Saubere Sache: Verhilft Dieselgate der E-Mobilität zu neuem Aufschwung?
Die Diesel-Krise bietet der Automobilindustrie die Chance, Elektroautos endlich in Fahrt zu bringen.
Bis vor zwei Wochen stand hier noch eine rote Luxuslimousine. Jetzt zieht ein blauer SUV die neugierigen Blicke der Passanten in der Hamburger Innenstadt auf sich. Die schicke Karosse parkt allerdings nicht am Straßenrand. Sie steht mitten im Store des kalifornischen Elektroautopioniers Tesla und ist ein klares Signal an die kaufkräftige Kundschaft: E-Autos sind keine Randerscheinung mehr, jetzt sind sie salonfähig geworden. Vier bis sechs Teslas werden hier pro Woche geordert, verrät der Verkäufer. Der neue blaue Siebensitzer soll in der zweiten Hälfte 2016 auf den Markt kommen – als erster elektrischer SUV der Automobilbranche überhaupt, mit einer Höchstgeschwindigkeit von 250 Stundenkilometern und einer Reichweite von 450 Kilometern.
Elektroautos sind den Benzinern und Diesel-Autos ökologisch überlegen. Sie benötigen kein Öl und stoßen nahezu keinen Schadstoff aus. Vor ein paar Jahren gab die Bundesregierung deshalb das hehre Ziel aus, bis 2020 eine Million dieser Fahrzeuge mit sauberem Antrieb auf die Straße zu bringen. Bis 2030 sollen es sechs Millionen sein. Doch bisher läuft der Absatz eher schleppend. Die Zurückhaltung der Kunden vor allem in Deutschland ist groß. Im Januar dieses Jahres war nach Angaben des Kraftfahrtbundesamts die überschaubare Zahl von 19.000 E-Autos zugelassen – immerhin rund 7.000 mehr als im Jahr zuvor. Das ist immer noch ein Bruchteil der Benziner (30 Millionen) und Diesel-Fahrzeuge (rund 14 Millionen).
Gründe gibt es dafür mehrere. Am häufigsten genannt werden die hohen Anschaffungskosten, die geringe Reichweite und die langen Ladezeiten. Design, Fahrspaß oder gar Sportlichkeit blieben bei den Öko-Autos lange auf der Strecke. Die Continental Mobilitätsstudie 2015 brachte es unverblümt auf den Punkt: „Elektroautos noch in der Imagefalle“. Demnach besitzen sie ein besonders „grünes“ Image, wecken jedoch kaum Emotionen.
Das könnte sich jetzt ändern. Nach dem Skandal um manipulierte Abgaswerte bei Volkswagen hoffen viele Experten, dass die Emobilität endlich den nötigen Schub bekommen könnte. Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück erklärte in einem Interview, dass er überzeugt sei, die Technologie werde durch den Diesel-Skandal „hoffähig“, aus Kostengründen jedoch vermutlich zuerst in Fahrzeugen der Premium-Klasse. Auch Christian Heep, Vize-Präsident im Bundesverband eMobilität, sieht nun endlich die Stunde der Elektromobilität gekommen. „Diese Krise bedeutet das Ende der gesamten Automobilwirtschaft, wie wir sie heute kennen“, sagt er. Und das sei gut so: „Denn noch ist es möglich, unseren elektromobilen Rückstand in der Welt aufzuholen. Damit verbessern sich unsere Chancen auf ein in der Zukunft marktfähiges Produkt enorm: Elektroautos, die weltweit gekauft werden. Das bedeutet den Erhalt von Wertschöpfung, Arbeitsplätzen und Wohlstand“, sagt Heep. Die Krise als Beginn einer neuen Erfolgsgeschichte machen.
Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) geht sogar noch einen Schritt weiter. Er sieht die Krise als Anlass, die Entwicklung der Batteriezelltechnologie als zentralen Wertschöpfungsbaustein der E-Mobilität wieder nach Deutschland zu holen. Bislang haben Südkorea und Japan hier die Nase vorn. „Die Diesel-Krise wäre damit eine Chance für die gesamte Automobilindustrie“, sagt Bratzel.
