Logistik-Trends 2025: „E-Mobility wird in der Zustellung der Standard sein“
Herr Althoff, wagen Sie eine Prognose: Wie wird sich der Umsatz in der Logistik-Branche 2025 entwickeln?
Kai Althoff: Für den Wirtschaftsbereich Logistik erwarten die Logistikweisen in diesem Jahr ein nominelles Wachstum von 1,3 Prozent, was real einer Stagnation entspricht (−0,1 Prozent). Natürlich würden wir uns mehr Wachstum wünschen, aber wir sind in unruhigem Fahrwasser. Das allgemeine Wirtschaftsklima ist herausfordernd, und das schlägt natürlich direkt auf die Logistik durch. Wir sehen aber auch positive Zeichen: Laut Logistikindikator der Bundesvereinigung Logistik (BVL) und ifo-Institut sind die Geschäftserwartungen erstmals seit langem wieder positiver als die aktuelle Geschäftslage. Das stimmt uns zuversichtlich: Spätestens 2026 erwarten wir eine Erholung mit neuem Wachstum.
Zur unsicheren Konjunktur kommen Umbrüche, die die Logistik wahrscheinlich auf Jahre hinaus verändern werden. Welche großen Trends werden für die Branche in diesem Jahr wichtig?
Kai Althoff: Die zentralen Entwicklungen haben wir in unserer Studie „Trends und Strategien in Logistik und Supply Chain Management 2024“ sowie auf der BVL Supply Chain CX Ende 2024 analysiert. Ganz vorne sind dabei Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, denn KI sehen wir in allen Bereichen der Lieferkette auf dem Vormarsch. Weitere Großtrends sind die Regionalisierung von Wertschöpfungsketten sowie natürlich Nachhaltigkeit.
Hier stehen zwei Bereiche im Fokus: Zum einen die zunehmenden Berichtspflichten, denen immer mehr Unternehmen nachkommen müssen. Und zum anderen die Dekarbonisierung der Fahrzeugflotten. Fast alle relevanten Player in der Logistik haben inzwischen konkrete Zeitziele für null Emissionen oder eine signifikante Reduzierung ihres CO2-Ausstoßes definiert.
Zu den Berichtspflichten zählen etwa die Anforderungen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) für Logistikunternehmen. Wie unterstützt die BVL ihre Mitglieder bei der Umsetzung?
Kai Althoff: Zunächst einmal bedeutet diese Regulierung deutlich mehr Arbeit für die Unternehmen. Es braucht erhebliche Ressourcen, um die Anforderungen zu verstehen und den Berichtspflichten rechtssicher zu genügen. Unser BVL-Themenkreis „Nachhaltig Gestalten“ hat deshalb kürzlich eine Handreichung „CSRD für Einsteiger“ erarbeitet, die Mitgliedern mit Checklisten und Tipps eine erste Annäherung an das Thema ermöglicht. Unsere Veranstaltungen bieten darüber hinaus zahlreiche Sessions zum Thema – und vor allem einen Raum, um sich mit anderen auszutauschen und Best Practices kennenzulernen.
Für das Erreichen von Dekarbonisierungszielen braucht es einen massiven Ausbau der E-Mobilität. Wie wird sich die Elektrifizierung künftig entwickeln?
Kai Althoff: E-Mobility wird in der Zustellung der Standard sein. Schon jetzt gibt es bezahlbare und in der Effizienz gleichwertige Alternativen zum Verbrenner. Für die mittlere Reichweite und mittelgroße Lkw kommen jetzt gerade die ersten wettbewerbsfähigen Angebote auf den Markt – und die großen Speditionen sowie Verlader testen bereits E-Zugmaschinen für die Langstrecke. Anders als die Kunden und Kundinnen im Pkw-Markt hat sich die Logistik-Branche längst darauf eingestellt, dass der Weg zur E-Mobilität unumkehrbar ist.
Wie können Logistik-Unternehmen über E-Mobilität hinaus mehr für den Schutz des Klimas tun?
Kai Althoff: Mehr Nachhaltigkeit ist nicht nur auf der Straße möglich. Gerade Mittelständler entdecken vielfach den Transport auf der Schiene für sich – beispielsweise die Denkinger Internationale Spedition, die den Deutschen Logistik-Preis 2024 gewonnen hat. Mit ihrem Rail.Hub hat Denkinger den Schwerlasttransport etwa von Stahlrollen neu gedacht und eine Kombination von E-Lkw und Schiene geschaffen. Ebenfalls noch sehr viel Potenzial für mehr Energieeffizienz haben zahlreiche Logistik-Immobilien. Vielfach sind Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern möglich; LED-Beleuchtung sowie eine intelligente Beheizung und Kühlung können zusätzlich viele Tonnen CO2 einsparen. Solche Maßnahmen unterstützen wir beispielsweise mit dem Projekt „Power of Logistics“ des BVL-Themenkreises „Logistikimmobilien“.
Sie haben die rasante Digitalisierung angesprochen. In welchen Bereichen kann KI die Effizienz steigern?
