Austellung: Ein Weg durch undurchsichtige Netzwerke
„Wir gehen das Thema Versandhandel als Netzwerk an. Also: Was passiert eigentlich, wenn ich etwas bestelle? Welche Prozesse setzen sich dadurch in Gang und wie viele Leute sind daran beteiligt, dass mein Produkt zu mir kommt“, erklärt Florian Schütz die Sonderausstellung. Er ist Historiker, Kurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum der Arbeit. Zusammen mit seiner Kollegin Dr. Sandra Schürmann hat er die Ausstellung konzipiert und zusammengestellt. Dabei standen – mitunter weltweite – Zusammenhänge und „Räderwerke“ im Fokus, die globalen Versandhandel überhaupt erst möglich machen.
„Wir wollten keine Chronologie abbilden, also von den Anfängen des Versandhandels im 19. Jahrhundert bis heute durcherzählen. So sind wir auf das Konzept des Netzwerks gekommen: Alles hängt miteinander zusammen. Aber natürlich wollen wir den Besucherinnen und Besuchern trotzdem zeigen, wie das alles früher aussah“, merkt Schütz an.
OTTO öffnet seine Archive – und den OTTO-Campus
Ermöglicht wurde dieser Ansatz auch durch die Kooperation des Museums mit dem deutschen Versandhändler schlechthin: OTTO. Der Branchenriese und heutige Online-Marktplatz aus der Hansestadt feiert dieses Jahr 75-jähriges Jubiläum. „Die Logistikbranche war schon lange ein Thema im Museum, auch, weil es darüber einen gesellschaftlichen Diskurs gibt. Da bot es sich an, für die Ausstellung mit einem Hamburger Traditionsunternehmen wie OTTO zu kooperieren“, wie Schütz sagt.
Für die Ausstellung hat OTTO den Kurator*innen des Museums die Pforten zu seinem Unternehmensarchiv geöffnet. Schütz und seine Kollegin Schürmann erhielten Zugang zum OTTO-Campus und konnten so Objekte recherchieren: „Wir haben zum Beispiel einen Hanseat Tempo aus den 50er-Jahren im OTTO-Branding, der im Museum ausgestellt wird.“ Und da Hermes Germany zu OTTO gehört, haben die Kurator*innen auch viel über das Unternehmen erfahren.
Leihgaben von Hermes Germany – und spannende Einblicke ins daily doing
Im Zuge der Recherche war das Team vom Museum bei Hermes Germany direkt vor Ort: „Wir haben eine Exkursion nach Billbrook gemacht, morgens um 8 Uhr. Dort haben wir uns drei Stunden lang die Arbeit im Logistik-Center angeschaut. Wir haben auch Leihgaben von Hermes Germany erhalten, zum Beispiel historisches Bildmaterial oder aktuelle Arbeitskleidung.“ Als Gegenüberstellung gibt es dann historische Arbeitskleidung zu sehen – von dicken Wolljacken hin zum Windbreaker.
Hermes Germany ist für die Ausstellung aber auch unabhängig von der Kooperation zwischen dem Museum und OTTO interessant. Denn als einer der größten Paketdienstleister Deutschlands gestaltet das Unternehmen die Logistikbranche aktiv mit. Für einen vielschichtigen Blick bei der Ausstellung, auch mit Blick auf die Arbeitsbedingungen, erläutert Schütz: „Wir gehen durchaus kritisch mit den Herausforderungen der Branche um. Dabei verfallen wir nicht in haltloses Bashing, sondern bleiben nah an der Realität. Unternehmen wie Hermes Germany kennen die Problemstellen – und arbeiten auch daran, diese zu bekämpfen. Sie haben Sorgfaltspflichten, denen sie nachkommen müssen – und nachkommen wollen. Das wird bei öffentlichen Diskussionen gerne vergessen“, wie Schütz sagt.
Kein einseitiges Bild – sondern ein Rundumblick
Dem Kurator war es wichtig, kein einseitiges Bild von der Logistikbranche zu zeichnen: „Wir steigen in der Ausstellung generell über die Konsumentinnen und Konsumenten ein. Die dürfen sich durchaus die Frage stellen: Wie viel kaufe ich eigentlich ein? Wie schnell muss mein Paket bei mir sein?“ Entsprechend sollen Besucher*innen verstehen, dass sie die herausfordernde Arbeit für Zusteller*innen nicht nur auf die Versandhändler schieben können. „Es geht um das Gleichgewicht der Verantwortung zwischen Politik, Unternehmen und Endverbraucherinnen und Endverbrauchern“, resümiert Schütz. Die Besucher*innen sollen verstehen, dass sie Knotenpunkte in einem Netzwerk sind, das sich über die ganze Welt erstreckt.
Der derzeit wohl kritischste Knotenpunkt dieses Systems ist allerdings der globale Onlinehandel: „Da wird jede Verantwortung von den Herstellern abgegeben. In den AGBs verzichtet der User stellenweise sogar auf das Recht, seine Ware überhaupt zu erhalten. Der Blick in den globalen Süden oder nach Asien zeigt, wie komplex das Thema mittlerweile ist. Derartige Strukturen wirken bis zu den Kundinnen und Kunden, sind aber undurchsichtig. Die Festlegungen des Lieferkettengesetzes beispielsweise versuchen hier Verbindlichkeiten zu schaffen“, gibt Schütz zu bedenken.
Dennoch gibt es überall Potenziale, derzeitige Mängel zu erkennen und zu verbessern. Wer wissen will, wo die genau liegen, was getan werden kann und wie die Zukunft der Branche aussehen könnte, findet ab sofort Antworten im Museum der Arbeit.