Digitales Innovationslabor: „Die App bringt ein Paket mehr an die Haustür“
Seit zwei Jahren gibt es ein Digital Lab bei Hermes: Doch wie funktioniert so ein Innovationslabor überhaupt? digilab-Chef Tim Rudolph erzählt, wie dort gearbeitet wird und welche Anwendung schon ganz konkret den Zustellern das Leben erleichtert.
Tim, warum braucht ein Unternehmen mit einer so greifbaren Dienstleistung wie Paketzustellung überhaupt ein digilab?
Tim Rudolph: Die Digitalisierung hält Einzug in allen Branchen, nicht zuletzt in der Logistik. Und nur mit ihr haben wir die Möglichkeit, uns in Zukunft zu steigern und unsere Dienstleistung zu verbessern. Denn die Stellschrauben aus der Vergangenheit funktionieren nicht mehr: mehr Standorte, mehr Fahrzeuge, mehr Zusteller. Unternehmen müssen sich heute ständig neu erfinden: Da kommen wir als digilab ins Spiel und wollen vielversprechende digitale Lösungen finden – und zeigen, was sie ganz konkret können. Zum Beispiel haben wir uns überlegt: Wie kann man die Paketzustellung an der Haustür digitalisieren?
Der Zusteller klingelt und gibt das Paket ab: Wo kann man da digitalisieren?
Tim Rudolph: Exakt diese Frage haben wir uns gestellt. In einem unserer Projekte haben wir uns darum gekümmert, wie sich die Zustellung für den Kunden und den Zusteller ganz konkret durch die Digitalisierung verbessern lässt. Wir haben also eine digitale Plattform – eine App – erstellt, die alle Aufgaben des Zustellers automatisiert, vereinfacht oder unterstützt. An der Zustellbasis Berlin Reinickendorf haben wir dann getestet: Die digitale Tourenplanung lotste den Zusteller bestmöglich zum Paketempfänger. Aber auch die Vorsortierung, Beladung, der Rücklauf und vieles mehr werden digital unterstützt. Die Kunden profitieren direkt: Zum Beispiel wird die Verortung von Adressen digital erlernt. Wenn ein Zusteller im Weihnachtsgeschäft aushilft und das Gebiet nicht gut kennt, kann er sich den Ort zur Adresse im Luftbild anzeigen lassen. Das hilft bei schwierig zu findenden Adressen wie in Hinterhöfen ungemein.
Und was hat der Test ergeben?
Tim Rudolph: Wir haben gezeigt, dass ein Paket mehr pro Stunde zugestellt werden kann, ohne dass die Arbeitsbelastung für die Zusteller steigt. Wenn der Kunde nicht da ist, kann der Zusteller sofort in der App dessen Ablageorte und Wunschnachbarn sehen. Die Kunden selbst sind auch an die App angebunden und haben so gleich auf ihrem Smartphone die Info bekommen, wo ihr Paket ist. Die Kundenbeschwerden gingen in dem Zeitraum deutlich zurück. Die Vermutung, dass sich viel tut, wenn man das Potential der Digitalisierung für die Logistik nutzt, hat sich voll bestätigt.
Und wie kommt ihr auf diese Lösungen? Wie geht ihr dabei vor?
Tim Rudolph: Es ist eine Kombination. Zum einen haben wir im digilab viel Digitalkompetenz und -erfahrung. Zum anderen investieren viel Zeit darauf, von den handelnden Menschen zu lernen und die Zusammenhänge zu analysieren. Schließlich kommt noch dazu: Wir sind alle hoch motiviert, Dinge besser zu machen – bei Sackgassen geben wir nicht auf, sondern werden kreativ. Dann kommen die Lösungsansätze fast von alleine. In dem konkreten Fall haben wir zum Beispiel gefragt: Alle Zusteller fahren mit einem Scanner. Müssen sie das in Zukunft auch, oder kann man mit einem Smartphone viel mehr Lösungen gleichzeitig anbieten?
Und dann muss ja erst einmal entwickelt werden: Wie lange hat es gedauert, bis die Anwendung getestet werden konnte?
Tim Rudolph: Das ging bei dem Zusteller-Thema sehr schnell. Ab dem Start der Arbeit im Team hat es nur acht Wochen gedauert, bis Zusteller in Berlin und Kassel mit der App Pakete zugestellt haben. Und dann haben wir die Lösung über einen längeren Zeitraum weiterentwickelt. Inzwischen haben wir weit über eine Million Pakete mit dieser Lösung zugestellt. Das Wichtigste ist natürlich, in die richtige Richtung zu fahren, aber das zweitwichtigste ist: schnell fahren. Wir wollen zügig Ergebnisse aus dem echten Leben haben, schnell was auf die Straße bringen und dann testen und verbessern. Heute kann man nicht mehr ein halbes Jahr an etwas rumschrauben und dann schauen, ob es überhaupt funktioniert.
Welchen Schlag Mensch braucht man denn, um so zu arbeiten?
Tim Rudolph: Wir sind ein Team von 16 Leuten, mit ganz unterschiedlichem Hintergrund: Entwickler oder Produktmanager – und dann holen wir uns immer noch Menschen mit den Kompetenzen, die wir für das aktuelle Projekt brauchen. Viel wichtiger als das fachliche Profil ist aber, dass die Leute Ideen haben, wie man von A nach B kommt, auch wenn da keine Straße ist. Wir müssen neugierig sein und immer getrieben von dem Gedanken: ‚Aber das muss doch besser gehen!’ Andererseits muss man auch robust gegen Rückschläge sein, denn man muss sich oft auch von Lieblingsthemen trennen, wenn sich herausstellt, dass da kurzfristig keine Lösung zu finden ist. Mein Motto: „Hire character, train skill“, das funktioniert einfach besser als andersherum.
Unterscheidet ihr euch dann überhaupt noch von einem Startup?
Tim Rudolph: Ja und nein. Von den Menschen und der Arbeitsweise gibt es viele Ähnlichkeiten. Aber es gibt auch Unterschiede: Ein Startup verfolgt meistens ein einziges Ziel und will eine Anwendung auf den Markt bringen. Wir haben einen breiteren Anspruch, denn wir wollen ja immer an mehreren Anwendungen arbeiten und über die Jahre immer neue Projekte für ganz verschiedene Bereiche herausbringen. Und wir können anders als Startups auf das Know-how im Unternehmen oder unsere Logistikinfrastruktur zurückgreifen. Ich denke, das alles ist unser Erfolgsrezept.