Dekarbonisierung der Langen Strecke Ein Jahr Wasserstoff-Lkw bei Hermes Germany: Eine Zwischenbilanz

Im Rahmen eines 48-monatigen Testbetriebs untersucht der Hamburger Paketlogistiker die Praxistauglichkeit und das Emissionseinsparungspotenzial eines Brennstoffzellen-Lkw. Inzwischen ist das Wasserstofffahrzeug 12 Monate im Einsatz, Zeit für ein Zwischenfazit.

Hier steckt viel drin: Der Hyundai FC Xcient Fuel Cell verfügt über zwei H2-Brennstoffzellen und sieben Wasserstoffspeichertanks mit einem Gesamtvolumen von mehr als 32 Kilogramm (Foto: Hermes Germany / Willing-Holtz)

Hermes Germany setzt sich intensiv mit alternativen Antriebstechnologien auseinander und testet deren Eignung im logistischen Alltag. Während sich auf der Letzten Meile der batterieelektrische Antrieb bereits etabliert hat, stehen für den Schwerlastverkehr über lange Distanzen noch keine flächendeckend praxistauglichen Lösungen bereit. Auf der Suche nach zukunftsfähigen Alternativen testet der Paketlogistiker seit Februar 2024 einen Wasserstoff-Lkw von Hyundai, bezogen über die Firma hylane. Ein Jahr nach dessen Einführung zieht Dennis Caldwell, Future Energy & Transport Manager bei Hermes Germany, eine Zwischenbilanz. Im Interview teilt er seine Einblicke zu bisherigen Erfahrungen, bestehenden Herausforderungen und zukünftigen Aussichten für eine lokal CO2-freie Logistik im Schwerlastverkehr.

Eindrücke aus dem ersten Jahr im Testbetrieb

Als Future Energy & Transport Manager bei Hermes Germany begleitest du den Einsatz neuer Antriebstechnologien von Beginn an. Wie würdest du das erste Jahr mit dem Wasserstoff-Lkw in einem Satz zusammenfassen?

Dennis Caldwell: Das erste Jahr lief überwiegend positiv; unsere Erwartungen wurden größtenteils erfüllt und es gab überraschend wenige Ausfälle.

Welche Strecke fährt das Fahrzeug täglich?

Dennis Caldwell: Seit der Inbetriebnahme im Februar 2024 hat der Wasserstoff-Lkw insgesamt knapp 80.000 Kilometer zurückgelegt. Das entspricht in etwa zwei Erdumrundungen, was recht ordentlich ist. In der Anfangsphase sind wir teilweise Tagesstrecken von bis zu 800 Kilometern gefahren, das ist inzwischen nicht mehr die Regel. Momentan legt das Fahrzeug am Tag im Schnitt 200 Kilometer zurück und transportiert etwa 2.000 Sendungen, es ist hauptsächlich auf der Strecke zwischen unserem Logistik-Center im hessischen Friedewald und dem Depot in Kassel unterwegs. Die ursprüngliche Tour zu unserem Logistik-Center Mainz fahren wir nur noch sehr selten.

Dennis Caldwell, Future Energy & Transport Manager beim Hamburger Paketlogistiker (Foto: Hermes Germany / Willing-Holtz)

Was ist der Hintergrund für die Anpassung der Route?

Dennis Caldwell: Das Fahrzeug war ursprünglich für längere Fahrten und im Mehrschichtbetrieb, das heißt sowohl Tages- als auch Nachtschicht, eingeplant. In der täglichen Nutzung hat sich für uns der Feeder-Transport nach Kassel als Hauptstrecke herauskristallisiert. Dies liegt vor allem an der eingeschränkten Verfügbarkeit von Wasserstofftankstellen auf längeren Routen und rund um unsere Basis in Friedewald. Wir tanken aktuell im Kreis Kassel in Lohfelden, die Tankstelle ist Teil des H2 MOBILITY-Netzes. Obwohl uns die Tankstellenproblematik bewusst war, zeigte sich erst im Betrieb, wie stark sie die Disposition beeinflusst. Die zusätzlichen logistischen Herausforderungen und Effizienzeinbußen haben schließlich dazu geführt, dass wir uns auf die kürzere Route fokussiert haben.

Angesichts der Ziele von Hermes Germany, die Potenziale von Wasserstoff zur Emissionseinsparung zu ermitteln und die Alltagstauglichkeit zu testen, wie lautet dein bisheriges Zwischenfazit zu diesen Aspekten?