Kai Althoff: Künstliche Intelligenz hält in praktisch allen Bereichen der Supply Chain Einzug. Sie kann Lieferketten resilienter und transparenter machen und Intralogistik-Prozesse u. a. mit „digitalen Zwillingen“ verbessern. Sie optimiert – im „predictive sourcing“ – Beschaffungsprozesse mit datenbasierten Analysen und vermindert Wartungskosten sowie ungeplante Stillstandszeiten („predictive maintenance“). Ebenso unterstützt sie dabei, die Anforderungen aus CSRD und dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) zu erfüllen. Auch in der Tourenplanung und Beladung kann KI noch neue Impulse für mehr Effizienz setzen, etwa mit Blick auf zusätzliche Variablen wie den aktuellen Ladestand von E-Lkw.
Wird die Digitalisierung 2025 auch den Durchbruch für vernetztes und automatisiertes fahren bringen?
Kai Althoff: Nein, nicht in Deutschland und Europa – das wird noch einige Jahre dauern. Zwar sehen wir viele Unternehmen und Start-ups, die immer wieder neue Meilensteine erreichen, sowie vermehrt Pilotprojekte zu autonomem Fahren; diese sind aber meist noch auf geschützte Bereiche wie Hafenterminals begrenzt. In China ist man schon erheblich weiter. Dort haben bereits mehr als 30 Städte Test-Lizenzen für autonomes Fahren verteilt.
2024 wurden im Bereich „Lagerwirtschaft und Transport“ 59.000 offene Stellen verzeichnet, auch in diesem Jahr wird Personal fehlen. Können digitale Technologien wie Mensch-Maschine-Kollaborationen helfen, dem Fachkräftemangel zu begegnen?
Kai Althoff: Eine zunehmende Automatisierung sowie der Einsatz autonomer Transportfahrzeuge und Roboter in der Intralogistik lösen in der Tat einen Teil des Mangels. Andererseits braucht man zur Planung und Steuerung dieser Maschinen hoch qualifiziertes Fachpersonal, das ebenfalls rar ist. Die Initiative „Die Wirtschaftsmacher“ sowie wir als BVL haben uns deshalb auf die Fahne geschrieben, die Attraktivität der Logistikberufe bekannter zu machen. Das geht nur mit deutlich verbesserter Kommunikation.
Heißt das, die Branche ist besser als ihr Ruf – aber das wissen zu wenige?
Kai Althoff: Ja. Es gibt sehr viele Arbeitgeber in der Logistik, die den Vergleich mit anderen Branchen nicht scheuen müssen. Eine wettbewerbsfähige Vergütung, familienfreundliche Arbeitszeiten, top-moderne Büros und Logistikzentren sind heute keine Ausnahme mehr – nur das Image der Logistikberufe kann da oft noch nicht mithalten. Und natürlich gibt es auch noch den Berufskraftfahrer, der lange nicht nach Hause kommt und auf Autobahnparkplätzen übernachten muss. Aber auch in diesen Fällen schaffen es viele Speditionen durch Einsatz intelligenter Dispositions-Technik, dass ihre Fahrerinnen und Fahrer nach der Fahrt im hochmodernen Lkw abends wieder bei der Familie sind.
Mit welchen Formaten hilft die BVL ihren Mitgliedern dabei, über Veränderungen in der Logistik auf dem Laufenden zu bleiben und darauf zu reagieren?
Kai Althoff: An erster Stelle zu nennen ist hier unsere BVL Supply Chain CX, die Leitveranstaltung der Logistik in Europa. Sie findet jedes Jahr im Oktober in Berlin statt und bringt alle Top-Entscheider und Supply Chain-Enthusiasten zusammen. Im Congress-Teil werden Themen strategisch unter die Lupe genommen, die Expo bietet als eigenständiger Veranstaltungsteil Festival-Stimmung mit Bühnen, Ausstellung und zahlreichen Networking Angeboten. Andere Veranstaltungen der BVL sind thematisch spitzer. So gibt es etwa ein Forum Ersatzteillogistik, ein Supply Chain Forum Südwest mit Schwerpunkt Maschinenbau und spezifische Fachforen auf Messen. Darüber hinaus versammeln sich interessierte Mitglieder in den BVL-Themenkreisen, um konkrete Projekte voranzutreiben und sich auszutauschen.
Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit anderen Branchen, etwa Industrie und Handel, um Logistik-Innovationen weiter auszubauen?
Kai Althoff: Die Kooperation dieser drei Sphären ist entscheidend, um gemeinsam die Supply Chain zu optimieren und bestmögliche Ergebnisse für die Kunden und Kundinnen zu erreichen. Was etwa heute im Consumer-Markt selbstverständlich ist – das Echtzeittracking für Pakete und ein kontinuierlicher Datenaustausch zwischen Händler, Transportunternehmen sowie Kunde und Kundin – wird im B2B-Geschäft erst langsam Realität. Viele Logistikdienstleister haben zudem ihr Leistungsportfolio deutlich ausgebaut. Sie transportieren nicht nur Waren von A nach B, sondern übernehmen das komplette Fulfillment von der Lagerung über den Bestelleingang bis zur Auslieferung. Und es gibt bereits Logistiker, die seltene, aber meist schnell benötigte Ersatzteile für die Automobilindustrie im 3D-Druck selbst herstellen und damit Lagerkosten vermeiden. Solche Innovationen können nur in enger Kooperation mit der Industrie entstehen.
Vielen Dank für das Gespräch!