Aktuell liegt Deutschland laut Electric Vehicle Index von McKinsey beim Ranking der wichtigsten Herstellerländer für Elektrofahrzeuge auf Platz drei hinter China und Japan. „Deutsche Hersteller bleiben aber weltweit führend in der Produktion für E-Fahrzeuge“, erklärt Thomas Luk, E-Autoexperte von McKinsey. Er rechnet damit, dass rund 36 Prozent aller weltweit produzierten E-Fahrzeuge im Jahr 2020 von deutschen Herstellern kommen werden. Doch dafür müssen die Deutschen ihre Zurückhaltung aufgeben. Der Absatz auf dem deutschen Markt liegt mit 34.000 verkauften E-Autos seit 2010 weit hinter den USA (300.000), Japan (113.000) und China (75.000) zurück.
Klar, dass die deutschen Autobauer den Amerikanern wie Tesla oder auch Google und Apple mit ihren automobilen Plänen nicht den Markt überlassen wollen. Auf der letzten IAA im September präsentierten sie Konzeptstudien wie den Porsche Mission E oder das Audi e-tron quattro Concept. Beide Luxus-E-Autos sollen mit einer Batterieladung jetzt bis zu 500 Kilometer weit kommen. BMWs E-Auto i3 ist bereits seit einem Jahr auf dem Markt (Basispreis ab rund 36.000 Euro), Carsharing-Kunden von Drive-Now können ihn in den Städten schon testen.
Um langfristig konkurrenzfähig zu sein, muss aber auch das Netz der Stromtankstellen dichter werden. Deutschlandweit existieren derzeit nach Angaben der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) 4.800 öffentlich zugängliche Lademöglichkeiten mit normaler und 100 weitere mit schneller Ladegeschwindigkeit. Bis 2020, wenn die angepeilten eine Million E-Autos auf den Straßen rollen sollen, sind nach der Verordnung der Bundesregierung und der Industrie 28.000 normale sowie 7.000 Schnell-Ladepunkte vor allem an Autobahnen und in Metropolregionen geplant. Der Raststättenbetreiber Tank&Rast teilte jüngst mit, dass er in den kommenden fünf Monaten zusammen mit RWE 49 Autobahnraststätten mit hochmodernen Schnellladesäulen ausstatten wird. Je nach E-Modell dauerte eine Ladung 15 Minuten und reicht für die nächsten 100 Kilometer.
Auch die Politik ist durch den Diesel-Skandal unter Druck geraten. Derzeit wird diskutiert, den Steuervorteil für Dieselkraftstoff zurückzunehmen und die Mehreinnahmen in die Förderung für Elektromobilität zu stecken. Noch vor vier Jahren hatte die deutsche Politik einen Versuch der EU-Kommission zur Mindestbesteuerung von Kraftstoffen mit Hilfe der Auto- und Nutzfahrzeuglobby verhindert. Höhere Dieselpreise würden die Transportbranche direkt treffen.
In einzelnen Bundesländern gibt es schon Regelungen, die Besitzer von E-Autos bevorteilen. Wer sich in Hamburg einen Tesla oder ein anderes E-Auto kauft, darf in der Hansestadt umsonst parken und am Stau vorbei auf der Busspur fahren. Das neue E-Mobilitätsgesetz und ein spezielles E-Nummernschild machen dies seit diesem Sommer möglich. Das gilt für alle Marken.
Ob sich „Dieselgate“ tatsächlich bereits bei der Zahl der Neuzulassungen von Elektrofahrzeugen ausgewirkt hat, ist noch nicht nachweisbar. Tatsache ist, dass es im September mit plus 61,4 Prozent die bislang stärkste Aufwärtsbewegung gab. Bereits von Januar bis August wurden rund 6.500 Elektro-Pkw zugelassen. Jetzt müssen die beteiligten Branchen diese Chance nutzen.
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