Dennis Caldwell: Das Potenzial zur CO2-Einsparung ist in meinen Augen beim Brennstoffzellenantrieb grundsätzlich gegeben. Allerdings kämpfen wir im logistischen Alltag mit einigen Herausforderungen. Knackpunkt ist, wie bereits angesprochen, die unzureichende Tankstelleninfrastruktur, die die Flexibilität und Effizienz der Einsätze erheblich einschränkt. Zudem ist es entscheidend, ausreichend Personal zu haben, das speziell für den Einsatz eines Wasserstoff-Lkw geschult ist. Klare Pluspunkte des Lkw sind die hohe Reichweite von rund 400 Kilometern und die kurze Betankungszeit – je nach Tankstelle dauert das gerade mal um die 15 Minuten. Schaut man sich im Vergleich rein batterieelektrisch betriebene Lkw an, von denen wir derzeit sechs im Einsatz haben, zeigt sich, dass die Ladeinfrastruktur in diesem Bereich schon fortgeschrittener ist. Aber auch hier gibt es noch infrastrukturelle Herausforderungen und auch die Technologie muss weiterentwickelt werden, um ihr volles Potenzial zu entfalten.

Direkt hinter dem Fahrerhaus stapeln sich die zylindrischen Wasserstofftanks des H2-Lkw (Foto: Hermes Germany / Willing-Holtz)

Und was sagen die Fahrer*innen, was überzeugt sie im Alltag?

Dennis Caldwell: Auf jeden Fall das starke Drehmoment, das eine ruhige und komfortable Fahrt ermöglicht. Darüber hinaus schätzen unsere Fahrer*innen das angenehme Fahrgefühl. Auch das Interesse aus der Öffentlichkeit, seitens Kund*innen und Passant*innen, ist bemerkenswert hoch. Unser Fahrpersonal wird häufig auf das Fahrzeug angesprochen und erhält viele Fragen dazu.

Technische Verbesserungen und Infrastrukturbedarf

Wo siehst du Herausforderungen oder Verbesserungsmöglichkeiten des Fahrzeugs?

Dennis Caldwell: Ein weicheres Fahrwerk könnte den Fahrkomfort deutlich erhöhen, und eine Standheizung wäre nützlich, um das Fahrzeug während Pausen warm zu halten. Zudem ist der Wechselbrückenaufsatz aufgrund der Fahrzeugbreite recht anspruchsvoll, da könnte man nachjustieren. Unser Feedback leiten wir im Übrigen regelmäßig an den Hersteller Hyundai sowie hylane, von denen wir das Fahrzeug beziehen, weiter. Dieser kontinuierliche Austausch ist entscheidend, um die Einsatzfähigkeit des Lkw zu verbessern und die Technologie langfristig effizient und alltagstauglich zu gestalten.

Du hast die Tankstellenproblematik als zentrale Herausforderung schon angesprochen. Welche Entwicklungen sind aus deiner Sicht erforderlich, um Wasserstoff im Schwerlastverkehr flächendeckend einzusetzen?

Dennis Caldwell: Die Tankstelleninfrastruktur ist derzeit in der Tat eine der größten Herausforderungen für den Einsatz von Wasserstoff im Schwerlastverkehr. Bei einem Ausfall einer Tankstelle kann aktuell nicht einfach die nächste aufgesucht werden, wie es etwa bei einem Diesel-Lkw der Fall ist. Dazu ist das Tankstellennetz zu begrenzt und auch die Restreichweite des Fahrzeugs reicht häufig nicht aus, um die nächste Tankstelle zu erreichen. Das schränkt die Flexibilität stark ein und erfordert eine präzise Routen- und Einsatzplanung. Eine bessere Verfügbarkeit von Tankstellen würde die Flexibilität erhöhen und die Effizienz deutlich steigern. Neben der Infrastruktur spielt auch die Fahrzeugtechnik eine entscheidende Rolle. Eine größere Reichweite, noch kürzere Betankungszeiten und eine verbesserte Zuverlässigkeit der Systeme, etwa des Wasserstoff-Verdichters beim Betankungsvorgang, wären wesentliche Fortschritte. Auch die Schulung von Personal – von Fahrer*innen bis zu Disponent*innen – ist essenziell, um diese Antriebsart voll ausschöpfen zu können. Nur durch das Zusammenspiel all dieser Faktoren kann Wasserstoff flächendeckend und effizient im Schwerlastverkehr eingesetzt werden.

Tankklappe auf, Zapfpistole dran – der 42-Tonner wird unter 350 bar mit Wasserstoff betankt (Foto: Hermes Germany / Willing-Holtz)

Vielfältige Antriebskonzepte im Blick

Hermes Germany verfolgt generell einen recht technologieoffenen Ansatz und testet viel. Warum ist das so wichtig?

