Markt-Trends So verändern ultrakalte Transporte die Pharma-Logistik

Kalte und ultrakalte Transporte für Corona-Impfstoffe sind die neue Herausforderung für die Logistik. Welchen Einfluss hat die Liefermethode auf die Pharma Supply Chain? Und welche Lösungen sind die besten für den Transport? Fest steht: Corona wird die Pharma-Logistik verändern.

(Foto: Michael Ciaglo/Getty Images)

Das Magazin „Logistik Heute“ titelte im Frühjahr 2021: „Prognose: 2021 wird das Jahr der Impfstoff-Kühlketten“. Auch weitere Branchenmedien sehen das Thema „(Ultra)-Kalt-Logistik“ übereinstimmend unter den fünf bis sechs Trends, die die Logistik-Branche aktuell prägen werden. Laut einer Modellrechnung der US-amerikanischen Technologieberatung ABI Research werden 2021 weltweit durchschnittlich 271 Millionen Covid-19-Impfdosen kalt oder ultrakalt transportiert werden – jeden Monat. Auch wenn die Rechnung vor der Zulassung des Impfstoffs Astra Zeneca gemacht wurde, machen die Zahlen die Dimension des Themas deutlich.

Cold-Chain-Logistik: Kämpfe um Slots – und die Preise steigen

„Corona hat der Supply Chain der Pharmalogistik große Aufmerksamkeit beschert“, sagt auch Victor Wildhaber. Er hat mit dem Institut für Supply Chain Management an der Universität St. Gallen und dem Beratungsunternehmen Logistics Advisory Experts GmbH eine Studie zur Performance von Pharma-Luftfrachtbehältern durchgeführt und sie hinsichtlich ihrer Temperaturführung, ihrem CO2-Profil und ihrer Wirtschaftlichkeit verglichen. In diesem Zusammenhang hat er sich intensiv mit der Pharma-Supply-Chain beschäftigt: „Für die Branche besteht die Schwierigkeit, dass aktuell verschiedene Hersteller ihre Impfstoffe weltweit vertreiben wollen – bei reduzierten Cold-Chain-Kapazitäten. Vor der Corona-Krise war die Cold-Chain-Logistik schon gut ausgelastet, etwa mit dem Transport von Pharma-Produkten, Weinen oder Kunstwerken, die bei kontrollierten, niedrigen Temperaturen befördert werden. Dann entstehen natürlich Kämpfe um Slots und die Preise steigen“, sagt Wildhaber.

Gleichzeitig sank noch die Luftfrachtkapazität, weil viele Passagiermaschinen am Boden blieben, die normalerweise durch Beladung im Unterdeck ebenfalls Platz für Frachtgüter bieten. Hinzu kommt, dass die Auslastung, gerade bei Flugzeugen, beschränkt ist: Da die Kühlung teilweise mit Trockeneis erfolgt, das nur in begrenzter Menge in Flugzeugen transportiert werden kann, ist die Auslastung teilweise stark reduziert. Die Transporte werden dadurch ökonomisch und ökologisch ineffizient.

Verluste von 34 Milliarden US-Dollar jährlich durch Unterbrechung von Kühlketten

Durch die Weiterentwicklung der Pharma-Produkte steigen auch die Ansprüche an temperaturgeführte Logistik: „Filmtabletten können auch bei höheren Temperaturen transportiert werden. Aufgrund ihrer Temperaturstabilität sind diese nicht so sensibel. Chemische und insbesondere biotechnologische Medikamente, wie die aktuellen Impfstoffe, sind viel empfindlicher. Man weiß noch nicht genau, wie temperaturstabil sie sind“, sagt Victor Wildhaber. Unternehmen müssen beweisen, dass sie etwa in der Flugfracht die niedrigen Temperaturen halten können. Zentral ist die Temperaturabweichung, bei der Impfungen unbrauchbar werden können. „Die Corona-Krise verdeutlicht Herausforderungen in Pharma-Supply-Chains und hilft indirekt, die Qualität insbesondere im Sinne der Temperaturführung zu steigern“, sagt Wildhaber.

Seine Studie identifiziert unerwartete Qualitätsprobleme als maßgebliche Kostentreiber, etwa wenn Container zur Kontrolle geöffnet werden müssen. Jährlich entstehen durch die Unterbrechung der Kühlkette Verluste in Höhe von rund 34 Milliarden US-Dollar. Als besten Kühlcontainer hat die Studie einen sogenannten hybriden Container identifiziert. Anders als aktive Container (die per Akku oder Stromkabel kühlen) und passive Container (die per „Kühlakku“ kühlen), funktionieren die Hybride laut Studie anders. Sie „suchen den Mittelweg zwischen Isolation und Energiezufuhr während des Transports. Sie werden in einem Kühlraum vorkonditioniert und bedürfen weder einer mechanischen Öffnung noch eines Anschlusses ans Stromnetz. Die Container isolieren den Innenraum und geben je nach Umgebungs- und Innen-Temperatur Wärme oder Kälte ab, beziehungsweise nehmen diese auf.“

Auch in Sachen Nachhaltigkeit sind die Boxen weit vorne. Passive Container mit Trockeneis (und Styropor aus Öl) schneiden weniger gut ab, ganz schlecht fällt das Urteil für Einweg-Passiv-Boxen aus, die in abgelegenen Regionen, zum Beispiel Afrika, verwendet werden. Die Rückführung der leeren Boxen wäre teuer – und so entstehen Abfallberge vor Ort.

Diebstahlsichere Kühlbox: So soll der kühle Transport perfektioniert werden

Zahlreiche Firmen, wie das deutsche Startup Tec4med aus Darmstadt, das bereits 2017 gegründet wurde, passen sich mit ihren Produkten an die neuen Entwicklungen in der (Ultra)-Kalt-Logistik an.

„Die Transportboxen kühlen nicht nur den Impfstoff, man kann sie auch jederzeit nachverfolgen. So weiß das medizinische Personal immer, wo sich der Impfstoff gerade befindet und welche Temperatur er hat“, sagt CEO und Co-Gründer Nico Höler in „Station“, dem Online-Portal über die Startup- und Innovations-Szene im Rhein-Main-Gebiet.

Die „Nelum“-Box von Tec4Med bietet einen weiteren Vorteil: Durch ein Schloss und das Echtzeittracking ist sie diebstahlsicher, denn auch Corona-Impfstoffe sind potenziell begehrtes Diebesgut. „Es kommen im Moment immer mehr Nachfragen rein. Bisher hat man sich vor allem um die großvolumige Logistik gekümmert. Wie bekomme ich die Ware über Langstrecke transportiert? Aber um die Impfdosen auf den letzten Kilometern zu verteilen, werden wir relevant“, sagt Höler.

Ein weiteres mögliches Szenario: Mobile Teams, die Boxen mit Impfstoffen in Pflegeheime bringen. „Kühllösungen werden in Zukunft für zahlreiche Bereiche gebraucht werden, nicht nur durch einen Anstieg in der Lebensmittellieferung“, sagt Elisa Blank von Tec4Med. „Wir haben uns zunächst auf eine Branche konzentriert und gedacht: Wenn wir die großen Erwartungen der Pharma-Logistik erfüllen können, können wir auch alles andere schaffen“, sagt sie.

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