Brexit – ein Rückschritt für den europäischen E-Commerce
Großbritannien gehört mit Deutschland und Frankreich zu den stärksten Märkten der EU. Ist der Austritt vollzogen, so fällt der gemeinsame Binnenmarkt mit Großbritannien weg. Das Land wird wie ein sogenannter Drittstaat behandelt. UK verliert den uneingeschränkten Zugang zur EU und damit seine wichtigsten europäischen Handelspartner: Deutschland sowie andere EU-Staaten. Der Brexit bedeutet also einen Rückschritt für den europäischen E-Commerce.
Gefahren für den Onlinehandel
Der Brexit birgt zahlreiche Gefahren bzw. Folgen für den grenzüberschreitenden E-Commerce, zum Beispiel:
Zölle und Einfuhrumsatzsteuer: Folge des Brexit könnte die Wiedereinführung von Zöllen sein. Kunden deutscher Händler, die in Großbritannien wohnen, müssten für ihre Einkäufe aus Deutschland Zölle und Einfuhrsteuern zahlen. Für Kunden aus UK wären grenzüberschreitende Einkäufe teurer und somit unattraktiver. Dies gilt auch umgekehrt. Für Händler auf beiden Seiten könnte so der Handel mit Kunden aus dem jeweils anderen Zielmarkt erschwert werden. Zusätzliche Kosten, Bürokratien und Unsicherheiten werden unter Umständen nicht alle Händler auf sich nehmen wollen.
Hohe Exportkosten: Insbesondere klein- und mittelständische Händler könnten es schwer haben, die Kosten für den Export zu tragen. Anders als Großunternehmen wird es ihnen nicht so leicht fallen, strategische Partnerschaften aufzubauen und Vertriebskooperationen einzugehen.
Mögliche Probleme für den Datenschutz: Hinsichtlich der für den Datenschutz relevanten Vorschriften wird UK nach dem Austritt als Drittstaat behandelt. Für die Datenweitergabe an britische Dienstleister wird es aber wohl kaum spürbare Veränderungen geben. Es ist stark zu erwarten, dass UK auf die Liste der “sicheren” Länder gesetzt wird. Für diese gilt ein dem EU-Standard entsprechendes Maß an Datenschutzvorschriften, weshalb die Datenweitergabe wie ein Austausch innerhalb der EU behandelt wird. Doch ob es dazu kommt, gilt nicht als sicher.
Auswirkung auf die Gesetzeslage: Die für den Online-Shop relevanten Rechtsgebiete sind innerhalb der EU derzeit zu großen Teilen harmonisiert. Mit der Verbraucherrechterichtlinie wurden erst kürzlich die Verbraucherrechte weitestgehend vereinheitlicht. Das Wettbewerbsrecht ist ebenfalls vollharmonisiert. Harmonisierung bedeutet immer auch Rechtshoheit des EuGH. Aufgrund des Austritts müssten sich englische Gerichte nicht mehr an EuGH-Urteilen orientieren. Dies kann mit der Zeit zu Divergenzen in der Auslegung bereits harmonisierter Gesetze sowie der zukünftigen Rechtslage führen – so zum Beispiel beim Widerrufsrecht. EU-weit besteht eine Widerrufsfrist von 14 Tagen. Großbritannien könnte zum Beispiel eine kürzere Frist von 7 Tagen einführen. Bei Kunden aus EU-Staaten, die in einem Online-Shop in UK einkaufen, könnte das zu Irritationen führen und als Nachteil empfunden werden. Von einer drastischen Veränderung ist jedoch nicht auszugehen, da UK bislang in den meisten Fällen wenig Gebrauch von Umsetzungsspielräumen von Richtlinien, die relevant für E-Commerce sind, gemacht hat und der Rechtsverfolgungsdruck im E-Commerce im Vergleich zu Deutschland gering ist.
Wie könnte es nach dem Brexit weiter gehen?
Geht man davon aus, dass Großbritannien auch nach einem Austritt aus der Union ein Interesse daran hat, eine starke Handelsbeziehung mit den EU-Mitgliedstaaten aufrecht zu erhalten, sind verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten denkbar. Beispielsweise könnte UK nach dem Vorbild Norwegens im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bleiben. Das würde bedeuten, dass UK weiterhin die Gesetze in Bezug auf die Freizügigkeit von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital harmonisieren und die Hoheit der europäischen Gesetzgebung in diesen Bereichen anerkennen müsste. Der Zugang zum gemeinschaftlichen Binnenmarkt würde erhalten bleiben. Es könnte auch eine drastischere Trennung vereinbart werden. Ganz nach dem Schweizer Model könnte ein bilateraler Vertrag mit der EU die Folge sein. EU-Vorgaben sowie die Rechtshoheit des Europäischen Gerichtshofs wären dann jedoch nicht anzuerkennen.
Da Artikel 50 des EU-Vertrags eine Neuverhandlung der Beziehung vorsieht, ist jede Form der Ausgestaltung zukünftig denkbar. Entscheidend wird sein, wie sich die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Interessengruppen in UK formieren und durchsetzen werden. Händler sollten die Verhandlungen zwischen EU und Großbritannien über die Abwicklung des Austritts genau beobachten und diese Zeit nutzen, um den UK-Markt für ihren Shop genau zu analysieren: Was verkaufen Sie? Wie sind Ihre Umsätze in UK? Lohnt der Markt sich für Sie, so dass Sie bereit wären, zusätzliche bürokratische Hürden und administrative Kosten auf sich zu nehmen?