Dennis Caldwell: Wir setzen uns bei Hermes Germany mit verschiedenen Lösungen auseinander. Für uns ist es wichtig, uns möglichst frühzeitig ein Bild von der Praxistauglichkeit im logistischen Alltag zu machen. So bleiben wir am Puls der Zeit und können rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, um nicht vom Markt abgehängt zu werden. Man muss auch dazu sagen, dass oftmals erstmal die nötige Akzeptanz geschaffen und mögliche Vorbehalte gegenüber neuen Technologien aus dem Weg geräumt werden müssen. Fakt ist: Die Dekarbonisierung des Transportsektors ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, besonders auf der Langen Strecke, und wir sind alle gefordert, einen Beitrag zu leisten. Ein technologieoffener Ansatz ist für uns entscheidend, um die Weichen für die Zukunft frühzeitig zu stellen. Es wird wahrscheinlich keine einzelne Lösung für alle Einsatzzwecke geben.

Welche Rolle spielt die batterieelektrische Mobilität im Vergleich zu Wasserstoff?

Dennis Caldwell: Eine immens wichtige. Auf der Letzten Meile hat sie sich bereits durchgesetzt und Hermes Germany stellt eine wachsende Anzahl an Sendungen elektrisch, und damit lokal CO2-frei, mit E-Transportern und Lastenrädern zu. Auch auf der Langstrecke bewährt sich diese Antriebsform: Aktuell setzen wir, wie schon erwähnt, sechs E-Lkw ein. Diese zeichnen sich durch eine hohe Energieeffizienz aus, da die Energie direkt für den Antrieb genutzt wird – im Gegensatz zu den Umwandlungsverlusten beim Wasserstoff-Lkw. E-Lkw bieten zudem mehr Laderaum, da sie weniger Platz für die Antriebstechnologie benötigen. Einige Modelle erreichen mittlerweile Reichweiten, die mit denen von Brennstoffzellen-Lkw vergleichbar sind – sprich sie schließen zu den hohen Reichweiten von H2-Lkw auf. Dennoch gibt es auch hier Herausforderungen etwa bei der noch begrenzten Verfügbarkeit geeigneter Ladestationen und dem Aufbau der Ladeinfrastruktur für schwere Nutzfahrzeuge.

Kannst du schon eine erste Einschätzung abgeben, welche Rolle Wasserstoff im Vergleich zu anderen Antrieben perspektivisch für Hermes Germany spielen kann?

Dennis Caldwell: Vor einigen Jahren galt Wasserstoff häufig als die Zukunftstechnologie im Schwerlastverkehr, heute ist das nicht mehr so sicher. Alle Technologien entwickeln sich ständig weiter. Wenn ich rechts und links schaue, habe ich das Gefühl, dass sich – sofern kein großer Durchbruch in der Wasserstofftechnologie kommt – der batteriebetriebene Lkw durchsetzen wird. Doch auch hier sind wir nicht frei von Herausforderungen, besonders beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Eine fortschrittliche Technologie nützt wenig ohne den entsprechenden Unterbau. Ähnlich wie beim Diesel-Lkw: Ohne ausreichende Tankstellen wäre auch dieser Antrieb kaum nutzbar. Die entscheidende Frage ist, ob es eine einzige Technologie sein muss oder ein Mix aus verschiedenen Ansätzen die Lösung ist. Stand jetzt würde ich sagen, dass Wasserstoff neben weiteren Antriebsformen eine zuverlässige und zukunftsweisende Ergänzung für unsere Flotte darstellen kann. Um dies abschließend beurteilen zu können, werden die verbleibenden 36-Monate des Tests sicherlich weitere wertvolle Erkenntnisse bringen.

Zukunftsperspektive für alternative Antriebe

Was braucht es in Zukunft, um den Einsatz umweltfreundlicher Antriebstechnologien im Schwerlastbereich weiter voranzutreiben?

Dennis Caldwell: Zum einen wird die Politik eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie schnell solche Themen vorangetrieben werden. Ein Blick in andere Länder zeigt, wie stark die Regierung dort oft aktiv fördert und unterstützt. Doch das allein reicht nicht aus. Ich stelle immer wieder fest, dass es auch an der generellen Bereitschaft von Unternehmen liegt, sich ernsthaft mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Zu oft stehen eine gewisse Trägheit oder andere Faktoren im Weg, sodass kein Fortschritt möglich ist. Auch die Wirtschaftlichkeit spielt immer eine Rolle. Es braucht den festen Willen und die Offenheit, um an dieser Stelle etwas zu bewegen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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